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11:50 Uhr, 20.09.2017

Indien: Reif für die Ernte der demografischen Dividende?

Indiens Wirtschaft verfügt über günstiges demografisches Profil. Aber wird Indien diesen Vorteil auch nutzen können? Dieser Frage geht Aviva-Finanzexperte Will Ballard nach.

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London (GodmodeTrader.de) - Indiens Entwicklung in den 70 Jahren seit seiner Unabhängigkeit ist beeindruckend. Das inflationsbereinigte Pro-Kopf-Einkommen des Landes stieg in der Zeit um das Fünffache und die Lebenserwartung hat sich von 32 Jahre auf 68 Jahre mehr als verdoppelt, wie Will Ballard, Head of Emerging Markets and Asia Pacific Equities bei Aviva Investors, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Doch Indiens Wachstum sehe im Vergleich zu den Fortschritten in China eher dürftig aus. Als Hauptherausforderer der USA habe die Volksrepublik Indien in den vergangenen 30 Jahren als dominierende Wirtschaftsmacht überholt. Indiens Pro-Kopf-BIP sei Anfang der 1980er Jahre höher als das Chinas, doch jetzt verdienten die Chinesen durchschnittlich 8.123 US-Dollar, während es Indien nur auf 1.709 US-Dollar pro Kopf schafft. Auch bei den wichtigen Kennzahlen wie Alphabetisierungsrate, Gesundheitsvorsorge und Lebenserwartung habe China den Subkontinent überholt.

„Dennoch hat Indien einen bemerkenswerten Vorteil, der sich im Laufe des nächsten halben Jahrhunderts zu seinen Gunsten auswirken wird: die Demografie. China hat eine schnell wachsende Bevölkerung älterer Menschen und eine sinkende Zahl an Bürgern im erwerbsfähigen Alter, die sie unterstützen können. Dies ist zum Teil die Folge der Ein-Kind-Politik, die nun schrittweise abgeschafft wird. Indien hingegen verfügt über eine junge und wachsende Erwerbsbevölkerung“, so Ballard.

Theoretisch dürfte Indien mittelfristig ein höheres BIP-Wachstum als China aufweisen können, wenn man die demografischen Faktoren als Triebfeder betrachte. Ein Grund für das rasante Wirtschaftswachstum Chinas seit den späten 1970er Jahren sei unter anderem die sogenannte demografische Dividende gewesen. Die Volksrepublik habe in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Babyboom erlebt. Dies habe zur Folge gehabt, dass die in diesen Jahrzehnten geborenen Bürger gerade das arbeitsfähige Alter erreicht hätten, als sich Chinas Wirtschaft unter Deng Xiaoping zu öffnen begonnen habe. Die US-Denkfabrik Brookings Institution schätze, dass die demografische Dividende für 15 bis 25 Prozent des chinesischen Wirtschaftswachstums zwischen 1980 und 2000 verantwortlich gewesen sei, heißt es weiter.

„Nun ist Indien auf einen eigenen demografischen Aufschwung eingestellt. Das dortige Arbeitskräftepotential könnte in den nächsten 50 Jahren um 54 Prozent wachsen, während Chinas Arbeitnehmerzahl um ein Fünftel schrumpfen dürfte. Im Jahr 2020 wird Indiens Bevölkerung ein Durchschnittsalter von 29 Jahren aufweisen, während es in China bei 37,5 Jahren liegen wird. Die demografische Entwicklung allein reicht jedoch nicht aus, um das Wachstum anzukurbeln. Zudem steht Indien vor großen Herausforderungen, wenn es von diesem Trend profitieren möchte“, so Ballard.

Indien habe nicht von der gleichen Industrialisierung oder Stärkung der ländlichen Arbeitskräfte wie in China profitiere und sein Pro-Kopf-BIP hinke noch immer weit hinterher. In Indien lebten weit weniger Menschen in den Städten (etwa 32 Prozent) als in der Volksrepublik (etwa 55 Prozent). Zudem werde Indiens Urbanisierungsprozess durch Probleme wie etwa lückenhafte Stromverteilungsnetze untergraben, heißt es weiter.

