Kommentar
08:16 Uhr, 22.09.2018

Hat der Westen schon verloren?

Die Welt befindet sich an einem Wendepunkt. Es geht am Ende um Wohlstand und Einfluss in der Welt. Darum wird gerade gekämpft, auch durch die Handelspolitik.

Kaum etwas beschreibt die Situation so wie die Verteilung der Weltwirtschaftsleistung (siehe Grafik). Bis zum 17. Jahrhundert waren China und Indien Großmächte. Sie machten über zwei Drittel der Weltwirtschaftsleistung aus. Das muss man sich einmal vorstellen. Zwei Drittel ist gigantisch.

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Der Grund dafür war ziemlich einfach. Beide Länder waren damals wie heute sehr bevölkerungsreich. Die Produktion war entsprechend groß. Die Wirtschaftsleistung wurde vor allem durch die Masse an Menschen bestimmt. Im 18. und 19. Jahrhundert änderte sich das radikal. Der Anteil an der Weltwirtschaftsleistung schrumpfte um die Hälfte und fiel bis Anfang des 20. Jahrhunderts auf unter 15 %.

Im Gegenzug stieg der Anteil der Europäer, Großbritanniens und der USA massiv an. Irgendetwas ist da also vorgefallen. Es war die industrielle Revolution. Diese führte zu einer tektonischen Bewegung, die bis vor kurzem anhielt.

China und Indien waren bis zur industriellen Revolution die Werkbanken der Welt. Sie hatten nicht nur eine große Bevölkerung, sondern stellten auch vergleichsweise billige Arbeitskräfte. Dies galt insbesondere für Indien, welches für Großbritannien und die Welt produzierte.

Dies ging nur, weil Arbeitskräfte vorhanden waren und diese relativ zum Westen weniger verdienten. Das Lohngefälle war auch damals schon ein Grund für die Auslagerung der Produktion. Es lohnte sich einfach nicht mehr, in Großbritannien Textilien zu fertigen. Es war zu teuer.

Die industrielle Revolution änderte das. Durch Automatisierung wurde die Industrie plötzlich so produktiv, dass sie konkurrenzfähig wurde. Automatisierung verdrängte die billigen Arbeitskräfte. Maschinen waren viel produktiver als menschliche Arbeit.

In Großbritannien gab es zwar Aufstände und Maschinen wurden zerstört, doch am Ende setze sich die Technologie durch. Obwohl in Großbritannien nur 3 % der Weltbevölkerung stellte, erbrachte es 10 % des Outputs.

Der technologische Fortschritt im Westen führte zum Niedergang anderer Regionen. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts. Länder wie China holten auf. Sie hatten nun nicht nur billige Arbeitskräfte, sondern konnten auch Technologie nutzen. Die Mischung aus Technologie (Automatisierung) und billiger Arbeitskraft machte sie plötzlich wieder konkurrenzfähig. Die Produktion wanderte aus dem Westen wieder ab.

Der Westen ist trotzdem nicht niedergegangen. Jobs, die weniger Qualifikation benötigten, wurden durch Jobs ersetzt, für die es eine Ausbildung brauchte. Bildung war der Vorsprung, den der Westen hatte. Nun holen andere Regionen auch in diesem Bereich auf und bisher ist nicht absehbar, mit welchem Gut der Westen seinen Vorsprung behalten kann.

Würde sich die Geschichte wiederholen, dann kommt mit der nächsten technologischen Revolution eine neuerliche Trendumkehr. Die Produktion würde wieder in den Westen wandern. Dabei gibt es nun aber zwei Probleme. Wenn es keine Produktion mehr gibt, kann man sie auch schlecht wieder ausweiten. Die Abwanderung von Industrie ist heute sehr viel dramatischer als damals.

Die Welt ist heute zudem sehr viel offener als noch vor 200 Jahren. Man muss sich nur die Zölle ansehen. Sie lagen im Durchschnitt bei 50-70 %. Heute sind es 5-10 %. Es gibt keinen zusätzlichen Anreiz mehr, die Produktion zurückzuholen. Durch zunehmende Automatisierung und vernachlässigbare Zölle sind der einzige Nachteil der Produktion im Ausland die Transportkosten. Diese lassen sich z.B. durch attraktive Steuern im Ausland problemlos ausgleichen.

Die Jobs kommen nie mehr zurück. Gleichzeitig holen andere Regionen nicht nur auf, sondern überholen uns sogar. Man denke nur an Bildung. In den USA kann sich das kaum jemand leisten. Das ist ein absoluter Nachteil, wenn man darauf hofft, Jobs mit geringeren Ansprüchen durch Jobs mit höherer Qualifikation zu ersetzen.

Geht es um Wohlstand und damit auch Einfluss, denke ich nicht, dass sich die Geschichte wiederholen wird und der Westen den Trend umkehren kann. Es gibt nicht die geringste Andeutung einer neuen Revolution, die das bewerkstelligen könnte. Stattdessen preschen China und andere Länder voran. Trumps Zölle kommen ungefähr 20 Jahre zu spät.

