Kommentar
11:08 Uhr, 22.06.2012

Gefangen in der Schrumpfungsfalle

Die internationale Politik kennt derzeit offenbar nur noch einen Ausweg aus der Schuldenkrise: das Wachstum anzukurbeln. Schaffe man es, die Wirtschaftstätigkeit in den Industriestaaten auf Vordermann zu bringen, dann könne man ganz elegant aus den Schulden „herauswachsen“. Höheres Wachstum gleich höhere Steuern und Abgaben, so lautet die Rechnung. Um dies zu erreichen, so tönt es von den diversen G-Gipfeln und Krisentreffen, seien Vorleistungen nötig. Investitionen, die – oh Wunder – Deutschland doch bitteschön finanzieren soll. Entweder direkt oder indirekt durch Bereitstellung seines (noch) stabilen Ratings zur Einführung von Eurobonds. Damit könne man dann ganz prima neue Schulden machen, um die alten Schulden besser in den Griff zu bekommen.

Dass man damit Feuer mit Benzin zu löschen versucht, ist von den Kritikern völlig zu Recht bereits angeprangert worden. Aber es gibt noch einen anderen Punkt, der in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz kommt und das Wachstums-Mantra der Politik langfristig zur Milchmädchenrechnung macht: die demografische Entwicklung. Denn die großen Industrieregionen schrumpfen. Das gilt insbesondere für Japan, wo die Entwicklung schon weit fortgeschritten ist. Es gilt für Europa, mal mehr (Deutschland, aber auch Russland) – mal weniger (Irland). Und es gilt auch – in etwas abgeschwächter Form - für die USA, wo die Generation der Baby Boomer ebenfalls langsam das Rentenalter erreicht. Die Bevölkerung wird zahlenmäßig geringer und älter – und sorgt damit für weniger Nachfrage.

Langfristiges starkes Wirtschaftswachstum – und ein solches bräuchten wir für einen nachhaltigen Abbau der Verschuldung – gibt es aber nur, wenn mindestens eine von zwei Voraussetzungen erfüllt ist. Entweder wächst die Bevölkerung spürbar oder das Land befindet sich in einem Transformationsprozess (in der Regel hin zur Industrialisierung), der zu einem deutlich höheren Pro-Kopf-Einkommen führt. Letzteres ist z.B. in China der Fall, wo die Demografie aufgrund der langjährigen Ein-Kind-Politik der Regierung ebenfalls nicht gut aussieht, allerdings von der massiven Transformation des Landes und seinem starken Export überlagert wird.

Es spricht eine Menge dafür, dass die viel beschworenen Wachstumspakete und Investitionen verpuffen und wir letztlich auf den Kosten dieser Maßnahmen sitzenbleiben – den Schulden. Das Ergebnis wäre, wie ich es auch in meinem Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“ beschrieben habe, dass Deutschland seine relative Stärke verliert, ohne dass damit Europa nennenswert geholfen ist. Dies gilt insbesondere, solange Länder wie Frankreich einen Irrsinn wie die Reduzierung des Rentenalters von 62 auf 60 Jahre als „Modernisierungsmaßnahme“ verkünden, während in Deutschland (richtigerweise) das Rentenalter angehoben wird.

Umso wichtiger wäre es, Strukturanpassungen vorzunehmen, die die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen, ohne Steuergelder zu kosten – und im Idealfall sogar kurzfristig die Haushalte entlasten. Davon gibt es einige, doch sie sind – anders als Absenkungen des Rentenalters – im ersten Schritt für viele Bürger schmerzhaft. Deutschland hat einen großen Teil seiner starken wirtschaftlichen Entwicklung und gesunkenen Arbeitslosigkeit der vergangenen Jahre der Agenda 2010 zu verdanken, die unter Kanzler Schröder für eine Liberalisierung der Arbeitsmärkte und für reduzierte soziale Absicherung gesorgt hat - und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gestärkt hat.

Ähnliche Maßnahmen sind auch in anderen Ländern (zum Beispiel Frankreich, Spanien, Italien) nötig. Bleiben sie aus, dann werden auch Rettungsmilliarden aus Deutschland wirkungslos verpuffen. Ein anderes Beispiel für eine sinnvolle Wachstumsmaßnahme, die wenig bis gar nichts kostet, ist eine aktive und selektive Zuwanderungspolitik, wie sie beispielsweise Kanada und Australien betreiben. Ein Scoring-Modell, das der demografischen Entwicklung entgegenwirkt, indem es jene ins Land holt, die uns allen weiterhelfen. Als ausgebildete (oder auszubildende) Fachkräfte, Steuerzahler – und als Konsumenten.

Bisherige Schritte in diese Richtung sind leider nur im Ansatz zu erkennen. Stattdessen überwiegt das Geschrei darum, dass Deutschland seine Brieftasche öffnen möge. Appelle an die Solidarität Deutschlands sollten jedoch sehr genau danach bewertet werden, welche schmerzhaften Schritte auch die Bittsteller gehen.

Über den Autor:

Roland Klausarbeitet als freier Autor in Frankfurt/Main und ist aktiver Investor. An der Börse Stuttgart ist er als Marktbeobachter tätig und analysiert das Geschehen an den Börsen unter anderem auf n-tv und dem Deutschen Anlegerfernsehen. Für den amerikanischen Finanzsender CNBC und den deutschen Nachrichtenkanal N24 berichtete er von 2004 bis 2009 vom Frankfurter Börsenparkett.In seinem Buch „Wirtschaftliche Selbstverteidigung“ analysiert er die Schuldenkrise und liefert konkrete Ratschläge, wie man sich vor den entstehenden Risiken schützen kann. Sie erreichen Ihn unter www.wirtschaftliche-selbstverteidigung.de

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