Kommentar
14:08 Uhr, 10.06.2009

Ende des Bärenmarktes?

23 Monate ist es nun her, dass die Finanzmarktkrise in den USA ihren Ursprung fand. Genau so lange wie der Durchschnitt aller seit 1871 gemessenen Wirtschaftskrisen. Über 50 % Kursverlust (vom Top bis März 2009), gemessen am S&P 500, liegen hinter uns. Das ist deutlich mehr als die durchschnittlich 35 % der vorherigen Krisen. Doch seit dem Tief Anfang März setzte bis Ende Mai 2009 eine Gegenbewegung ein, in der der April für den DAX der viertbeste Börsenmonat seiner Geschichte war und nebenbei der beste seit sechs Jahren. Ähnlich sieht es beim S&P 500 aus, der mittlerweile sogar seine seit Beginn des Jahres verzeichneten Verluste aufgeholt hat, nachdem er im März noch mit rund 25 % im Minus stand. Anleger fragen sich, ob es sich bei der jüngsten Erholung nur um einen kurzfristigen Höhenflug handelt – nach dessen Ende der Absturz folgt – oder ob damit das Ende des Bärenmarktes eingeläutet wurde.

Russell Napier hat in seinem Buch „Anatomy of the Bear“ – „Anatomie der Bärenmärkte“ (Markt) – historische Daten der vier größten Bärenmärkte untersucht und dabei insgesamt zehn Indikatoren herausgestellt, die, historisch betrachtet, das Ende eines Bärenmarktes einläuten. Einige dieser Indikatoren sprechen für eine Bodenbildung und damit für ein Ende des Bärenmarktes:

Realwirtschaftliche Indikatoren

1. Tiefpunkt in der Realwirtschaft Sinkende Auftragseingänge ließen nicht nur die Kapazitätsauslastung in den Industriestaaten einbrechen, sondern auch deren Industrieproduktion.

Zwar gibt es erste Anzeichen einer wirtschaftlichen Stabilisierung, doch ein Ende der Konjunkturschwäche scheint noch nicht in Sicht zu sein. Aus einer schematischen Gegenüberstellung der aktuellen Krise und Rezessionen der Vergangenheit lässt sich schließen, dass wir bereits einen Großteil der Strecke ins Konjunkturtal hinter uns gelassen haben:

• Unter rein schematischer Betrachtung der Industrieproduktion im Kontext historischer Rezessionen seit 1918 (nach dem National Bureau of Economic Research, NBER), dauert eine Rezession im Schnitt etwa 16 bis 17 Monate. Die jetzige Rezession in den USA währt seit Dezember 2007, also 17 Monate.

• Dabei sank die Industrieproduktion im historischen Durchschnitt um fast 21 %, aktuell liegt sie mit 17 % auf Jahressicht im Minus.

• Der Aktienmarkt (Dow Jones) verlor dabei von seinem Hoch bis zum Tief im Durchschnitt ca. 44 %. Im aktuellen Bärenmarkt (Oktober 2007 bis März 2009) sind es fast 54 %.

• Im Vergleich von Aktienmarkt und Industrieproduktion, läuft – historisch betrachtet – das Tief des Dow Jones dem Tief der US-Industrieproduktion etwa sechs Monate voraus.

Auch die US-Immobilienkrise ist noch nicht an ihrem Ende angekommen. Aber bei früheren internationalen Krisen drehte der Aktienmarkt ca. zehn Quartale, bevor sich der nationale Häusermarkt stabilisierte (Prognose nach IWF und OECD Ende 2011). Unter diesem Blickwinkel wäre – auch wieder rein schematisch – mit einem Turnaround am Aktienmarkt zur Jahresmitte zu rechnen. Interessant zu beobachten: Der Philadelphia Housing Price Index ist seit März 2009 um 50 % gestiegen.

