Kommentar
09:25 Uhr, 06.07.2015

Griechenland stimmt mit Nein – gut so!

Die Mehrheit der Griechen hat beim Referendum mit Nein gestimmt. Wofür dieses Nein genau steht weiß keiner so genau. Darauf kommt es derzeit ohnehin nicht an.

Das Nein steht. Die griechische Regierung hat sich dafür eingesetzt – erfolgreich. Mit nur einer Woche Vorlaufzeit hatten diejenigen, die für ein Ja warben, kaum Zeit, ihre Position darzulegen. Die griechische Regierung wirbt indirekt bereits seit den Wahlen zu Jahresbeginn für ein Nein. Wie demokratisch das ist kann jeder für sich entscheiden. Für die griechische Regierung steht ohnehin fest, dass das Referendum ein Sieg für die Demokratie ist – mit einer Einschränkung. Als Sieg für die Demokratie wird nun das Ergebnis (Nein) gefeiert und nicht mehr die Abstimmung selbst.

Selbst bei nur einer Woche „Wahlkampf“ blieb ein heißer Endspurt nicht aus. Zuletzt wurde die Abstimmung auf ein Mindestmaß reduziert: Wer mit Nein stimmt ist Demokrat, wer mit Ja stimmt ist gegen die Würde des Volkes und für die Unterdrückung durch die Eurozone. Um das zu verdeutlichen benutzte Finanzminister Varoufakis auch das Wort Terrorismus. Sinngemäß sagte er: Das, was die Troika tut, hat einen Namen – Terrorismus.

Dem Werben der Athener Regierung kann man nicht vorwerfen, dass sie an Populismus und Propaganda gespart hätte. Würde die Regierung nur so fleißig Steuern einsammeln würde wie sie Beleidigungen austeilt...

Der Ton wird sich in den kommenden Tagen hoffentlich wieder mäßigen. Hoffen darf man ja. Vermutlich wird der Ton nicht geändert, denn die griechische Regierung sieht sich jetzt gestärkt. Das Volk hat entschieden. Wofür es sich entschieden hat weiß es zwar gar nicht, aber egal.

Tsipras und Varoufakis werden nun in Brüssel einfallen und Forderungen stellen: Schuldenerlass, jahrzehntelange Stundung für den Rest der Kredite und natürlich neue Gelder.
Mir persönlich bleibt es schleierhaft, wie die Regierung in Athen zu dem Schluss kommt, dass solche Forderungen durchgehen. Ja, sie haben das griechische Volk abstimmen lassen – na und? Für neue Bedingungen müssen die restlichen Euroländer ihre Zustimmung geben, immerhin sind auch sie gewählte Vertreter, die im Interesse ihrer Bürger handeln sollen. Alles, was nicht den bisherigen Bedingungen im Rahmen des zweiten Hilfsprogramms entspricht, muss durch die einzelnen Parlamente. Nur im Rahmen eines bestehenden Programms hätte es eine Zustimmung an den Parlamenten vorbei geben können. Diese Chance hat Griechenland verstreichen lassen.

Das Scheitern der Verhandlungen vor gut einer Woche bewerbe ich schon länger als Chance auf einen Durchbruch. Wird nun komplett neu verhandelt, dann wird auch im Rest Europas abgestimmt. Vielleicht gibt es keine direkte Volksbefragung, dafür aber müssten Parlamente zustimmen. Das ist besser als nichts und man kann sich vorstellen, wie wohlgesonnen sie Tsipras und Varoufakis sind, nachdem sie als Terroristen beschimpft wurden.

Das alles zählt nicht, wenn man dem griechischen Krawallduett aus Finanzminister und Regierungschef zuhört. Das griechische Volk hat abgestimmt und das muss jetzt umgesetzt werden. Dass möglicherweise die restlichen 320 Mio. Einwohner der Eurozone das nicht gutheißen, spielt überhaupt keine Rolle. Wie man eine solche Einstellung in bestimmten Kreisen Europas und auch weltweit als demokratisch bezeichnen kann, wird mir wohl auf ewig verborgen bleiben.

Das Nein finde ich gut. Es muss letztlich ein neues, drittes Griechenlandprogramm verhandelt werden. Bis zu einem gewissen Grad erlaubt dies einen Neuanfang. Inhaltlich dürfte sich an den bisherigen Forderungen der Geldgeber wenig ändern. Da kann Griechenland auch noch fünf Mal abstimmen. 10 Mio. Menschen können den anderen 320 Mio. nicht ihren Willen aufzwingen. Was wird also geschehen? Es wird sich wenig bewegen.

Sofern die EZB keinen Alleingang wagt, bleiben die Kapitalverkehrskontrollen aufrecht. Geld darf nicht außer Landes und wird an Geldautomaten weiterhin rationiert. Die Wirtschaft wird auch ohne die Bedingungen der Geldgeber immer weiter in die Depression rutschen. Die Regierung wird früher oder später aus dem Amt gejagt. Es wird politisches Chaos geben.

