Kommentar
09:13 Uhr, 24.02.2016

Indikator macht Hoffnung: Stimmung so schlecht wie zuletzt vor 22 Jahren!

Die Nervosität der Anleger ist noch immer groß. Auch die weltweite Erholung der Aktienmärkte in der vergangenen Woche konnte die Stimmung nicht drehen. Dabei ist sie inzwischen so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

Das muss man sich einmal genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: Die breiten US Indizes haben gerade einmal 15 % verloren und schon ist die Stimmung auf den tiefsten Stand seit 22,5 Jahren! Das ist ziemlich außergewöhnlich. Es ist so außergewöhnlich, dass der Sentimen- Indikator, der diese schlechte Stimmung anzeigt, zuletzt breit diskutiert wurde. Das Fazit ist ziemlich eindeutig. Bei so schlechter Stimmung kann es nur noch nach oben gehen.

Es gibt viele Anleger und Analysten, die das ganz anders sehen. Gerüchte um eine neue Finanzkrise machen die Runde. Man muss teils den Eindruck gewinnen, dass das, was auf uns zukommt, die Finanzkrise und Große Rezession von 2008/09 wie einen Kindergeburtstag aussehen lassen wird. Persönlich halte ich das in absehbarer Zeit für unwahrscheinlich.

Die vor knapp zwei Wochen begonnene Erholung kann sich dank des Pessimismus noch ein wenig länger halten. Da der Pessimismus noch groß ist, investieren derzeit bei weitem nicht alle Anleger, die eigentlich gerne investieren wollen. Sie halten sich zurück, weil sie tiefere Kurse erwarten und dann günstiger einsteigen können. Ein solches Verhalten führt für gewöhnlich dazu, dass Rücksetzer schnell gekauft werden, weil jene Anleger, die noch nicht investiert sind, eine große Angst haben etwas zu verpassen.

Es gibt wenig Schlimmeres für einen Anleger, als in einem Aufwärtstrend nicht dabei zu sein, weil man zu vorsichtig war. Man sieht die Kurse steigen und steigen und ärgert sich mit jedem weiteren Tag. Sobald ein Rücksetzer kommt, wird gekauft, damit man dann endlich dabei sein kann. Ein solches Verhalten nährt Aufwärtstrends.

Viele Anleger kaufen nicht beim ersten Rücksetzer, weil sie noch voller Zweifel sind. Sie kaufen beim zweiten Rücksetzer, doch noch immer bleiben einige unbelehrbare Permabären zurück, von denen ein Teil erst beim dritten Rücksetzer kauft usw. Die Kurse sind in den letzten Handelstagen unerwartet schnell und weit gestiegen. Die Skepsis ist jedoch nach wie vor groß. Das ist ein gutes Signal, doch man darf es auch nicht überbewerten.

Der Beginn der Erholung war vor allem durch den Rückkauf von Shortpositionen getrieben. Das Ausmaß dieser Rallye hat viele überrascht, doch es bedarf mehr als Shorteindeckungen, um einen soliden Aufwärtstrend zu etablieren. Es braucht Anschlusskäufe. Fehlen diese, dann drehen die Kurse schnell wieder nach unten. In den kommenden Tagen wird sich zeigen, ob Anschlusskäufe gelingen werden.

Anschlusskäufe müsste es eigentlich geben, weil die Stimmung extrem schlecht ist. Je schlechter die Stimmung, desto mehr Anleger haben sich bereits aus dem Markt verabschiedet. Sie stehen an der Seitenlinie und warten darauf wieder einzusteigen. Das tun sie erst, wenn sich die Kurse wieder aufwärts bewegen. Wenn alle, die ihre Aktien verkaufen wollten dies getan haben, ist der Verkaufsdruck gering. Aktien können sich fast nur noch in eine Richtung bewegen.

Genau das zeigt der Stimmungsindikator an, der in den vergangenen Tagen vor allem in den USA diskutiert wurde. Es handelt sich dabei um den Farrell Index. Robert Farrell war 25 Jahre lang bei Merrill Lynch und erlangte durch technische Analyse Berühmtheit.

Farrell entwickelte einen relativ einfachen Sentiment Indikator, der auf der Stimmung von US Privatanlegern beruht. Die Association of American Individual Investors (AAII) fragt ihre Mitglieder seit 1987 wöchentlich nach ihrer Markteinschätzung. Bei der wöchentlichen Erhebung wird nach der Perspektive des Marktes auf Sicht von 6 Monaten gefragt. Anleger können dabei nur unter 3 Antworten wählen (bullisch, bärisch, neutral).

Farrell kreierte aus den Antworten den als Farrell Index bekannten Indikator. Bei diesem Indikator wird der Prozentsatz der bullischen Anleger durch die Summe der bärischen und der Hälfte der neutralen Anleger dividiert (Formel: bullisch/(bärisch+0,5*neutral)). Farrell verwendet einen 10-Wochen gleitenden Durchschnitt, da die Werte andernfalls sehr volatil sind.
Das Ergebnis der Indexberechnung ist in der Grafik dargestellt. Es zeigt sich dabei, dass Privatanleger so schlechter Dinge sind wie seit 1993 nicht mehr. Selbst 2008/09 waren sie besserer Laune. Das will etwas heißen, oder?

