Kommentar
18:53 Uhr, 21.07.2022

EZB-Sitzung schickt mit überraschend starker Zinserhöhung DAX, Euro-Dollar und S&P500 auf Berg- und Talfahrt, Goldpreis erholt sich – Wie geht es weiter?

EZB-Chefin Christine Lagarde und ihre Kollegen haben in den vergangenen Monaten versucht mit der sogenannten Forward Guidance, also dem Zinsausblick, die Märkte zu steuern. Damit hat Lagarde bei der heutigen Sitzung einmal mehr eine Bruchlandung hingelegt.

Erwähnte Instrumente

  • DAX
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  • EUR/USD
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Wie könnten sich in dem Umfeld die Aktienmärkte, sowie Euro-Dollar und Gold entwickeln?

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt: So ist es heute nach der EZB-Sitzung vielen Volkswirten, Investoren und auch mir ergangenen, war ich doch ebenso wie sie davon ausgegangen, dass die EZB nach der heutigen Sitzung eine Zinserhöhung um 25 Basispunkte (0,25 Prozentpunkte) ankündigen würde. Stattdessen hat die Notenbank die Zinsen um 50 Basispunkte nach oben geschraubt, was nur vier von 53 Volkswirte in einer Umfrage der Nachrichtenagentur Bloomberg vorhergesagt hatten. Eine gute Kommunikationspolitik sieht offensichtlich ganz anders aus als die der EZB!

Damit liegt der Leitzins bei 0,5 Prozent, während der Einlagenzins für die Banken bei 0,0 Prozent liegt. Die Institute müssen also keine Strafzinsen mehr für das bei der EZB geparkte Geld bezahlen.

Das ist die erste Zinserhöhung seit 11 Jahren und die stärkste seit dem Jahr 2000, als es am 9. Juni von 3,75 auf 4,25 Prozent nach oben gegangen war. Wie sehr würden sich doch viele Anleger in dem heutigen Umfeld herber Inflation die Zinssätze von damals wünschen!

Lagarde liegt einmal mehr mit einer Vorhersage falsch

Zudem hat die EZB heute angekündigt, dass die Geldpolitik bei den nächsten Sitzungen weiter normalisiert werden soll. Die ursprüngliche angekündigte Erhöhung um 50 Basispunkte bei der nächsten Sitzung am 8. September hat die EZB allerdings abgeblasen. Vielmehr sollen die „Zinsbeschlüsse von Sitzung zu Sitzung gefasst werden.“ Das deute ich als Signal, dass es im September höchstens einen Schritt um 25 Basispunkte geben dürfte, weil die Rezessionsrisiken für die Euro-Zone aufgrund der immer weiter steigenden Inflation und der drohenden – oder meiner Meinung nach bereits eingetretenen – US-Rezession rapide zunehmen.

Lagarde hatte noch Ende 2021 gesagte, dass sie trotz der stark steigenden Inflation keine Zinserhöhungen für das Jahr 2022 erwarte. Zur Erinnerung: Bis Dezember 2021 war die Inflation auf 5,0 Prozent nach oben geschossen und von „vorübergehend“ hoher Inflation gab es längst keine Spur mehr. Bei der Sitzung im Juni hatten dann Lagarde und ihre Kollegen für die Sitzung im Juli eine Erhöhung um 25 Basispunkte angekündigt, im September sollten 50 Basispunkte folgen. Dann ist aber einmal mehr die Realität dazwischengekommen.

Alles dreht sich um das TPI

Im Fokus der heutigen Pressemeldung der EZB und der Pressekonferenz mit Lagarde stand dann umso weniger die Zinserhöhung, sondern vielmehr das sogenannte „Transmission Protection Instrument“ (TPI). Mit dem Anleihenkaufprogramm will die EZB verhindern, dass die Zinsen für Italien und andere hochverschuldete Länder deutlich stärker steigen als jene für Bundesanleihen. Die EZB hat allerdings praktisch keinerlei Details zu dem Programm bekanntgegeben, nur dass es „ex ante“, also „von vornherein“ mengenmäßig nicht begrenzt sei.

Im Klartext: Die EZB kann theoretisch unendlich viele italienische Anleihen kaufen, um die Lage unter Kontrolle zu halten. Investoren waren nicht so ganz überzeugt von dem Programm, ist doch der Zinsaufschlag für zehnjährige italienische Anleihen gegenüber Bundesanleihen um rund 20 Basispunkte nach oben geschossen. Wenn es in dem Tempo weitergeht, dann wird die EZB das Programm innerhalb weniger Tage starten müssen, zumal der italienische Ministerpräsident Mario Draghi heute zurückgetreten ist und es innerhalb weniger Monate einmal mehr vorgezogene Neuwahlen in Italien geben dürfte. Das treibt die Zinsen für Italien nach oben.

