Holprig, hart oder gar nicht – wie landet die Wirtschaft?
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Nach fast fünf Monaten wirkt sich der Ukraine-Konflikt deutlich und nachhaltig auf die Weltwirtschaft aus. Er trieb die Inflation auf den Höchststand seit mehreren Jahrzehnten, was die Zentralbanker zu Zinserhöhungen zwang. Dies wiederum beschleunigte den wirtschaftlichen Abschwung nach einem Jahr mit Rekordwachstum. Die Veränderungen sind so gravierend, dass sie neue Szenarien rechtfertigen. Unsere „Landungsszenarien“ zeigen drei Möglichkeiten auf, wie diese Entwicklungen sich lösen und den nächsten Zyklus in Gang setzen könnten.
„Holprige Landung“: das Basisszenario
Der Ausgangspunkt unserer Überlegungen sind die außergewöhnlich hohen Inflationsraten fast überall. Eine wichtige Hypothese des Basisszenarios ist, dass die Inflation in den USA und Europa im zweiten oder dritten Quartal ihren Höhepunkt erreicht oder bereits erreicht hat, und dass sich die Inflationsraten 2023 und darüber hinaus allmählich normalisieren werden.
Mit anderen Worten: Wir gehen davon aus, dass Faktoren wie Energiepreise und Lieferkettenprobleme so stark sind, dass die Inflation nur allmählich zurückgeht. Sie ist jedoch nicht stark genug, um die Inflation von den derzeit hohen Niveaus aus viel höher zu treiben. Die Löhne werden in diesem Jahr voraussichtlich überdurchschnittlich steigen, aber die schwächelnde Wirtschaft und die Maßnahmen der Zentralbank werden dafür sorgen, dass die Inflation in den kommenden Jahren nicht außer Kontrolle gerät.
Der anhaltende Inflationsdruck lässt vermuten, dass die Zentralbanken ihren Zinserhöhungszyklus zumindest in diesem Jahr fortsetzen werden. Wir gehen davon aus, dass der Leitzins Ende 2022 bei 3,50 % und der Zinssatz der EZB-Einlagefazilität bei 0,75 % liegen wird.
Wir erwarten, dass sich die Konjunktur in den USA deutlich abschwächen, aber eine Rezession vermieden wird, während wir für die europäische Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte eine moderate Rezession erwarten.
Zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Kommentars könnten sich die USA bereits kurz vor einer technischen Rezession befinden, die als zwei aufeinander folgende Quartale mit negativem Wachstum des realen BIP definiert ist.
Das makroökonomische Basisszenario ist geprägt von einem Wirtschaftsabschwung, gefolgt von einer schwachen Erholung, einer hohen Inflation, die sich nur langsam normalisiert, und einem Zinserhöhungszyklus, der innerhalb eines Jahres seinen Höhepunkt erreichen könnte. Wir bezeichnen dieses Szenario als „holprige Landung“, weil es eine „harte“ Rezession vermeidet und weil die Bezeichnung „weiche Landung“ angesichts der Volatilität, des Drucks und der Unsicherheit nicht angemessen erscheint.
Vor diesem Hintergrund erwarten wir, dass die Märkte für den Rest des Jahres mehr Wachstums- und Inflationssorgen einpreisen werden. Dies bedeutet niedrigere Aktienbewertungen, moderat höhere Zinsen und weitere Credit Spreads. Für die Märkte ist dies ein Stressszenario, bei dem in der zweiten Jahreshälfte mit hoher Volatilität und einem Ausbrechen in die eine oder andere Richtung zu rechnen ist. Ein Zeichen für einen möglichen Wendepunkt wird sein, dass die Zentralbanken ihre Zinserhöhungen einstellen, weil sie mit der Inflationsentwicklung zufrieden und die Wirtschaftsdaten nicht mehr rückläufig sind. Ein solcher Wendepunkt wird natürlich zu attraktiven Bewertungen an den Aktien- und Spread-Märkten führen.
