Europäische Innenstädte wappnen sich für den Wandel
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London (GodmodeTrader.de) - Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht mindestens eine negative Schlagzeile über die Auswirkungen von Disruption und Marktstörungen auf die Einzelhandelsmärkte in den Innenstädten und Einkaufszentren verkündet wird. Während dies für die USA und Großbritannien zutrifft, stellt sich die Frage, ob die europäischen Einkaufsmeilen einer ähnlichen Bedrohung ausgesetzt sind, wie Chris Urwin, Director of Research, Real Assets bei Aviva Investors, in einem Marktkommentar schreibt.
Die negativen Folgen des Strukturwandels seien in Europa weniger ausgeprägt und Einzelhandelsimmobilien seien bisher robuster als anderswo. Doch das sollte nicht zu Selbstgefälligkeit führen: Der Wandel komme. Mit zunehmender Technologie werde der Online-Handel weiter wachsen und die europäischen Verbraucher seien in diesem Kontext genauso anspruchsvoll wie ihre britischen und amerikanischen Pendants. Es sei sehr wahrscheinlich, dass die Gesamtnachfrage nach physischen Einzelhandelsflächen mit der Zeit weiter sinken werde, heißt es weiter.
„Die veränderte Art und Weise, wie wir einkaufen, dürfte jedoch europaweit unterschiedliche Auswirkungen auf Einzelhandelsimmobilien haben. Die besten Einkaufsmeilen könnten trotz eines schwierigeren Umfelds profitieren. Abgesehen von den hochwertigsten Einkaufszentren dürfte der Einzelhandel in den Vororten und am Stadtrand dagegen zu kämpfen haben. Verbraucher verlangen mehr von ihren Einkaufserlebnissen und Einzelhändler beschränken sich auf eine kleinere Anzahl von markenstarken Filialen“, so Urwin.
Einige Innenstädte würden daher robuster sein als andere. Städte, die attraktive Reiseziele seien, vermögende und wachsende Einzugsgebiete sowie strenge Bebauungspläne aufwiesen, seien gut positioniert. Auf der Suche nach diesen Erfolgsfaktoren habe man solche Einzelhandelsstandorte in den Innenstädten identifiziert, die für den kommenden Wandel am besten geeignet sein dürften – einige heute und andere langfristig, heißt es weiter.
„Lockere Vorgaben für die Bauordnung haben im Laufe der Zeit die Entwicklung des Einzelhandels im Vereinigten Königreich und noch stärker in den USA angetrieben. Folglich sind Investoren von Einzelhandelsimmobilien besonders stark vom Gegenwind durch den wachsenden Online-Handel betroffen. Als Reaktion auf diesen Trend haben viele europäische Länder - darunter Deutschland, die Niederlande und die nordischen Staaten - versucht, ihre Innenstädte durch wesentlich restriktivere Vorschriften für die Bauplanung zu schützen. Infolgedessen fiel dementsprechend das Bauvolumen in den Zentren geringer aus. Die Münchner Innenstadt hat nicht nur eine der attraktivsten Einkaufsstraßen Deutschlands, sondern hat auch deutlich von der sehr restriktiven Bauplanung profitiert, die die Anzahl der Einkaufszentren begrenzt haben“, so Urwin.
In Städten, in denen die Bevölkerung stagniere oder nur langsam wachse, dürfte der Onlinehandel einen größeren Teil gemessen an den relativ statischen Gesamtausgaben ausmachen. Dies sei beispielsweise in einigen kleineren deutschen und südeuropäischen Städten der Fall. Dennoch werde das Gesamtumsatzniveau im Einzelhandel in jenen Städten steigen, in denen eine wachsende Bevölkerung, Beschäftigung und Kaufkraft zu verzeichnen sei. Dies mildere die Auswirkungen des ansteigenden elektronischen Geschäftsverkehrs, heißt es weiter.
„Paris ist eine Stadt, die sich durch ein großes und robustes Einzugsgebiet auszeichnet. Sie ist eine der stärksten globalen Einzelhandelsstandorte, die ein breites geografisches Gebiet und ein Einzugsgebiet von über zehn Millionen Einwohnern bedient. Paris verfügt auch über die qualifiziertesten Arbeitskräfte Europas und gehört zu den wohlhabendsten Städten, wodurch die privaten Ausgaben deutlich über europäischem Durchschnitt liegen“, so Urwin.