Deutliche Kursausschläge an den Märkten

Die EZB-Sitzung hat den DAX auf eine Berg- und Talfahrt geschickt. Einerseits hat die unerwartet starke heutige Zinserhöhung den Index belastet. Anschließend hat die Aussicht, dass die Anhebung im September entsprechend kleiner ausfallen könnte als bislang von der EZB signalisiert, den DAX etwas nach oben gedrückt.

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Der kurze Anstieg des Euro, sprich der Rückgang des Dollar, hat den S&P 500 kurz nach oben getrieben, weil bei einem Rückgang des Dollar Produkte, die aus den USA in die Euro-Zone exportiert werden, ein wenig billiger werden, wodurch sich die Aussichten für die exportabhängigen Unternehmen aus dem S&P500 ein wenig verbessern.

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Die Auswirkungen auf Euro-Dollar waren genau umgekehrt wie auf den DAX. Wegen der heutigen etwas stärkeren Zinserhöhung ist er zuerst nach oben gesprungen. Anschließend ist er aber wieder schnell nach unten gedreht, zumal wie gesagt die Sorgen vor einer Rezession in der Euro-Zone rapide zunehmen sollten, zumal wenn Russland doch plötzlich den Gashahn ganz zudrehen sollte.

Falls es vor der nächsten Sitzung am 8. September tatsächlich zu dem Worst-Case-Szenario kommen sollte, dürfte es im September keine Zinserhöhung mehr geben, womit dieser „Zyklus“ mit einer einzigen Erhöhung enden würde – jener am heutigen Tag! Es würde mich keineswegs wundern, wenn wir dann wieder 11 Jahre bis zur nächsten Zinserhöhung warten müssten, zumal in dem Zeitraum die Schulden vieler Ländern der Euro-Zone weiter kräftig steigen sollten. Trübe Aussichten!

Wie geht es weiter?

Das hängt von mehreren Faktoren ab. Wenn der Euro wegen der Regierungskrise in Italien unter Druck kommen und wieder in Richtung des 20-Jahres-Tiefs gegenüber dem Dollar nach unten rauschen sollte, dürfte das den DAX etwas belasten. Von der Währungsseite her hätten wir damit keinen Rückenwind mehr für den S&P500, was am Dienstag auch den DAX mit nach oben gezogen hatte.

Zweitens gilt es das Thema Gaslieferungen aus Russland weiter genau im Auge zu behalten. Sollten sie einmal mehr gedrosselt werden, woraufhin die Sorgen um eine drohende Rezession in Deutschland und der gesamten Euro-Zone rapide zunehmen sollten, würde das für zusätzlichen Abwärtsdruck auf den DAX sorgen. Vielmehr könnte dann das Geld aus europäischen in US-Aktien umgeschichtet werden, was den S&P500 stützen würde. Damit würde die Schere zwischen S&P500 und DAX auseinandergehen.

Und das dritte und meiner Meinung nach wichtigste Thema bleibt die zunehmenden Sorgen vor einer US-Rezession, die S&P500 und DAX schnell wieder belasten könnten. So waren die heute veröffentlichten Daten zu den Erst- und fortgesetzten Anträgen auf US-Arbeitslosenhilfe schlechter als erwartet.

Gleichzeitig ist der Einkaufsmanagerindex der Notenbank von Philadelphia für die dortige Industrie von minus 3,3 Punkten auf minus 12,3 Punkte kollabiert. Damit sendet einer der wichtigsten Frühindikatoren für die US-Wirtschaft meiner Meinung nach einmal mehr ein starkes Signal, dass die Rezession bereits begonnen hat. Kein Wunder, dass die Zinsen für zehnjährige US-Anleihen nach der Veröffentlichung dieser Daten eingebrochen sind.

Investoren schichten Geld in defensive Sektoren um

Daraufhin flüchten Investoren einmal mehr in defensive Aktien, weshalb der Gesundheitssektor mit einem Kursgewinn von 1,1 Prozent den S&P500 deutlich stützt. Ein zweiter Faktor ist der Kursprung von Tesla nach oben nach der Veröffentlichung der Quartalszahlen gestern Abend nach Börsenschluss in den USA, was andere Schwergewichte, wie Apple und Amazon etwas stützt.

Trotz immer schlechter werdenden Konjunkturdaten könnten die Kursausschläge bei S&P500 und DAX erst einmal gering bleiben, weil viele Investoren auf die Fed-Sitzung am kommenden Mittwoch warten und vorher ihre Positionen nicht groß umschichten dürften. Umso größer könnten die Ausschläge nach der Fed-Sitzung werden.

Gleichzeitig könnte der Goldpreis nach einer kurzen Erholung wieder unter Druck stehen, weil ein steigender Dollar neuen Gegenwind für die Notierung des Edelmetalls bedeuten würde.

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In meiner Sendung "Euer Egmond" analysiere ich wöchentlich die Märkte!

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