Kommentar
09:00 Uhr, 23.04.2008

Hausgemachte Probleme setzen der türkischen Börse zu

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Der Istanbuler Aktienmarkt ist bekannt für seine volatilen Ausschläge. Und dafür, dass hausgemachte Probleme immer wieder einmal für unerwartete Schwierigkeiten sorgen. Diese Tradition findet auch aktuell eine Fortsetzung. Dabei hat sich die Befürchtung, die eingeleiteten militärischen Operationen im Nordirak gegen die dort stationierten PKK-Kurden könnten sich als größtes Risiko entpuppen, noch nicht einmal bewahrheitet.

Aber weil es den Türken erfahrungsgemäß nicht schwer fällt, sich immer wieder selbst ein Bein zu stellen, haben sie inzwischen ein anderes Pulverfass aufgemacht. Gemeint ist damit dem mittlerweile gerichtlich genehmigten Verbotsantrag des türkischen Generalstaatsanwalts gegen die islamisch-konservative Regierungspartei AKP. Begründet wird das Vorgehen mit dem angeblichen Versuch der AKP, die Türkei zu islamisieren, was nicht verfassungskonform wäre. Die Anklage, die unter anderem das Ziel verfolgt, den Staatspräsidenten und den Regierungschef ihrer Ämter zu entheben, birgt erhebliches Konfliktpotenzial. Schließlich wurde die AKP erst unlängst mit einem Stimmenanteil von 47 Prozent im Amt bestätigt.

Sollte die Klage Erfolg haben, befände sich das Land mit offenem Ausgang mitten in einer Staatskrise. Und solange diese Gefahr droht, dürfte das viele Investoren abschrecken. Zumal dann auch viele dringend erforderliche Reformen zunächst ausbleiben dürften. Am Tag, als die Klage publik wurde, sind die Kurse jedenfalls sehr stark eingebrochen. Mit dadurch bedingt ist der ISE National 100 Index Mitte Oktober bis Ende April in der Spitze um gut 33 Prozent eingebrochen.

Innenpolitik, Inflation und Leistungsbilanz belasten

Die schwache Bilanz hat aber natürlich auch mit der allgemein schlechte Verfassung der Weltbörsen zu tun. Die Kreditkrise und die deswegen gestiegene Risikoaversion haben der Türkei mächtig zugesetzt. Zumal das Land volkswirtschaftlich gesehen auch offene Flanken hat. Zu nennen ist da unter anderem die Inflation. Diese hat sich zuletzt wieder beschleunigt und die im März erreichte Rate von 9,2 Prozent hat die Notenbank dazu gebracht, ihren zuvor eingeleiteten Zinssenkungskurs auszusetzen. Das wiegt deshalb besonders schwer, weil der Leitzins mit 15,25 Prozent noch immer der höchste in Europa ist und die Marktteilnehmer zum Jahreswechsel von stetig fallenden Zinsen ausgegangen waren.

Eine echte Bürde stellt zudem in Zeiten hoher Risikoabneigung auch die Leistungsbilanz dar. Nachdem das Bruttoinlandsprodukt jüngst durch die Angleichung der Berechnungsmethode an den EU-Standard um 32 Prozent nach oben revidiert wurde, hat das zwar zu einer deutlichen Verbesserung der makroökonomischen Daten geführt. So ist das Leistungsbilanzdefizit dadurch von 7,7 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt auf 5,8 Prozent gesunken. Die meisten Akteure machen sich aber dennoch Sorgen über die Finanzierung dieses Lochs, auch wenn dies derzeit wegen der hohen ausländischen Direktinvestitionen noch kein Problem darstellt.