Die griechische Regierung könnte nun aber auch mit dem klaren Nein den Mut zu dem haben, wofür sie eigentlich stehen wollte: einen Neuanfang. Den muss es so oder so geben. Verweigert sich die EZB oder stellt gar ihre Kredite fällig, dann ist es aus. Das Bankensystem bricht endgültig zusammen. Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments erklärte die Situation überraschend klar: „Ist Griechenland immer noch im Euro nach diesem Referendum? Das ist bestimmt der Fall, aber wenn sie Nein sagen, müssen sie eine neue Währung einführen, weil der Euro als Zahlungsmittel nicht verfügbar ist.“

Wo er Recht hat, hat er Recht. Griechenland gehen die Euro aus. Will die Regierung nicht bis Monatsende aus dem Amt sein, dann muss sie eine neue Währung ausgeben und mit dieser weiterarbeiten. Offiziell bleibt das Land im Euro. Bedeuten tut das nichts.

Tsipras und Varoufakis sind überzeugt, dass sie mit dem Nein im Rücken ihre Forderungen nun durchsetzen werden. Ich und vermutlich über 300 Mio. andere Menschen der Eurozone wären davon überrascht, wenn das gelingt. Insofern sollte die griechische Regierung dieses Nein auch nutzen, um selbst einen Neuanfang zu wagen und die Verantwortung nicht weiter auf andere abwälzen.

Seit Amtsantritt ist nichts Konstruktives geschehen. Mit dem Nein muss die Regierung jetzt selbst Verantwortung übernehmen. Bisher sagte die Regierung selbst gerne Nein, konnte so in den endlosen Verhandlungen aber auch bequem die Verantwortung für die Misere von sich weisen. Das geht jetzt nicht mehr. Verweigern sich die Geldgeber den griechischen Forderungen, dann ist das Mandat trotzdem klar: keine weiteren Sparbemühungen und Reformen. Das heißt letztlich raus aus dem Euro.

Ich bin gespannt, ob die Regierung in Athen nun wirklich den Willen der Bürger umsetzt. Bezweifeln darf man es, nicht zuletzt, weil die Wahlalternativen äußerst schwammig waren. Es wurde nie klar formuliert wofür das Ja oder das Nein steht. Es wurde lediglich auf Emotionen gesetzt.

Wie dem auch sei, nach 6 Monaten Stillstand und einem Land, welches vom zarten Aufwärtstrend von der Regierung brutal gegen die Wand gefahren wurde, muss die Regierung jetzt handeln. Sie darf Griechenland nicht noch weiter im Chaos versinken lassen. Athen muss jetzt endlich Verantwortung übernehmen, am besten durch einen Alleingang mit eigener Währung.

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19 Kommentare

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  • dschungelgold
    dschungelgold

    Ach , cih vergass. BEZAHLEN tut diese Show wie immer der REntner in Europa und der kleine Steuerzahler. EIN ABSOLUTES NO RISK SPIEL fuer die hinter dem Vorhang.

    15:53 Uhr, 06.07. 2015
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Das groesste Problem ist die fast vollkommen eingekaufte Presse in Europa. DARUM naemlich wurde dieses Referendum SCHNELL und hart durchgefuehrt. Tsipras weis genau was vorgeht. Selbst gegen griechisches Recht wurde hier massenhaft verstossen, das naemlich erlaubt kurz vor der Wahl KEINE Pressemanipulation zum Thema. Hat die NULL interessiert. Warum wohl? Versteht endlich: Die Leute hinter dem Vorhang kennen weder Recht, noch Gesetz. Fuer die gilt nur der maximale Profit. Menschen sind da nur leider noetiges Beiwerk. Wahlvieh. Warum verhalten sich eigentlich HIER so viel so. So dumm kann doch eigentlich niemand sein der sich mit Wertpapieren beschaeftigt. Oder sind hier viele einfach nur kleine Schmarotzer die die Brosamen aufsaugen und alles einfach abnicken nur um ihre Mietkarre finanzieren zu koennen? Das waehre wahrhaft traurig. Hier agieren die Leute , die sich kuerzlich im Alpeninterkonti in Oesterreich trafen. Thema: Wie fresse ich ein ganzes Land(erstmals) in Europa.

    15:52 Uhr, 06.07. 2015
  • watuffli
    watuffli

    Mich wundert, dass in der hitzigen Diskussion um die Zukunft Griechenlands / EURO-Zone die strategischen Implikationen der Causa Griechenland (Süd-Ost-Flanke der NATO) weitgehend unterrepräsentiert sind.
    Ich wette, dass auch mit Blick auf geostrategische Lagen letztendlich ein Kompromiss designed wird, der verschleiert, dass ein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland unumgänglich ist und dass die Kosten hierfür Europas Steuerzahler zu schultern haben.