Die Renditen der nächsten drei Jahre, die mit dem Basisszenario übereinstimmen, erfassen daher sowohl die Abschwung- als auch die Erholungsphase. Der erwartete Anstieg der Staatsanleihenrenditen macht diese Anlageklasse unattraktiv. Das lange Ende (30 Jahre) ist besonders betroffen, da wir davon ausgehen, dass sich die derzeitige ungewöhnliche Umkehrung des 30-10-jährigen Spreads irgendwann normalisieren wird. Die Risikobereitschaft bei Anlagen wie Aktien und renditestarken Spread-Investments dürfte belohnt werden. Allerdings liegen die erwarteten Renditen in den meisten Anlageklassen unter ihrem langfristigen Durchschnitt. Mit anderen Worten: Wenn sich das Basisszenario bewahrheitet und die Märkte in den nächsten 6-12 Monaten ihren Tiefpunkt erreichen, stehen den Anlegern Einstiegspunkte offen, die eine Rendite erwarten lassen, die eher dem langfristigen Durchschnitt entspricht.
„Keine Landung“: Voraussetzungen für eine strukturell hohe Inflation
In diesem Jahr führen die Anleger eine berechtigte Debatte darüber, ob die jüngsten Inflationsanstiege einen Übergang zu einer strukturell höheren Inflation darstellen. Verschiedene Veränderungen im politischen und wirtschaftlichen Umfeld sprechen für eine solche These. Der zunehmende strategische Wettbewerb zwischen einem Block unter Führung der USA und einem Block unter Führung Chinas ist ein Problem, das die Lösung der globalen Lieferkettenprobleme erschwert. Darüber hinaus ist das Risiko einer weiteren Eskalation des Ukraine-Konflikts hoch, was zu erneuten Schocks bei den Rohstoffpreisen führen könnte.
Das „Keine Landung“-Szenario beschreibt, was unserer Meinung nach notwendig ist, um eine strukturell höhere Inflation zu verursachen. Erstens wäre eine Abfolge von mehreren Inflationsschocks erforderlich, um eine anhaltende Inflationsunsicherheit zu schaffen. Die Erfahrung aus den 1970er Jahren zeigt, dass strukturelle Probleme im Energiesektor eine mögliche Quelle für mehrfache Schocks sind.
Zweitens müssten die Zentralbanker ihre Glaubwürdigkeit bei der Bekämpfung der Inflation verlieren. Deshalb haben verschiedene Zentralbanken, darunter die Fed, die EZB und die Bank of England, in den letzten Monaten das Tempo des Zinserhöhungszyklus deutlich erhöht. Die Finanzmärkte deuten darauf hin, dass die langfristigen Inflationserwartungen derzeit gut verankert sind.
Drittens müsste eine Lohn-Preis-Spirale entstehen, um die Inflationsschocks aufrechtzuerhalten. Wir gehen zwar davon aus, dass die Löhne in diesem Jahr überdurchschnittlich steigen werden, vor allem in den USA, aber die Anzeichen für eine breite und dauerhafte Zunahme des Lohnwachstums sind bisher uneinheitlich.
Das „Keine Landung“-Szenario beschreibt eine mögliche Zukunft, in der es in den kommenden Monaten zu weiteren Inflationsschocks kommt. Die Zentralbanker in den USA und Europa würden den Fehler machen, auf diese neuen Schocks nicht zu reagieren und aufgrund von Rezessionsängsten nicht einmal die erwarteten Zinserhöhungen vorzunehmen. Die Unternehmen würden ihre Marktmacht nutzen, um höhere Inputkosten an ihre Kunden weiterzugeben, während die Arbeitnehmer in den kommenden Jahren höhere Löhne und eine automatische Lohnindexierung durchsetzen würden. In diesem Umfeld würden Anleger und Verbraucher langfristig höhere Inflationserwartungen hegen.
