Kommentar
08:27 Uhr, 28.09.2015

Europa: Der Aufschwung, der nicht funktioniert

In Europa beginnt der Aufschwung in vielen früheren Krisenländern gerade erst. Hier ist es zu früh, von einem Fehlschlag zu sprechen. Wenn der Aufschwung jedoch so verläuft wie in den USA, dann haben die Menschen wenig gewonnen.

Die vergangenen Jahre haben im Zusammenhang mit Quantitative Easing (QE) und Nullzinspolitik viel Anlass für Diskussion geboten. Die Notenbanken sind überzeugt, dass sie die Welt gerettet, den Ökonomien und Menschen einen Gefallen getan haben. Diese Meinung teilen die Menschen selbst nicht unbedingt. QE wird eine Verschärfung der Vermögensungleichverteilung zugeschrieben.

Wieso sich der Gedanke einer Verschärfung der Ungleichheiten aufdrängt, liegt auf der Hand. Die Käufe von Staatsanleihen durch die Notenbanken haben Anleger und Investoren aus Anleihen in risikoreichere Assets gedrängt. Das Geld floss in Aktien und Unternehmensanleihen, in Private Equity und Immobilien. Die Preise dieser Assets sind überproportional gestiegen und sind so hoch bewertet wie selten zuvor. Dieser Vermögenseffekt macht Menschen reicher, allerdings nur jene, die auch die Mittel hatten, an diesem Aufschwung zu partizipieren.

Wer vor und nach der Krise kaum Geld hatte, dem wurde durch QE nicht geholfen. Wer kein Geld hat, der bekommt keinen Kredit, um sich ein Haus zu kaufen. Wer kein Geld hat kann keine Aktien oder Anleihen erwerben. Diejenigen, die Geld hatten, haben massiv profitiert während QE an den unteren 60 bis 80% der Gesellschaft vorbei ging.

Besonders überproportional haben die Top 5% der Gesellschaft von QE profitiert. Ihr Wohlstand wuchs in den vergangenen Jahren so schnell wie selten zuvor. Trotz dieser eindeutig zu beobachtenden Trends halten die Notenbank an ihrer Politik fest. Sie sehen, dass Vermögende von QE profitieren, doch ihr Argument für die Unvermögenden ist: QE hat die Wirtschaft stabilisiert und den Aufschwung möglich gemacht. Dadurch wurden mehr Menschen in Arbeit gebracht und Arbeit ist die beste Bekämpfung von Armut und die beste Möglichkeit Ungleichheiten zu schmälern.

Das Argument der Notenbanken macht Sinn. Menschen in Arbeit sollte es finanziell besser gehen als Arbeitslosen und der Aufschwung hat in den USA 8 Mio. neue Jobs geschaffen. Die Anzahl an Beschäftigten ist in den USA so hoch wie nie.

Die Rechnung der Notenbanken (mehr Beschäftigte bedeutet kein Problem in der Vermögensverteilung) ist naiv. Die neuesten US Daten zeigen wieso das so ist. Grafik 1 zeigt die Entwicklung der Arbeitslosenquote, der Beschäftigung und der Armutsrate der letzten Jahrzehnte. Die Arbeitslosenquote ist seit 2009 von knapp 10% auf 5,1% gesunken. Die Zahl der Beschäftigten gemessen an der Gesamtbevölkerung ist von 44,7% auf 46,3% gestiegen. Trotz Rekordbeschäftigung reicht das nicht an die 48% aus den Vorkrisenjahren heran. Das liegt daran, dass die Bevölkerung seit 2008 gewachsen ist.

Obwohl die Trends stimmen – sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Gesamtbeschäftigung – bewegt sich die Armutsrate nicht vom Fleck. Vor der Krise lag sie bei 12,3%, heute steht sie bei 14,5%. Eine Verbesserung hat es im Vergleich zu 2009 kaum gegeben.

Die hoch bleibende Armutsrate betrifft alle Altersgruppen. Grafik 2 zeigt wie sich die Armut nach Altersgruppe in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Obwohl die Arbeitslosenrate fast wieder so niedrig ist wie 2006, 2000 oder 1973, ist die Armutsrate deutlich höher als in diesen Jahren.

Es sieht ganz so aus als würde Beschäftigung nicht mehr helfen Menschen aus der Armut zu befreien. Die Erklärung dazu gibt Grafik 3. Die Reallöhne stagnieren seit vielen Jahren. Seit dem Jahr 1999 fallen sie sogar tendenziell. Mit anderen Worten: wer arbeitet verdient zu wenig, um der Armut zu entkommen.
Die Löhne sind heute, je nachdem auf welche Zeitreihe man genau blickt, so hoch wie vor 30 bis 40 Jahren. Eigentlich sollte Wirtschaftswachstum den Wohlstand mehren und nicht für einen Großteil der Bevölkerung schmälern.