    11:38 Uhr, 06.07. 2015
  • mkgeld
    mkgeld

    hoffe jetzt nur das keiner in Europa mit denen überhaupt verhandelt. Der erste der sich bewegt hat verloren. Jetzt muss die Pleite kommen oder nie

    11:01 Uhr, 06.07. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • TomCat
    TomCat

    Die Griechen drohen mit dem Untergang, und die Europäer wollen das mit aller Gewalt verhindern, so wie sie Griechenland mit aller Gewalt und gegen jede Vernunft im Euro haben wollten. Wir werden das Faß ohne Boden weiterhin füllen, mit unserem Steuergeld. Alternativlos!

    07:31 Uhr, 06.07. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Chronos
    Chronos

    Das Wahlergebnis war doch kalkulierbar.

    Einmal haben die Griechen seit gut 25 Jahren nicht mehr abgestimmt, zweitens die Fragestellung, drittens die Anordnung der Antwortboxen und notfalls hilft halt jemand bei einer so knappen (kein 2/3 Anteil an der Bevölkerung) Entscheidung mit der Auswertung.

    Etwas verhaltensauffällig finde ich, wie oft Reporter das Wort "Klare Entscheidung" betonen.

    6:4, naja würde mich persönlich im Wettkampf nicht zufriedenstellen, oder ist das Fußball.

    Nun gut, bei 70% Wahlbeteiligung sollen also 4,6 Millionen Menschen für 320 Millionen massgebend sein?

    Was soll kommen? 320 Mio Menschen ebenfalls abstimmen lassen? Geht nicht, dauert alleine schon Monate.

    Varafoukis, Tsipras wird gar nichts machen, er war ja auch wieder zu sehr mit Wahlkampf beschäftigt.

    Seine jetzte Forderung ist doch das erste Mal nicht gelogen. "Friss, stirb und zahl davor."

    "Euro-Exit=OXI will er nicht, kann er nicht."

    Zweitwährung, geht nicht, wir waren mit Wahlkampf genug beschäftigt.

    "Schuldenschnitt als Minimum"

    "Reformen, ähhh habe gerade den Zettel nicht zur Hand." Warum wir, wir haben die Wahl gewonnen, macht neue Vorschläge!

    Die Reformen selbstbestimmt seitens der Griechen

    Würde es nicht ausreichen, wenn 2-3 Parlamente Griechenland weitere Zahlungen ablehnen?

    04:11 Uhr, 06.07. 2015
  • Gone Fishing
    Gone Fishing

    Die Diskussion um griechische Steuereintreibung habe ich ehrlich gesagt immer noch nicht verstanden. Bei sinkendem Bruttosozialprodukt (-25%) sind die Steuereinnahmen proportional gestiegen, im OECD - Vergleich ist die Steuerbelastung höher als in anderen EU-Staaten inklusive Deutschland. Die griechischen Unternehmen dürften Verlustvorträge haben die noch für einige Jahre ausreichen - wo sollen die Steuereinnahmen denn herkommen?

    Bei den von der EU vorgeschlagenen Massnahmen, würde Griechenland in einem Jahr mit einem höheren Schuldenberg genauso dastehen und ein neues Rettungspaket benötigen - zwangsläufig.

    Staatsausgaben senken bei gleichzeitiger Senkung der Steuern hat in der Vergangenheit immer funktioniert und mittelfristig zu Wirtschaftswachstum geführt (und wachsenden Einnahmen).

    Das war aber weder für Griechenland noch für die anderen Krisenländer das bisherige Rezept und die (noch) arbeitende Bevölkerung ist weit über der Grenze des Zumutbaren. Wann schlägt Europa denn einen Weg vor, der, gekoppelt an das Wirtschaftswachstum eine Schuldenrückzahlung ermöglicht (und die immer gepriesene Anpassung der Lebensstandards innerhalb der EU erlaubt und fördert?)

    02:07 Uhr, 06.07. 2015
  • Garten
    Garten

    ... aus der New York Times, von Paul Krugman:

    "Tsipras and Syriza have won big in the referendum, strengthening their hand for whatever comes next. But they're not the only winners: I would argue that Europe, and the European idea, just won big — at least in the sense of dodging a bullet.

    I know that's not how most people see it. But think of it this way: we have just witnessed Greece stand up to a truly vile campaign of bullying and intimidation, an attempt to scare the Greek public, not just into accepting creditor demands, but into getting rid of their government. It was a shameful moment in modern European history, and would have set a truly ugly precedent if it had succeeded.

    But it didn't. You don't have to love Syriza, or believe that they know what they're doing — it's not clear that they do, although the troika has been even worse — to believe that European institutions have just been saved from their own worst instincts. If Greece had been forced into line by financial fear mongering, Europe would have sinned in a way that would sully its reputation for generations. Instead, it's something we can, perhaps, eventually regard as an aberration.

    And if Greece ends up exiting the euro? There's actually a pretty good case for Grexit now — and in any case, democracy matters more than any currency arrangement."

    00:32 Uhr, 06.07. 2015
  • Harald Weygand
    Harald Weygand Head of Trading

    Kabarettist, Comedian Dieter Nuhr: "Meine Familie hat demokratisch abgestimmt: Der Hauskredit wird nicht zurückgezahlt. Ein Sieg des Volkswillens!"

    22:42 Uhr, 05.07. 2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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