Kommentar
16:02 Uhr, 31.08.2016

Großbritannien: Immer noch keine Krise in Sicht

Der Entscheid Großbritanniens, die EU zu verlassen, hat in mehreren Hinsichten überrascht. An vorderster Front steht die Wirtschaft.

Die Stimmung unter Verbrauchern und Unternehmen sackte direkt nach dem Referendum auf ein Mehrjahrestief. Die Stimmung war nicht nur schlecht, sie sackte auch so schnell ab wie seit den frühen 90er Jahren nicht mehr. Mit anderen Worten: selbst die Finanzkrise verdauten die Briten besser.

Zu dieser Eintrübung der Stimmung, die auch zwei Monate nach dem Referendum auf sehr niedrigem Niveau verharrt, passt die wirtschaftliche Entwicklung ganz und gar nicht. Die Brexit-Befürworter freuen sich daher. Sie hatten ja prophezeit, dass die Sache nicht so schlimm werde.

Der Konsum läuft nach wie vor rund. Man kann sogar von einem regelrechten Boom sprechen. Bevor man das jedoch den Briten und dem Brexit zuschreibt, darf man nicht vergessen, dass durch die Pfundabwertung viele Briten im Sommer spontan nicht ins Ausland gefahren sind, um Urlaub zu machen. Es sind also mehr britische Konsumenten im Land geblieben. Zugleich kamen mehr ausländische Gäste nach Großbritannien. Urlaub auf der Insel war selten so günstig.

Dass das Brexit-Votum zu keinem Boom führt, kann man auch anhand der Auftragslage in der Industrie sehen. Die Lage hat sich trotz der Abwertung der Währung kaum verbessert. Einen großen Impuls für die Industrie kann man nicht erwarten. Natürlich wird es etwas länger dauern, bis andere Ländern vermehrt britische Produkte kaufen, weil sie günstiger sind, doch sofern sie es vorhaben, ist davon noch nicht viel zu spüren. Während die tatsächlichen Umsätze nicht so schnell anspringen, müsste man den Effekt zumindest in der Auftragslage sehen. Diese war zuletzt nur minimal besser.

Die Lage in Großbritannien kann man so zusammenfassen: der große Kollaps, den die Brexit Gegner angekündigt haben, bleibt aus. Es bleibt aber auch der Boom aus, den Brexit Befürworter prophezeit haben. Man sieht aktuell nur, dass die Lage stabil ist. In einigen Monaten kann das ganz anders aussehen. Doch wie wird es aussehen?

Um diese Frage beantworten zu können, muss man wissen, welcher Indikator das zu erwartende Wachstum am besten voraussagt. Einer neuen Studie zu folge, die auf 50 Jahren an Daten beruht, kann man das Wirtschaftswachstum am besten anhand des Kreditwachstums vorhersagen.

Der Zusammenhang von Kredit- und Wirtschaftswachstum ist nun nicht unbedingt bahnbrechend. Rein intuitiv versteht man: Kredit wird aufgenommen, um zu konsumieren und zu investieren. Das führt zwangsläufig zu einer höheren Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen.

Kredit ist allerdings nicht gleich Kredit. Ein starkes Wachstum an Immobilienkrediten führt nicht zwangsläufig zu mehr Wirtschaftswachstum. Immobilienkredite führen der Studie zufolge zu einer Vermögenspreisinflation und langfristig zu Ungleichgewichten in der Wirtschaft, nicht aber unbedingt zu höherem Konsum und damit mehr Wachstum.

Konsumkredite sind für das Wirtschaftswachstum ein guter Indikator (siehe Grafik). Noch besser ist das Wachstum der Kreditvergabe an Unternehmen, insbesondere kleiner und mittlere Unternehmen. Nehmen diese Kredit auf, wird das Geld für gewöhnlich investiert. Bei Großunternehmen muss Kredit nicht zwangsläufig in Investitionen fließen. Es kann auch z.B. für Aktienrückkäufe verwendet werden.

Damit das Kreditwachstum nicht stockt hat die Bank of England die Zinsen gesenkt und ihr Anleihekaufprogramm wieder aufgenommen. Das führt nicht zwangsläufig zu einem robusten Kreditwachstum. Die Daten der letzten Jahrzehnte deuten vielmehr darauf hin, dass das Zinsniveau einen untergeordneten Effekt auf das Kreditwachstum hat. Banken scheinen sich sogar bei sehr niedrigen Zinsen stärker zurückzunehmen. Anstatt die Zinsen zu senken, müssen die Kapitalanforderungen sinken. Dies scheint Banken sehr viel eher zu ermuntern, Kredite zu vergeben.