Seit Beginn der Datenreihe gab es bisher keine Phase, in der die Armutsrate so lange so hoch blieb. QE und Nullzinspolitik können dafür vielleicht nicht verantwortlich gemacht werden, doch man kann guten Gewissens sagen, dass die Notenbankpolitik auch nicht dazu beiträgt Armut zu bekämpfen. Die USA können rein formal einen Aufschwung ausweisen. Wie viel ist aber ein Aufschwung wert, der an den Menschen komplett vorbeigeht?

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23 Kommentare

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  • dschungelgold
    dschungelgold

    Ich halte es fuer nicht abwegig, das ein guter Teil des verteilten Luftgeldes massiv in Automatisierung und somit in die massige Vernichtung von Industriearbeitsplaetzen fliesst. Still, heimlich und leise. Grotesk daran ist, das praktisch der arbeitende Buerger die Vernichtung seines Arbeitsplatzes noch finanziert. Daher wohl die globale Stille zu diesem Thema. Schlafende Hunde und so.....

    12:50 Uhr, 29.09. 2015
  • Bernstein 1808
    Bernstein 1808

    Frage: Warum bezeichnet man in Russland die Superreichen als OLIGARCHEN und in Deutschland als LEISTUNGSTRÄGER ?????

    20:14 Uhr, 28.09. 2015
  • Peter Zumdeick
    Peter Zumdeick

    sehr guter Artikel

    19:37 Uhr, 28.09. 2015
  • 1 Antwort anzeigen
  • whynot
    whynot

    ... und wie sich diese Personenkreise vor, während und nach der Finankrise durch diese Verquickung unglaublich bereichert haben.

    18:00 Uhr, 28.09. 2015
  • whynot
    whynot

    Auch empfehlenswertt in diesem Zusammenhang der Film "Inside Job" - ein preisgekrönter Dokumentarfilm, der die Verquickung von Politik, Finanzwelt und Wirtschaftswissenschaftlern während und nach der Finanzkrise, vornehmlich in den USA, schildert.

    17:59 Uhr, 28.09. 2015
  • stupidino
    stupidino

    völlig richtig was du da schreibst - und ich glaub, es weiss auch jeder. verstehen tu ich's allerdings auch nicht, das solche entwicklungen einfach so hingenommen werden. aber mal schau'n: vielleicht stimmt das sprichwort mit dem krug und dem brunnen ja doch.....

    übrigens dschungel: mach dir nix draus das so wenig geaktionen kommen auf deine postings. du schreibst unter dem falschen artikel. 'schmale's artikel' kann nun mal nicht jeder lesen. ich schaff das auch nur, wenn ich mir einen extra urlaubstag nehm um diese eeeeeeeeeelendslangen, wenig aussagenden artikel zu lesen.

    16:03 Uhr, 28.09. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • dschungelgold
    dschungelgold

    Das ausgebildete Ing. mit Berufserfahrung heute zu Anfangsgehaeltern von 1500 Eus gesucht werden ist schon reine Sklaverei und Erpressung.

    13:58 Uhr, 28.09. 2015
  • Bernstein 1808
    Bernstein 1808

    Jeder, der mit offenen Augen durch die Welt geht, weiß doch, dass es eine bewusst gewollte und groß angelegte Verteilung von UNTEN nach OBEN gibt, welche die POLITISCHE KASTE mit allen Mitteln forciert. Beim GEMEINEN VOLK bleibt immer weniger hängen. Der immer wieder postulierte "Rückgang der Arbeitslosenzahlen" dient dabei der reinen PROPAGANDA und MANIPULATION der Bürger, denn sozial ist NICHT was Arbeit schafft, die auf ARMUTSLÖHNEN beruht. Da fällt mir nur der Begriff "SPÄTRÖMISCHE DEKADENZ" ein.

    13:36 Uhr, 28.09. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • Subdi
    Subdi

    "...Eigentlich sollte Wirtschaftswachstum den Wohlstand mehren und nicht für einen Großteil der Bevölkerung schmälern. [...] QE und Nullzinspolitik können dafür vielleicht nicht verantwortlich gemacht werden ..."

    ... vielleicht doch?

    Eigentlich ist es doch logisch, dass niedrige Zinsen Investitionen fördern, und wenn die Nachfrage fehlt, fließen die Investitionen nicht in neue Kapazitäten, sondern in Rationalisierung, und die vernichtet unter anderem gut bezahlte industrielle Arbeitsplätze. Dadurch fehlt dann noch mehr Nachfrage, und die Zinsen müssen noch weiter gesenkt werden ...

    Wenn die niedrigen Zinsen den privaten Konsum fördern würden, wäre alles anders, aber nachdem die Privathaushalte in vielen Ländern schon lange überschuldet sind, funktioniert das nicht.

    13:23 Uhr, 28.09. 2015
    1 Antwort anzeigen

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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