Kommentar
07:57 Uhr, 18.09.2017

Happy Birthday, Lehman Pleite

Vor 9 Jahren musste Lehman Brothers Insolvenz anmelden. Viele befürchten, dass es immer noch jederzeit zu einer ähnlichen Krise kommen kann. Ist das realistisch und kann man sich davor schützen?

Wenn man diese Frage beantworten will, muss man erst einmal zurückschauen. Obwohl jeder weiß, dass wir vor nicht einmal einem Jahrzehnt kurz vor dem Zusammenbruch des Weltfinanzsystems standen, kann sich kaum noch jemand an die Details erinnern. Dabei sind es genau diese Details, die die Frage beantworten und aus denen man die Lehren ziehen kann.

Es fing 2007 eigentlich alles ganz harmlos an. Im Juni 2007 wurde berichtet, dass ein von Bear Stearns gemanagter Hedge-Fonds hohe Verluste schrieb, die auf Subprime Hypotheken zurückzuführen waren. Einen Monat später informierte Bear Stearns Investoren darüber, dass dieser und ein zweiter Hedge-Fonds nur noch wenig Wert hätten. Das war praktisch das Eingeständnis, dass die Bear Stearns Hedge-Fonds einen Totalverlust für Investoren herbeigeführt hatten.

Den Aktienkurs von Bear Stearns kümmerte das zunächst wenig (Chart 1). Nachdem der Totalverlust gemeldet wurde, verlor die Aktie zwar deutlich, konnte diese Verluste aber bis Oktober 2007 wieder fast vollständig wettmachen.

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Der Untergang der zwei Fonds war ein erster Warnschuss, den Anleger hätten hören können. Die meisten taten es nicht. Es war aber bei weitem nicht der einzige Warnschuss, bevor es richtig bergabging. Die Gewinne der Investment-Banken, die überproportional im Subprime Markt aktiv waren, brachen bereits im dritten Quartal 2007 deutlich ein (Grafik 2).

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Merrill Lynch begann als erste Investmentbank den Reigen von Abschreibungen und hohen Verlusten. Ende 2007 folgte Bear Stearns mit fast 1 Mrd. Verlust. Danach ging es schnell. Und hier wird es richtig interessant.

Die Zahlen für das erste Quartal des Geschäftsjahres präsentierte Bear Stearns Ende Februar 2008. Die Bilanzsumme stand bei 400 Mrd. Dollar. Das Eigenkapital belief sich auf 12 Mrd. Zudem wurde ein Gewinn von 115 Mio. ausgewiesen. Nur zwei Wochen später kam allerdings die Insolvenz. Wieso?

Investoren realisierten in den ersten beiden Monaten 2008, dass aus dem Subprime Bereich weitere Verluste zu erwarten waren. Wenn eine Bank Verluste schreibt, muss sie diese Verluste irgendwie auffangen. Das geschieht über die Eigenmittel. Davon hatte Bear Stearns 12 Mrd. Auf die Bilanzsumme gerechnet waren das 3 %. Mit anderen Worten: würden die Assets der Investmentbank nur 3 % an Wert verlieren, wäre sie bankrott.

Nun hielt Bear Stearns ungefähr 40 Mrd. an Hypothekenpapieren, von denen nicht einwandfrei klar war, wie viel sie eigentlich wert sind. Andere Banken, über die sich Bear Stearns über den Interbankenmarkt finanzierte, begannen diese Papiere nicht mehr als Sicherheiten zu akzeptieren. Leiht sich eine Bank bei einem anderen Finanzinstitut oder auch bei der Zentralbank Geld, muss sie Sicherheiten hinterlegen.

Bear Stearns konnte sich damals als Investmentbank nicht über die Notenbank refinanzieren. Sie war auf andere Banken angewiesen. Konkret borgte sich Bear Stearns kurzfristig (Laufzeiten von wenigen Tagen) knapp 100 Mrd. Dollar. Wenn nun Wertpapiere, die 40 Mrd. an Hypothekenpapieren, nicht mehr als Sicherheit akzeptiert werden, reißt das ein enormes Loch in die notwendige Refinanzierung.

Bear Stearns hatte Ende Februar noch 20 Mrd. an Barmitteln zur Verfügung. Zwei Wochen später waren diese weg, einfach, weil ein Teil der Assets nicht mehr als Sicherheiten für Kredite akzeptiert wurden. Da trat fast in den Hintergrund, dass die Investmentbank nur geringe Eigenmittel hatte, um Verluste abzufedern.

Bear Stearns wurde Mitte März an JPMorgan notverkauft. Die Notenbank garantierte die Refinanzierung von 30 Mrd. an zweifelhaften Assets. Verluste waren also nie das Problem von Bear Stearns. Es war die fehlende Liquidität.

Anders sah das bei Lehman Brothers aus. Doch lange bevor es überhaupt zur Insolvenz von Lehman kam, hätten Anleger spätestens bei Bear Stearns erkennen können, dass sich enorme Systemrisiken auftürmten. Bear Stearns musste gerettet werden, weil sich Banken und Investmentbanken untereinander nicht mehr vertrauten.