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4 Kommentare

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  • Lois
    Lois

    Spannende Fragen. 2 Fragen dazu:
    1. was heißt genau "Wirtschaftsleistung" wenn im Zeitraum 2007-2017 zumindest nach Augenmaß der Anteil der USA und Englands(!) erkennbar gestiegen ist, der von Europa (West? EU?) dagegen noch deutlicher gefallen ist? Meine Vermutung: Finanzdienstleistungen nach dem Krisenschock. Aber dann wäre der Nutzen dieses relativen Wachstums wohl kaum London zuordenbar, dort bleiben "nur" Gewinne und Gehälter.
    2. "Technologie" erklärt die relativen Etwticklungsunterschiede kaum (und die Literatur dazu ist, naja lang/weilig). Wie liesse sich, ganz aktuell, zb die drastisch unterschiedliche Performance von 1,3 Mrd Chinesen in Vergleich zu 1,2 Mrd Indern über den Faktor "Technilogie" erklären? Von der langdauernden Dominanz einer kleinen kargen Insel über Ozeane und Kontinente dieser Welt mal ganz zu schweigen. Erklärungen gibt´s viele, Vorhersagen auch. Ich würde "Why Nations Fail" empfehlen und .. . Hoffnung schöpfen.

    Der technologische Vorsprung des Westens und mittlerweile auch von Staaten wie Japan war immer in seinen Institutionen begründet. So unvollkommen Parteiendemokratie, Arbeitermitbestimmung, Rechtstaat usw auch sein mögen, so sehr um jedes einzelne Element, jeden Fortschritt (und gegen jede Dekonstruktion) auch gekämpft werden musste und muss: Technologischer Wandel erfordert gesellschaftliche Adaption und offene demokratische Systeme werden in diesem entscheidenden Punkt immer im Vorteil gegenüber autoritär/ totalitär geführten Gesellschaften sein.

    Mit einer Einschränkung: Wenn totalitäre Regime am (technologischen wie politischen) Wandel scheitern steht ihren Führern die Möglichkeit offen, Kriege, nach innen wie nach außen, zu inszenieren. Zufall oder nicht, die Geschichte ist auch in diesem Fall nicht auf der Seite von Putin, Xi und Co. Was allerdings, und dies ist die technologische wie institutionelle Herausforderung, offenbar immer aufs neue zu beweisen ist.

    17:13 Uhr, 24.09.2018
  • Glattsteller
    Glattsteller

    Genau und die ganzen importierten dritte Welt Nassauer machen die Sache auch nicht besser. Europa hat doch schon jetzt ein völlig von der Realität abgekoppeltes Sozialsystem. Und mit immer weiter steigenden Sozialkosten, wird man als Wirtschaftsstandort auch nicht unbedingt attraktiver. Und zum Thema Bildung. Heute studieren mehr Menschen als je zuvor. Und trotzdem scheint es nichts zu bringen. Ohne Rohstoffe und inhaltsleerer Bildung sind wir on the longrun auf der Verliererseite würde ich sagen.

    13:19 Uhr, 24.09.2018
  • Shiller
    Shiller

    Sehr guter Beitrag. Schaut euch mal die Uni-Bibliotheken an: der deutsche Akademiker-Schnösel sitzt im Englischen Garten auf eine Maß Bier, während die Asiaten fleißigst ihre Arbeiten schreiben. Ja, die überholen uns, und zwar verdient!

    07:49 Uhr, 24.09.2018
  • Pitjupp
    Pitjupp

    Ein weiterer wichtiger Faktor ist die Größe eines Wirtschaftsraums. Der ist u.A. durch Gesetze und andere gemeinsame Rahmenbedingungen definiert. Auch hier sind die asiatischen Länder deutlich im Vorteil, wir (und damit meine ich Europa) dagegen deutlich im Nachteil. Eine Region (hier Europa) schafft es entweder, die Größe des Wirtschaftsraums den Produktivkräften anzupassen oder fällt zurück. Daher haben die ganzen populistischen Bewegungen, die sich auf eine aus dem 19. Jahrhunder stammende Nationalromatik gründen, keine Chance sich durchzusetzen. Die wirtschaftliche Realität wird sie schlicht von der Agenda fegen. Wer das zu spät begreift, wie unsere verehrten Soli-Nassauer im von wirtschaftlichen Notwendigkeiten abgekoppelten Osten des Landes, fällt im Weltzusammenhang zurück. Wenn wie Europäer es nicht in naher Zukunft schaffen, das Potential unseres Wirtschaftraumes besser zu erschließen-sicher am besten in enger Partnerschaft mit einem räumlich benachbarten, rohstoffreichen Wirtschafts-Großraum-wird das nächste Jahrhundert an uns vorbeilaufen. Wir liefern dann Schweinehälften und Kartoffeln, die Computer kommen jetzt schon aus China, und schon bald die Maschinen, die sie herstellen auch.

    18:09 Uhr, 23.09.2018

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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