Für die Märkte hätte dies zur Folge, dass die Zentralbankzinsen weniger stark ansteigen würden als im Basisszenario, die Zinsen für Staatsanleihen würden jedoch aufgrund der höheren Inflation und der schwindenden langfristigen Verankerung schneller steigen. Während die Rezessionsängste aufgrund der lockeren Geldpolitik abnehmen würden, würde sich der Wachstumskurs der Industrieländer aufgrund der höheren Unsicherheit verlangsamen. Dies würde die Unternehmensgewinne unter Druck setzen, was wiederum die Aktienbewertungen belasten würde. Die Schwellenländer wären aufgrund eines schwachen US-Dollars weniger stark betroffen. Insgesamt würde das „Keine Landung“-Szenario im Allgemeinen zu niedrigeren erwarteten Renditen führen als das Basisszenario.
„Harte Landung“: das Manuskript für eine US-Rezession
Eine weitere wichtige Debatte unter den Anlegern betrifft die Frage, ob das derzeitige Umfeld mit hoher Inflation und geldpolitischer Straffung die US-Wirtschaft bereits in eine Rezession treibt. Wir haben bereits festgestellt, dass die US-Wirtschaft kurz vor einer technischen Rezession steht. Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass die Stabilität des Verbraucher- und des Arbeitsmarktes die US-Wirtschaft vor einer weitreichenden Rezession bewahrt.
Um das „Harte Landung“-Szenario hervorzurufen, müssen die Fed und die EZB aufgrund von Inflationsbefürchtungen ihren geldpolitischen Straffungskurs weiter beschleunigen. Man denke an den Zinserhöhungszyklus der Fed von 2004 bis 2006, als der Leitzins innerhalb von fast zwei Jahren um 4,25 % anstieg. Im „Harte Landung“-Szenario gehen wir von einem schnellen und aggressiven Zinserhöhungszyklus aus, bei dem die Leitzinsen in den USA Ende 2022 bei 4,5 % und im Euroraum bei 2,0 % liegen. Diese übermäßige Straffung würde die Inflation auf Kosten einer Rezession in den USA und einer schweren Double-Dip-Rezession im Euroraum eindämmen.
Die Marktreaktionen dürften früheren Rezessionen entsprechen; allerdings würden die hohen Zinssätze der Zentralbanken auch die auf den Anleihemärkten erzielten Erträge verringern. Die Aktienmärkte würden in diesem und im nächsten Jahr weitere Korrekturen erleben. Trotz einer anschließenden Erholung würden die Aktienmärkte in den nächsten drei Jahren im negativen Bereich enden. Wir sehen die Anleiherenditen in diesem Szenario auf einem höheren Niveau, da der aggressive Zinserhöhungszyklus die Inversion der Renditekurve, die typischerweise während Rezessionen auftritt, überkompensiert. Die Credit Spreads weiten sich auf ein Niveau aus, das einer Rezession entspricht, und die Ausfallraten steigen, allerdings macht der höhere Leitzins Kredite attraktiver, sobald der Tiefpunkt der Rezession überwunden ist. Diese Rezession wäre nicht auf Probleme im Finanzsystem zurückzuführen, sodass die Risikoprämien nicht das Niveau der Krise von 2008-09 erreichen würden. Auf Sicht von drei Jahren wäre das „Harte Landung“-Szenario das schlechteste Szenario für Multi-Asset-Anleger.
Ausblick
Unser Basisszenario „Holprige Landung“ deutet zwar auf wirtschaftliche Herausforderungen bezüglich Wachstum, Inflation und Zinserhöhungszyklus hin, jedoch dürften diese letztendlich begrenzt sein. Wir gehen davon aus, dass die Märkte in den nächsten 6-12 Monaten einen Tiefpunkt erreichen werden. Die Bodenbildung der diesjährigen Marktkorrekturen schafft die Voraussetzungen für höhere Renditen in der Zukunft. Und ein neuer Zyklus mit attraktiveren Bewertungen für die Aktien- und Anleihemärkte wird beginnen. Aktives Management kann dabei helfen.
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