Diese Faktoren dürften die Nachfrage nach zentralem Pariser Einzelhandel auf stabilem Niveau halten. Eine ähnliche Logik gelte für den zentralen Londoner Einzelhandel, trotz der Schwierigkeiten, die den gesamten britischen Markt beträfen. Eine wohlhabende Bevölkerung und hohe Kaufkraft trügen auch zur Robustheit von Städten wie Stockholm und Dublin bei. Beides seien florierende Zentren mit hoher Wertschöpfung, die das langfristige Wachstumspotenzial unterstützten, heißt es weiter.
„Die prosperierenden Innenstädte dürften in der Regel diejenigen sein, die das Einkaufen zu einem Erlebnis machen, indem sie Einkaufs- und Freizeitaktivitäten kombinieren. Da Verbraucher bei der Art und Häufigkeit ihrer Einkäufe immer selektiver werden, müssen erfolgreiche Einkaufsmeilen Orte sein, an denen die Menschen gern ihre Zeit verbringen. Das physische Geschäft ist nicht mehr nur ein Vertriebskanal, sondern eine Plattform für Entdeckungen, Engagement, Erfahrung und Interaktion. Düsseldorf ist ein Beispiel für eine begehrte innerstädtische Einkaufsmeile, der die wohlhabende lokale Bevölkerung und damit internationale Luxusmarken anzieht. In Kopenhagen schafft die längste Fußgängerzone der Welt einen einzigartigen Ort für soziale und kulturelle Aktivitäten“, so Urwin.
Ein Zustrom von Touristen könne das Konsumniveau in einer Stadt erhöhen. Da sich das typische Konsumverhalten von Touristen kaum ins Onlinegeschäft bewegen werde, dürften Städte, die von hohen Besucherzahlen und Ausgaben profitierten, attraktiver wirken als viele andere. So fühlten sich viele Touristen beispielsweise von Barcelonas reicher Kultur, fabelhafter Architektur und erstklassiger Gastronomie- und Nachtlebensszene angezogen. Folglich trügen ausländische Verbraucher bis zu 80 Prozent zum gesamten Einzelhandelsumsatz in der Innenstadt bei. Berlin sei eine weitere Stadt, die viele Besucher anziehe. Internationale Touristen hätten dort 2017 fast drei Milliarden Euro ausgegeben, heißt es weiter.
„Obwohl Geschmack, Vorlieben und Bräuche eine Rolle bei der Erfolgsbeurteilung für den Internet-Einzelhandel spielen, können sie sich schnell ändern. Doch um schnell zu wachsen, erfordert der E-Commerce auch eine geeignete Infrastruktur. Die Internetdurchdringung muss hoch sein, geeignete Logistikmöglichkeiten verfügbar und lokale Postdienste zuverlässig sein. Während in den meisten nordeuropäischen Ländern eine solche Infrastruktur existiert, ist dies in Südeuropa nicht immer der Fall. In Spanien sind die E-Commerce-Raten sehr niedrig und die stationären Geschäfte bleiben die bevorzugte Einkaufsart der Verbraucher. In Madrid vereinen sich die große Bevölkerungszahl aus den Einzugsgebieten mit den beeindruckenden Tourismusausgaben zu Barrieren für den E-Commerce und machen es aus unserer Sicht zu einem robusten Standort für Einzelhandelsimmobilien“, so Urwin.
Da die Bedrohung durch E-Commerce jedoch wachse, sollten innerstädtische Einkaufslagen, die sowohl über skalierbare als auch wohlhabende, wachsende Einzugsgebiete verfügten, gut abschneiden. „Wir bevorzugen Städte, die attraktive Touristen- und Freizeitziele sind. Ein hohes Tourismusniveau ist besonders attraktiv, da es klare Indikatoren dafür gibt, dass die Menschen ihre Zeit auf den Einkaufsmeilen verbringen. Wir erwarten eine anhaltende Polarisierung im Einzelhandel: Top-Standorte gedeihen, während die Randgebiete zunehmend durch E-Commerce ersetzt werden“, so Urwin.
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