Der Index ist mit einer gewissen Vorsicht zu genießen. Grundsätzlich liefert der Indikator gute Kaufsignale. Das war 2009 ebenso der Fall wie 2011, 2003 oder 1998. Allerdings: der Index zeigte auch im März 2008 ein Kaufsignal. Für einen großangelegten Einstieg in den Markt war das kein guter Zeitpunkt. Die besonders niedrigen Werte Anfang der 90er Jahre sind ebenfalls nicht gut nachvollziehbar. Es gab kaum nennenswerte Korrekturen, die eine schlechte Stimmung hätten untermauern können.

Persönlich bin ich zwar der Meinung, dass die Korrektur an den Märkten vorbei ist, doch aufgrund des Farrell Index allein würde ich keine Investment Entscheidung treffen. Die Wahrnehmung der US Privatanleger scheint etwas an der Realität vorbei zu gehen. Den Pessimismus kann man gut nachvollziehen, doch eine schlechtere Stimmung als 2008/09? Das wirkt überzogen. Zudem darf man auch nicht vergessen, dass Privatinvestoren den Markt immer weniger bestimmen. Nur weil Privatinvestoren dem Markt bereits den Rücken gekehrt haben, können noch viele Verkäufer auf Seiten der Institutionellen warten.

Ein weiterer Schwachpunkt des Indikators ist sicherlich, dass Anleger zeitweise inkonsistent zwischen dem sind, was sie wahrnehmen und dem, was sie tun. Die Stimmung kann schlecht sein, doch das bedeutet nicht automatisch, dass alle Anleger tatsächlich schon verkauft haben. Die Nervosität am Markt ist nach wie vor hoch. Das zeigt sich anhand der Kursbewegungen der letzten Tage. Der Markt schwankt zwischen Kauf- und Verkaufspanik.

Der Farrell Index gibt Hoffnung, dass die Korrektur schon wieder vorbei sein kann und kein langer Bärenmarkt droht. Trotzdem ist das Stimmungsextrem etwas abstrus und wirkt überzogen. Ist die Untergangsstimmung wirklich so ausgeprägt wie von dem Index angezeigt, dann werden die kommenden Monate gute Börsenmonate. Es schadet allerdings nicht, nicht voll investiert zu sein, falls der Markt doch wieder kippt. Genauso ärgerlich wie einen Aufwärtstrend zu verpassen ist es, wenn die Liquidität fehlt, um Schnäppchen aufzusammeln, wenn der Markt absackt.

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3 Kommentare

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  • Ragazzo
    Ragazzo

    @ Chamäleon: Eine " saubere" Regierung gab es noch nie, selbst wenn Angela uns jetzt moralische Standards verkaufen will, die nicht tragfähig sind.Ich möchte in diesen Zeiten kein Politiker und auch kein Banker sein. Wegducken nennt man das-.....

    12:23 Uhr, 24.02. 2016
  • Chamäleon
    Chamäleon

    Wir leben in einer Zeit des täuschen, lügen und manipulierens.

    Jeder gegen jeden. Da kann eigentlich nichts aus der Vergangenheit mehr als Grundlage dienen. Es gibt keine wirklichen ethischen Grundsätze mehr, nur auf dem Papier, was aber nichts Wert ist.

    Kein einziger Tag ohne irgend ein Skandal, obwohl das immer nur die "Ausnahmen" sind.

    Der Egoismus ist einfach überall zu groß und Sentimentalität interessiert keinen.

    Das was gestern noch hui war ist heute pfui. Es traut keiner dem anderen und dieses

    misstrauen ist extrem schwer - wenn überhaupt - zu beseitigen, weil die Verantwortlichen niemals reinen Tisch machen können. Zu groß wäre das Entsetzen und der Aufschrei, wenn überall, alles auf dem Tisch käme um zu bereinigen.

    Es gibt leider (fast) keine saubere Firma und geschweige Regierung in unserer heutigen Welt. Alles andere wäre grenzenlos naiv.

    Deshalb ist fundamentales nur noch am Rande zu beachten. Die Charttechnik ist wohl das einzige "wahre" Instrument was - wenn man es richtig macht - uns Trader weiter bringen

    kann. Alles andere ist Unterhaltung.

    11:25 Uhr, 24.02. 2016
  • netzadler
    netzadler

    ist es diesmal anders?

    trotz schlechter Stimmung muss man ja nicht verkaufen.

    den unterschied zu früher macht der Zentralbank put.

    erst wenn der glaube an die Zentralbank verfliegt, passen sich die Börsenindizes der Stimmung an.

    strong short

    10:03 Uhr, 24.02. 2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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