2. Aktive Geld- und Fiskalpolitik Die Zentralbanken rund um den Globus haben bereits seit rund eineinhalb Jahren auf expansive Geldpolitik (Nullzinspolitik) umgeschaltet, deren Wirkung sich langsam entfaltet. Erste Anzeichen dafür lieferte u. a. der ISMEinkaufsmanagerindex, einer der wichtigsten Frühindikatoren der amerikanischen Wirtschaft. Dieser hat seit Anfang 2009 seine Talfahrt beendet und ist zurück auf dem Weg zur expansiven Zone. Ebenso wichtig: die Liquiditätssteuerung der Notenbanken, die mit zum Teil unorthodoxen Maßnahmen versuchen, den Geldkreislauf wieder anzukurbeln. Zur Verfügung gestellt wurden dabei nicht nur Liquidität seitens der Zentralbanken, sondern auch Kapitalspritzen bzw. Garantien der Staaten von insgesamt 15,6 Billionen US-Dollar (43 % des Bruttoinlandsprodukts der Industriestaaten). Risikoprämien am Geldmarkt sind im Zuge dessen gesunken bzw. haben sich eingeengt. Ein Ergebnis: Der Interbankenhandel, der Handel der Banken untereinander, hat sich zunehmend entspannt. Hinzu kommen umfangreiche Fiskalpakete, die geschnürt wurden, um der Konjunktur wieder auf die Beine zu helfen. So werden in den G20-Staaten über die Jahre 2008 bis 2010 ca. 3,2 % des Bruttoinlandsprodukts in die Hand genommen, um die Konjunktur zu stützen. Zum Vergleich: In der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren unternahm die damalige Regierung fiskalpolitische Stimuli erst ein Jahr nach Beginn der Krise.

3. Tiefpunkt bei den Rohstoffpreisen

Rohstoffe fließen in den Herstellungsprozess nahezu jedes Zwischen- und Endprodukts ein. Die Preisentwicklung von Rohstoffen findet daher hohe Beachtung und lässt Rückschlüsse auf die konjunkturelle Entwicklung zu: So besitzt z. B. der Kupferpreis, als Frühindikator, eine gute Prognosefähigkeit für die zukünftige konjunkturelle Entwicklung. Denn Kupfer dient als Basismetall im Industriesektor. Beispiele finden sich in der Vergangenheit u. a. im Umfeld der Bärenmärkte 1974, 1980, 2001, in denen das Tief bei Rohstoffen bzw. Kupfer einige Monate vor dem Tiefpunkt des Aktienmarktes erreicht wurde. Verglichen mit der aktuellen Marktphase scheinen Rohstoffe bzw. Kupfer Ende 2008 an ihrem Tiefpunkt angelangt gewesen zu sein. Inzwischen hat der Kupferpreis bereits um über 40 % angezogen.

Marktindikatoren

4. Gewinne bzw. Gewinnrevisionen bilden einen Boden Was in diesem Reigen zusätzlich das Ende des Bärenmarktes einläuten könnte, ist eine Verbesserung des Momentums bei den Gewinnrevisionen. Die Gewinne der Unternehmen des S&P 500 sind von ihrem Hoch im Juni 2007 bis März 2009 um 90 % gesunken. Das ist der stärkste Rückgang seit 1871 und er ist gleichzeitig auch deutlich größer als der durchschnittliche Gewinnrückgang von 28 % über den gleichen Zeitraum. Dabei dauern, historisch gesehen, Gewinnrückgänge im Durchschnitt 24 Monate (vom Hoch zum Tief), während der Tiefpunkt des Aktienmarktes ca. sechs Monate vorausläuft. Was heißt das? Schematisch betrachtet könnten die Gewinne im Herbst 2009 ihren Tiefpunkt erreichen, der Aktienmarkt bereits sechs Monate zuvor. Interessant dabei: Die Gewinnrevisionen der Analysten scheinen bereits ihren Boden gefunden zu haben, was die These eines Tiefpunkts des Aktienmarktes im Frühjahr 2009 widerspiegeln würde.

5. Geringe Bewertung an den Aktienmärkten

Um einschätzen zu können, ob die weltweiten Aktienmärkte im aktuellen Marktumfeld attraktiv bewertet sind, ist es angemessen, die Bewertungen im historischen Kontext zu betrachten. Im Vergleich von Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) mit S&P 500 auf Basis roulierender Gewinne der letzten 10 Jahre seit 1871, ergibt sich ein KGV von ca. 14 (zum Vergleich Europa: KGV ca. 12). Dieses erscheint zunächst günstig, unter Berücksichtigung, dass die Gewinnniveaus bereits stark reduziert sind und das historische Mittel mit 17 rund 20 % höher liegt. Werden jedoch die Jahre 1921, 1932, 1949 und 1982 zu Rate gezogen (u. a. Weltwirtschaftskrise bzw. Ölkrise), lag das KGV zwischen 5 und 10 und somit bis zu 70 % unterhalb des langfristigen Durchschnitts. Demnach trifft das Merkmal „Geringe Bewertung an den Aktienmärkten“ nur eingeschränkt zu.