Die Bank of England hat neben der Zinssenkung auch die Kapitalanforderungen gesenkt. Der antizyklische Kapitalpuffer wurde auf 0 % reduziert. Das ermöglicht Banken Dutzende Milliarden mehr an Kredit zu vergeben ohne dafür mehr Kapital halten zu müssen. Banken reagieren aktuell so, wie es die Bank of England erhofft hatte. Sie vergeben nach wie vor Kredit in ungebremsten Tempo. Nachdem das Kreditwachstum das zukünftige Wirtschaftswachstum am besten vorhersagt, sollte es auch in den kommenden Monaten in Großbritannien zu keinem Einbruch des Wachstums kommen.

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Clemens Schmale

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3 Kommentare

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  • Dieter_HW
    Dieter_HW

    Wie keine Krise? Gibt´s doch nicht. Was erlauben sich die Briten eigentlich aus der EU auszutreten, um dann nicht unterzugehen? Herr Schmale, das ist wirklich ein starkes Stück. Bitte sofort den nächsten Artikel hinterschieben: „Great Britain zeigt der EU den Mittelfinger. Jetzt kommt der Crash".

    17:06 Uhr, 01.09.2016
  • Mitdenker
    Mitdenker

    Also erhlich, wer gaubt denn, dass GB deswegen untergeht?? Außer die Merkel??? GB gab es vorher und wird es nachher geben. Ohne, dass es ein 3te Weltland wird....

    19:38 Uhr, 31.08.2016
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Danke für den interessanten Artikel. GB hat sich langfristig Unabhängigkeit und Flexibilität erkauft. In einem "normalen" Umfeld wiegen die Vorteile die Nachteile wahrscheinlich auf. Unter Beweis gestellt wird die neu gewonnene Freiheit in zukünfigen Krisensituationen. Z. Bsp. was ist mit den Exporten der Eurozone wenn wir das Anfang vom Ende der Globalisierung schon erlebt haben und Wirtschaftsräume/ Länder zurück zu Handelsbarrieren und Protektionismus finden? Kommt dieser oder ein anderer globaler Schock wird GB gut da stehen.

    Weder das deutsche Spardiktat noch der optimistische Gedanke, das alle Länder in der Eurozone Exportüberschüsse erwirtschaften können/müssen sind in Stein gemeisselt. Da die Gesamtpolitik/Gesetzgebung der Eurozone sich nahezu ausschliesslich darauf ausrichtet und orientiert, sind Fehlentwicklungen vorprogrammiert. Ob und wie der Euro bleibt ist auch so eine Frage.

    Von einem gerechten und sozialen, geeinten Europa entfernen wie uns immer mehr. Dort hat die Entwicklung seit Beginn der Krise aufgehört. Dafür gibt es immer mehr umzusetzende, kostspielige und fragwürdige Normen, Richtlinien, Paragraphen und ob richtig oder falsch, diese Gelten für Alle, es ist kein Raum für Experimente oder bessere Alternativen. Einsichten oder Änderungen dauern Jahr(zehnte).

    Massgeblich mitentscheidend für die wirtschaftliche Entwicklung Grossbritanniens werden die Verhandlungen mit der EU und inwiefern diese logisch geführt werden (mehr Wohlstand für Alle) oder ob die EU auf eigene Kosten ein Exempel statuieren will, "damit bloss kein Anderer auf den Gedanken kommt", wie die direkte Reaktion auf das Brexit-Ergebniss war.

    Allein die letzere Situation des "Exempel statuieren, koste es was es wolle", des Bestrafen wollens, wäre für mich, in einem demokratischen und frei denkenden Europa von vor 10 Jahren undenkbar gewesen. Nach der finanziellen Knebelung der unschuldigen, griechischen Bevölkerung vor einem Jahr und der ersten und spontanen Reaktion auf den Brexit von Seiten europäischer Politiker, ist nichts mehr undenkbar. Schade für unsere ehemaligen Ideale. Europas Zukunft ist formal und grau.

    Die Briten werden Ihren Weg finden, allein die Unabhängigkeit und Freiheit sind sowieso 2% des Wohlstands wert, wenn es denn so kommt und nicht besser.

    17:46 Uhr, 31.08.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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