Kommentar
18:18 Uhr, 07.03.2022

Immobilien: Neue Zeitrechnung oder erste Anzeichen des Zusammenbruchs?

Man könnte auch sagen „dieses Mal ist alles anders“ – die berühmten letzten Worte eines jeden Investors.

Wenn mir erzählt wird, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat, bekomme ich reflexartig Schnappatmung. Bisher mussten Anleger noch jede neue Zeitrechnung zu Grabe tragen. Gelernt wird aus der Geschichte nicht. Der Friedhof der neuen Zeitrechnungen wird immer größer.

Gerade erst wurde eine weitere neue Zeitrechnung beerdigt. Zusammenfassen lässt sich diese so: „Zoom ist bei 550 USD je Aktie ein Schnäppchen.“ Wer den Kurs nicht direkt vor Augen hat, der Kurs steht bei ca. 110 USD. Viele Anleger dachten einfach, dass die Pandemiegewinner nun ewig mit 70 % pro Jahr wachsen würden. Kein Preis war zu hoch. Das Unternehmen würde früher oder später in die Bewertung hineinwachsen.

Nun ist klar, die neue Zeitrechnung hat nicht begonnen. Auch bei den Hype-Aktien Gamestop und AMC hat sie nicht begonnen. Der Kurs von AMC stand einmal bei mehr als 70 USD. Aktuell stehen weniger als 18 USD auf dem Kurszettel.

Die Liste an Beispielen lässt sich ewig fortführen, von groß (Dotcom-Blase zur Jahrtausendwende) bis klein (3D-Druckaktien 2013/14). Am Ende kehren die Bewertungen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Der Glaube an neue Zeitrechnungen hält den Naturgesetzen des Finanzmarktes nicht stand.

Umso beunruhigender ist es, wenn es Märkte gibt, in denen sich eine neue Zeitrechnung andeutet. In diesem Fall ist es der Immobilienmarkt. Beispielhaft gehe ich auf die USA ein, da dort die längste verlässliche Datenreihe existiert. Das Prinzip gilt allerdings fast global, zumindest aber in Nordamerika, Europa, Australien, Neuseeland usw.

Seit Pandemiebeginn hat sich die Aufwertung von Immobilien rasant beschleunigt. In den USA steigen die Preise auf Jahressicht mit fast 20 %. Ob Kanada, Neuseeland oder Deutschland, zweistellige Preisanstiege sind nicht die Ausnahme, sie sind die Regel. Das ist außergewöhnlich. In den USA kam es bisher nur einmal zuvor zu einem ähnlichen Anstieg. Das war gegen Ende des Zweiten Weltkrieges (Grafik 1).

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Langfristig tendieren Immobilienpreise nach Berücksichtigung der Inflation seitwärts (Grafik 2). In den USA lagen die realen Preise von 1890 bis zur Jahrtausendwende in einer gut definierten Bandbreite. Während des Ersten Weltkrieges und der Großen Depression fielen die Preise unter diese Bandbreite. Mit der Flucht in Sicherheit und Knappheit Ende des Zweiten Weltkrieges wurde diese Unterbewertung wettgemacht.

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Selbst die Große Inflation der 70er Jahre führte nicht dazu, dass Immobilienpreise als sichere Häfen überbewertet wurden. Erst in diesem Jahrhundert bewegen sich die Preise oberhalb der Bandbreite, die immerhin über 100 Jahren Gültigkeit hatte. Man fragt sich, hat da eine neue Zeitrechnung begonnen, in der Immobilien permanent mehr wert sind?

Viele werden sofort an die niedrigen Zinsen denken. Sind die Zinsen niedrig, kann man sich einen höheren Kredit leisten. Folglich können auch die Immobilienpreise steigen. Tendenziell steigen Immobilienpreise mit den Zinsen und nicht umgekehrt (auch wenn das intuitiv wäre). Waren die Realzinsen positiv, stiegen auch die Immobilienpreise und umgekehrt (Grafik 3).

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Der Zusammenhang weicht seit den 90er Jahren auf und scheint seit der US-Immobilienkrise vor 15 Jahren gar nicht mehr zu gelten, insbesondere nicht heute. Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass eine neue Zeitrechnung begonnen hat. Bewertungen, ob bei Immobilien oder Aktien, können nicht ewig in den Himmel wachsen. Sie kehren unweigerlich wieder auf ein Normalmaß zurück.

Folglich kommt es global in den kommenden fünf bis zehn Jahren zu einer schmerzhaften Korrektur bei Immobilienpreisen oder etwas anderes geht vor sich. Immobilien sind Sachwerte und wer nicht mehr an Papiergeld glaubt, bringt es in Sachwerten in Sicherheit. Auch der Aktienmarkt ist hoch bewertet. Die hohe Bewertung kann auch das erste Anzeichen einer Flucht in Sachwerte sein. Beides verheißt nichts Gutes.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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