Das brachte auch Lehman zu Fall. Doch selbst wenn Lehman weiterhin Liquidität bereitgestellt worden wäre, hätte die Bank wohl nicht überlebt. Lehman hatte Eigenmittel von 22 Mrd. bei einer Bilanzsumme von 640 Mrd. Allein bei den Verlusten, die Lehman innerhalb des ersten Halbjahres 2008 ansammelte, hätte das Eigenkapital wohl kein Jahr mehr gereicht, um die Verluste zu absorbieren. Dass unter solchen Umständen andere Banken keine Finanzierung mehr bereitstellen, ist eigentlich klar.

Auch der Aktienkurs spiegelt dies wider (Grafik 3). Einen Tag vor der Pleite war Lehman nur noch ein paar Milliarden wert. 14 Monate zuvor waren es noch 60 Mrd. Selbst zu einem Preis von 0 Dollar hätten andere Banken Lehman nicht übernommen. So scheiterte auch der Versuch, Lehman über das Wochenende zu verkaufen.

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Andere Banken hatten schlichtweg Angst. Lehman borgte sich kurzfristig 200 Mrd. Eine Woche vor dem Bankrott hatte Lehman noch 45 Mrd. an Barmitteln. Am Tag des Bankrotts waren diese praktisch weg. Hätte jemand Lehman übernommen, hätte er vermutlich ein Liquiditätsloch von 150 Mrd. stopfen müssen. Unmöglich.
Freiwillig wollte das keine Bank. Das war auch richtig so. Merrill Lynch wurde durch eine Zwangsheirat mit der Bank of America gerettet. Die Bank of America zahlte dafür sogar 50 Mrd. Dollar. Möglich war das nur, weil Merrill Lynch nur noch 20 Mrd. an Hypothekenpapieren in der Bilanz hatte. Das Eigenkapital stand bei 38 Mrd. und die Kurzfristfinanzierung über andere Banken war im Vergleich zu Bear Stearns und Lehman Brothers kaum noch der Rede wert.

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Was können Anleger aus der Geschichte lernen?

Zunächst kann man sagen, dass der Bankensektor ganz speziell ist. Er ist das Rückgrat der Wirtschaft. Gibt es dort Systemrisiken wie sie nach Bear Stearns, kann man sich sicher sein, dass es knallen wird. Diese Risiken kommen nicht über Nacht. Sie deuteten sich ein Jahr lang an. Die Aktien der Investmenthäuser spiegelten das auch wider. Anleger waren einfach nur zu blind zu erkennen, dass die Gesamtwirtschaft ohne Banken nicht laufen kann.

Die Aktienkurse der Banken haben eindeutig gezeigt, dass Anleger die Risiken im Bankensektor gesehen haben. Ihnen kam nur nicht in den Sinn, dass das auch die Realwirtschaft betreffen könnte. Das ist die wichtigste Lehre: geraten Banken in Schieflage, sollte man die Beine in die Hand nehmen und rennen, was das Zeug hält. Das gilt seit Jahrhunderten und wird auch in der Zukunft nicht anders sein.

Krisen in anderen Sektoren sollte man nicht ignorieren, aber sie sind weitaus weniger gefährlich. Man denke nur an den Rohstoffsektor Ende 2015 und Anfang 2016. Die Situation für viele Unternehmen des Sektors war ähnlich prekär wie für viele Investmentbanken im Jahr 2008. Der Markt brach entsprechend ein, doch eine Krise, die die Gesamtwirtschaft mit nach unten gezogen hätte, gab es so nicht.

Eine Krise wie 2008 kann sich praktisch nur über das Finanzsystem ausbreiten und wiederholen. Kein anderer Sektor ist dazu in der Lage. Kann man sich davor schützen? Ja, man kann. Man darf einfach nur nicht die Augen verschließen und muss sich Eines merken: Probleme im Finanzsystem sind Krisengaranten. Nur, wer zuerst liquidiert, hat noch eine Chance.

Wird sich eine solche Krise bald wiederholen? Ich denke nicht, zumindest nicht bei uns. In China sieht es anders aus. Das Schattenbankensystem, größer als der US-Subprime Markt, schreit geradezu nach einem Liquidity Crunch.

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9 Kommentare

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  • 280a
    280a

    Zensurcheck...

    22:19 Uhr, 18.09. 2017
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    Genau. Geld wird es schon richten.

    18:23 Uhr, 18.09. 2017
  • Market Impact
    Market Impact

    Die Herrschaften des Finanzsystems haben bereits kurz nach der Kriese verkündet so einen Fehler, Lehmann pleite gehen zu lassen, nie wieder machen wollen. Also keine Panik Leute.

    16:51 Uhr, 18.09. 2017
  • Hoeli
    Hoeli

    Neun Jahre und schon wieder alles vergessen. Dabei kann unser Gehirn doch so viel mehr, wenn es richtig eingesetzt wird.

    Ich bin zwar bisher immer gegen die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens gewesen. Aber wenn die Zentralbanken für die Zocker-Banken und Zocker-Institutionellen unbegrenzte Liquidität zu Verfügung stellen, dann sollten auch die "kleinen Zocker" wie ich mitspielen dürfen.

    Gleiche Chancen für alle! Ich möchte auch mit fremdem Geld zocken, das ich im Zweifelsfall nicht mehr zurückzahlen muss.

    09:18 Uhr, 18.09. 2017
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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