6. Sinkende Anleiherenditen

Auch sinkende Anleiherenditen (Staats- und Unternehmensanleihen) sind historisch gesehen ein guter Indikator, um den Tiefpunkt eines Bärenmarktes zu signalisieren. Hintergrund: In Rezessionen bereinigen Unternehmen ihre Bilanz. Davon profitieren die Fremdkapitalgeber. Im Gegenzug belastet es die Eigenkapitalgeber (Aktionäre), wenn Unternehmen z. B. Kapitalerhöhungen vornehmen. In den Jahren 1974, 1981, 1987, 1990 und 2001 liefen die Renditen von Unternehmensanleihen (Barclays US Corporate BAA Index) dem amerikanischen Aktienmarkt (Dow Jones) einige Monate vorweg. Der Tiefpunkt beim Aktienmarkt folgte ca. drei Monate danach. In der aktuellen Finanzmarktkrise scheint die Talsohle der Notierungen von Unternehmensanleihen im November 2008 erreicht gewesen zu sein. Der Aktienmarkt dürfte demnach – schematisch betrachtet – seinen Wendepunkt Anfang März 2009 gesehen haben.

7. Einengung der Risikoprämien

Was sich im September 2007 an den Finanzmärkten entlud, war eine Spirale aus Angst, Unsicherheit und steigender Risikoaversion. Damit einher gingen steigende Risikoprämien („Spreads“) – nicht nur im Interbankenhandel, sondern auch bei risikobehafteten Wertpapieren im Anleihesegment. Doch seit ihrem Top im November 2008, sind die Risikozuschläge aktuell leicht gesunken. Der Risikoappetit scheint bei Anlegern wieder etwas größer geworden zu sein. Historisch betrachtet interessant, denn auch Risikoprämien haben einen gewissen Vorlauf von etwa sechs Monaten zum Aktienmarkt. D. h. engen sie sich ein, könnte das eine Erholung bzw. steigendes Vertrauen für den Aktienmarkt bedeuten.

8. Geringes Handelsvolumen

Auch ein geringes Handelsvolumen könnte das Ende des Bärenmarktes charakterisieren. Denn die privaten wie auch institutionellen Anleger, die ihre Wertpapierpositionen verkaufen wollten, haben diese bereits verkauft. Die Umschlagshäufigkeit ist gering, was sich in einem niedrigen Handelsvolumen wiederspiegelt.

9. Privatinvestoren verkaufen Aktien

Die Stimmung der Anleger – ausgedrückt durch das Verhältnis der Bullen zu Bären am US-Aktienmarkt (S&P 500) – ist von einem extrem pessimistischen Niveau der Anleger Anfang des Jahres zu einem zuletzt neutralen Niveau zurückgekehrt. Die Bullen, vornehmlich strategische Investoren, sind seitdem auf dem Vormarsch. Anfang März war die Stimmung unter den Anlegern noch im Keller und die Privatanleger hatten sich von ihren restlichen Aktien getrennt.

10. Positive Nachrichten gehen am Markt unter

Positive Nachrichten gehen am Markt unter. D. h. während im ersten Quartal in den Fundamentaldaten erste Hoffnungsschimmer aufleuchteten und die ersten Anzeichen einer konjunkturellen Stabilisierung auftraten, negierten die Märkte weitestgehend diese und andere positiven Nachrichten, wie z. B. Unternehmenskäufe und Anleiheemissionen. Stattdessen bestimmten die Bären das Meinungsklima. Ein Indiz, das nach Russell Napier das Ende eines Bärenmarktes einläuten könnte.

Fazit: Von den seitens Russell Napier („Anatomy of the Bear“) systematisierten und von uns beobachteten zehn Merkmalen, die historisch betrachtet das Ende eines Bärenmarktes einläuteten, schalteten (Stand: Mai 2009) zwischenzeitlich sieben auf grün. Was jetzt in diesem Reigen, der ein Ende des aktuellen Bärenmarktes bedeuten könnte, noch fehlt, sind vor allem zwei Entwicklungen: Zum einen müssen die Konjunkturindikatoren die Rezession durchschreiten und zweitens muss sich das Momentum bei den Gewinnrevisionen verbessern.

Dennoch: Vermögen werden in der Baisse gemacht und für langfristig orientierte Investoren kann die aktuelle Kapitalmarktsituation interessante Möglichkeiten eröffnen.

Allerdings: Der Blick in den Rückspiegel basiert auf historischen Ereignissen, die zwar – schematisch betrachtet – auf die Zukunft übertragbar sind, aber keine konkrete Prognose für die zukünftige Entwicklung liefern können.

Quelle: Allianz Global Investors

Allianz Global Investors Deutschland verwaltet rund 270 Milliarden Euro (Stand: 30.09.2008) für private sowie institutionelle Anleger und ist damit Deutschlands größter Asset Manager. Weltweit gehört Allianz Global Investors mit 969 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen zu den größten aktiven Vermögensverwaltern und ist in mehr als 25 Wirtschafts- und Wachstumszentren mit über 900 Investmentprofis vertreten.

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