„Indiens Regierung muss die Wirtschaft geschickt lenken, um sicherzustellen, dass genügend Arbeitsplätze sowie Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten für die wachsende Erwerbsbevölkerung vorhanden sind. Eine Studie von Ernst & Young zeigt jedoch, dass Indien derzeit weder genügend Arbeitsplätze schafft noch genügend Ausbildungsplätze bereitstellt“, so Ballard.

Indiens Privatsektor werde nach wie vor durch die Regulierung behindert, die das Beschäftigungswachstum hemme. Laut Erhebungen der indischen Arbeitsbehörde habe der Arbeitsmarkt zwischen 2010 und 2017 jährlich weniger als zwei Millionen Arbeitsplätze geschaffen, trotz eines durchschnittlichen jährlichen BIP-Wachstums von mehr als sieben Prozent in diesem Zeitraum. Dies sei eindeutig zu wenig, wenn die Bevölkerung jedes Jahr um rund 16 Millionen Menschen wachse. Zwar habe Premierminister Narendra Modi bei der Wirtschaftsreform und dem Bürokratieabbau einige Fortschritte gemacht, jedoch müsse noch mehr getan werden, heißt es weiter.

„Es bleibt zu klären, wie viel Indien von China lernen kann, dessen Wirtschaftswachstum zum Teil aus seiner Fähigkeit resultierte, Wanderarbeitskräfte für die Entwicklung einer riesigen städtischen Belegschaft einzusetzen, die einen Produktionsboom auslöste. Dieser Weg dürfte für Indien nicht mehr gangbar sein, da es keinen so großen Bedarf für ein weiteres Land auf der Welt gibt, das billige Geräte produziert. Arbeitskosten-Arbitrage ist nicht mehr länger der wichtigste Aspekt eines nationalen Wettbewerbsvorteils“, so Ballard.

Es gebe jedoch bestimmte Lehren, die Indien aus den politischen Entscheidungen Chinas lernen könne, die das starke und nachhaltige Wachstum der Volksrepublik begünstigt hätten, einschließlich der Entscheidung, in die Aus- und Weiterbildung der jungen und wachsenden Arbeitskräfte zu investieren. Indiens Bildungsbilanz hingegen sei vergleichsweise kläglich. Die Alphabetisierungsrate von knapp über 71 Prozent hinke Chinas 96 Prozent deutlich hinterher. Tatsächlich sei Indiens Alphabetisierungsrate heute sogar niedriger als die von China im Jahr 1990. Die meisten Schulen in Indien seien nach wie vor arm, was ein großes Problem darstelle, heißt es weiter.

„Indien muss in Infrastruktur investieren, um Kapazitäten für die wachsende Bevölkerung aufzubauen, was die Regierung auch anerkennt. Die Ausgaben der Zentralregierung für Infrastruktur sind zwischen 2014 und 2017 um 55 Prozent gestiegen - die Gesamtausgaben in diesem Zeitraum beliefen sich auf 2,9 Billionen Rupien (46 Milliarden US-Dollar). Diese zusätzlichen Ausgaben tragen zur Beschäftigungsförderung bei. McKinsey schätzt, dass die Ausgaben der Zentralregierung in diesem Jahr Arbeitsmöglichkeiten für 6,6 Millionen Menschen schaffen könnten, insbesondere im Bausektor“, so Ballard.

Auch der Basiskonsumsektor des Landes werde von der Demografie profitieren. Gut aufgestellt sei hier beispielsweise Manpasand Beverages. Das Unternehmen biete eine Produkte, wie Fruchtsäfte und kohlensäurehaltige Getränke, in kleineren Mengen und zu günstigeren Preisen an als westliche Wettbewerber wie Coca-Cola und sei damit für junge Inder erschwinglicher, heißt es weiter. „Dies ist in einem Land wichtig, in dem das Pro-Kopf-BIP noch relativ niedrig ist. Eine Steigerung des Pro-Kopf-BIP wird entscheidend sein, wenn Indien andere Sektoren wie Technologie und IT entwickeln will, die Modi als prioritär eingestuft hat“, so Ballard.


Ein Weg, in die weltweiten Aktienmärkte zu investieren, wäre z.B. der Kauf des BV Global Balance Fonds (WKN A0MVXF). Es handelt sich dabei um einen Mischfonds, der weltweit in ETFs, Aktien und Anleihen investiert.


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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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