Kommentar
00:00 Uhr, 07.03.2011

Gelddrucken für Fortgeschrittene - wie die nationalen Zentralbanken an der EZB vorbei Geldschöpfung betreiben

Die Geldpolitik und alle damit verbundenen Machtinstrumente, die das Papiergeldsystem mit sich bringt, sind bei der EZB gebündelt - und die nationalen Zentralbanken sind im wesentlichen nur noch ausführende Geschäftsstellen. Das war bisher das allgemeine politische und ökonomische Credo in der Euro-Zone.

Ein Glaube, der gerade massiv erschüttert wird. Merken Sie sich "ELA"

Das Kürzel steht für "Emergeny Liquidity Assistance". Es handelt sich dabei um die Möglichkeit von nationalen Zentralbanken, heimische Kreditinstitute in Krisensituationen mit Liquidität zu versorgen. Von allergrößter Bedeutung ist dabei, dass es sich eben nicht um "normale" Refinanzierungsgeschäfte innerhalb des Euro-Systems und mittelbar mit der EZB handelt. ELA ist damit keine Funktion des Euro-Systems und obliegt allein der jeweiligen nationalen Zentralbank. Die legale Deckung für dieses Instrument findet sich im "PROTOKOLL (Nr. 4): ÜBER DIE SATZUNG DES EUROPÄISCHEN SYSTEMS DER ZENTRALBANKEN UND DER EUROPÄISCHEN ZENTRALBANK":

"Artikel 14.4. Die nationalen Zentralbanken können andere als die in dieser Satzung bezeichneten Aufgaben wahrnehmen, es sei denn, der EZB-Rat stellt mit Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen fest, dass diese Aufgaben nicht mit den Zielen und Aufgaben des ESZB vereinbar sind. Derartige Aufgaben werden von den nationalen Zentralbanken in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung wahrgenommen und gelten nicht als Aufgaben des ESZB."

Hört sich sehr allgemein formuliert an und ist es wohl in der Auslegung dann auch. Tatsächlich bleibt abzuwarten, was bei Verschärfungen der Situation in den Krisenländern auf Basis dieses Artikels noch alles geschehen wird. Ich denke da an Aktionen, die vielleicht unsere Vorstellungskraft momentan noch übersteigen. Aber was wäre z.B., wenn die griechische Zentralbank - unter Druck der eigenen Regierung, gedemütigt durch die EZB und andere Zentralbanken und womöglich sogar kurz vor dem Exit Griechenlands aus dem Euro zurück in die Drachme - einfach am Markt eigene Staatsanleihen aufkaufen würde? Sie könnte sogar dreist behaupten, das widerspräche ja gar nicht den Interessen des ESZB. Wer braucht noch einen Haircut (Forderungsverzicht der Gläubiger) bei solchen Möglichkeiten?

Doch zurück zu den ELA: Warum sollte ein Finanzinstitut eine solche Hilfe in Anspruch nehmen? Die Refinanzierung direkt bei der EZB ist nach wie vor zu 1% möglich und der Höhe nach unbegrenzt. Wenn da nicht die verlangten Sicherheiten wären...

Obwohl die Europäische Zentralbank im Hinblick auf die Qualität der zu hinterlegenden Wertpapiere schon arg nachlässig geworden ist, sitzen europäische Banken noch immer auf Bergen von Ramschpapieren, die niemand als Sicherheit akzeptieren will. Niemand - außer die eigene, heimische Zentralbank! Ganz konkret und auch recht massiv wurden ELA-Geschäfte in Irland durchgeführt: Dort machen diese bereits ein Viertel der Bilanzsumme der CBI aus (Central Bank of Ireland). Es geht allein in diesem Fall um ca. 50 Mrd. EUR, die im Feuer stehen. Mögliche Gewinne und vor allem Verluste aus den ELA-Geschäften tangieren formal alleine die jeweilige Zentralbank und damit explizit oder implizit den dahinter stehenden Staat. Aber wer haftet für dessen Verbindlichkeiten? Da war doch was mit Rettungspaketen in der Euro-Zone? Auch Portugal bzw. dessen Zentralbank hat übrigens bereits zugeschlagen, Belgien ebenso, bei Griechenland braucht man sicher nicht mehr lange warten und sogar die deutsche Bundesbank hat 2008 zu diesem Instrument gegriffen. Offiziell ist praktisch nichts darüber bekannt, weder die von den Instituten verlangten Zinssätze sind veröffentlicht noch die genaue Höhe der Notkredite.

Man muss sich die Bedeutung dieser Vorgänge klar vor Augen halten: Es handelt sich de facto um die Möglichkeit der Geldschöpfung (vulgo: Gelddrucken) durch nationale Zentralbanken des Eurosystems unter Umgehung der EZB. Das insbesondere vor dem Hintergrund, dass die gestellten - in der Regel wohl schlechten - Sicherheiten zumindest teilweise ausfallen könnten. Die EZB bzw. konkreter der EZB-Rat kann zwar mit Zwei-Drittel-Mehrheit ein Veto einlegen und feststellen, dass das Vorgehen der jeweiligen Notenbank nicht mit den Zielen des ESZB (Europäisches System der Zentralbanken) vereinbar ist. Es ist aber fraglich, was das überhaupt für Konsequenzen hätte - denn vorab muss die nationale Zentralbank offenbar keine Genehmigung für ein ELA einholen. Womöglich ist das Veto nicht viel mehr als ein Protest.

Abgesehen davon kann man sich vorstellen, dass mit einem Fortschreiten der Finanznöte im Euro-Raum die Zahl der EZB-Ratsmitglieder, die ein paar Augen zudrücken würden, deutlich ansteigt. Bei derzeit 23 Entscheidern im Rat reichen 8 Befürworter der ELA aus - und schon kann kein Veto mehr eingelegt werden.

In den Medien wird das Thema noch äußerst zart angefasst, was auch sehr im Sinne der EZB (und natürlich aller anderen Beteiligten) ist. Diese schreibt in einer ihrer veröffentlichten Stellungnahmen ("Opinions") zu der Thematik recht entwaffnend ehrlich (frei übersetzt) : "...Informationen über Ausleihungen oder andere Liquiditätsfazilitäten, die einem bestimmten Kreditinstitut gewährt werden, auch im Falle der Emergeny Liquidity Assistances, müssen geheim gehalten werden, um zur Stabilität des Finanzsystems im allgemeinen beizutragen und das öffentliche Vertrauen in Krisenzeiten aufrecht zu erhalten".

Mehr als genug Stoff zum Nachdenken über unser Geldsystem und unsere Währung für dieses Wochenende! Wenn Sie mehr darüber lesen wollen, empfehle ich Ihnen ein hervorragendes Arbeitspapier der Citigroup zu dem Thema, das Sie hier herunterladen können. Demnächst mehr an dieser Stelle.

Ihr

Daniel Kühn

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Über den Experten

Daniel Kühn
Daniel Kühn

Daniel Kühn ist seit 1996 aktiver Trader und Investor. Nach dem BWL-Studium entschied sich der vielseitig interessierte Börsen-Experte zunächst für eine Karriere als freier Trader und Journalist. Von 2012 bis 2023 leitete Daniel Kühn die Redaktion von stock3 (vormals GodmodeTrader). Seit 2024 schreibt er als freier Autor für stock3. Besondere Interessenschwerpunkte des überzeugten Liberalen sind politische und ökonomische Fragen und Zusammenhänge, Geldpolitik, Aktien, Hebelprodukte, Edelmetalle und Kryptowährungen sowie generell neuere technologische Entwicklungen.

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