Die Analysten bei Goldman Sachs warnten jedenfalls gleich davor, sich wegen des höher geschätzten Bruttoinlandsprodukts zu viele positive Impulse zu erhoffen. Vielmehr hieß es, das Land sei wegen der weltweiten Kreditkrise, den hauseigenen strukturellen volkswirtschaftlichen Schwächen weiter sehr anfällig. Zusätzlich wurde auch noch auf das nachlassende Wirtschaftswachstum verwiesen. Im vierten Quartal hat sich das Plus beim Bruttoinlandsprodukt mit 3,4 Prozent auf die tiefste Zuwachsrate seit fünf Jahren verringert. Die zurückhaltende Einschätzung hat sich inzwischen auch als richtig erwiesen. Denn Standard & Poor´s hat den Ausblick für die Kreditwürdigkeit von stabil auf negativ gesenkt. Zur Erklärung für den Schritt sagte Farouk Soussa: „Der negative Ausblick spiegelt unsere Sorgen hinsichtlich des schwieriger gewordenen Umfelds in der Innenpolitik und der globalen Konjunktur wider.“

Günstige Bewertungen

Das sind alles keine Punkte, die zum Kauf türkischer Aktien einladen. Allerdings haben die bereits erlittenen Kursverluste auch einen positiven Nebeneffekt. Nämlich den einer niedrigen Bewertung. So beziffern die Analysten bei EFG Securities das KGV des Gesamtmarktes für 2008 auf gut acht und das EV/Ebitda auf 4,8. Bei BCA Research kommt man deshalb zu dem Schluss, dass türkische Aktien gemessen an den Fundamentaldaten schon zu sehr abgestraft worden sind. Aus der Sicht der BCA-Analysten werden die politischen Risiken durch die attraktiven Bewertungen wettgemacht.

In der Tat warten etliche Titel mit außergewöhnlichen Bewertungskennziffern auf. So werden die Bank TSKB und der Versicherer Anadolu Sigorta unter ihren Buchwerten gehandelt und der Stahlproduzent Kardemir kommt auf Basis der diesjährigen Gewinnschätzungen nur auf ein KGV von drei. Beeindruckend sind auch die Dividendenrenditen, die viele Zementhersteller bieten. So werfen die Aktien von Cimsa eine Rendite von gut 15 Prozent ab. Das ist insbesondere dann verlockend, wenn man dem Branchenverband Glauben schenkt. Denn der sagt für dieses Jahr einen Anstieg der inländischen Nachfrage von acht Prozent auf 47,3 Mio. Tonnen voraus.

Allerdings haben günstige Bewertungskennziffern zuletzt weder den Zementaktien noch der gesamten türkischen Börse viel geholfen. Vielmehr ist zuletzt sogar der langfristige Abwärtstrend gebrochen worden, was charttechnisch gesehen ein schlechtes Signal ist. Zudem haben die Probleme auch die Landeswährung arg unter Druck gesetzt. Aufhellen dürfte sich die Lage erst, wenn die Nachwehen der Kreditkrise nachlassen und die Türkei den innenpolitischen Konfliktherd entschärfen kann. Nur bei dieser Konstellation dürften sich die Anleger von den niedrigen Bewertungskennziffern aus der Reserve locken lassen.

Quelle: Ostbörsen-Report

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Über den Experten

Jochen Stanzl
Jochen Stanzl
Chefmarktanalyst CMC Markets

Jochen Stanzl begann seine Karriere in der Finanzdienstleistungsbranche als Mitbegründer der BörseGo AG (jetzt stock3 AG), wo er 18 Jahre lang mit den Marken GodmodeTrader sowie Guidants arbeitete und Marktkommentare und Finanzanalysen erstellte.

Er kam im Jahr 2015 nach Frankfurt zu CMC Markets Deutschland, um seine langjährige Erfahrung einzubringen, mit deren Hilfe er die Finanzmärkte analysiert und aufschlussreiche Stellungnahmen für Medien wie auch für Kunden verfasst. Er ist zu Gast bei TV-Sendern wie Welt, Tagesschau oder n-tv, wird zitiert von Reuters, Handelsblatt oder DPA und sendet seine Einschätzungen über Livestreams auf CMC TV.

Jochen Stanzl verfolgt einen kombinierten Ansatz, der technische und fundamentale Analysen einbezieht. Dabei steht das 123-Muster, Kerzencharts und das Preisverhalten an wichtigen, neuralgischen Punkten im Vordergrund. Jochen Stanzl ist Certified Financial Technician” (CFTe) beim Internationalen Verband der technischen Analysten IFTA.

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