Fundamentale Nachricht
16:38 Uhr, 29.03.2023

Emissionsbepreisung kann Investitionen gegen den Klimawandel mobilisieren

Laut LGIM ist die Bepreisung von Emissionen der wirksamste politische Hebel für echten Wandel – doch diese Lösung bleibe weitgehend ungenutzt.

Legal & General Investment Management (LGIM) analysiert in einem heute veröffentlichten Whitepaper die Untätigkeit der Politik bei der Bepreisung von Kohlenstoffemissionen sowie deren Auswirkungen. Die Verzögerung verhindere die marktgesteuerte und rechtzeitige Erreichung des Netto-Null-Ziels. Finanzmärkte und Anleger unterschätzten die langfristigen Auswirkungen dieser Verzögerung, so LGIM.

Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass die Vorgaben des Paris-Abkommens heute zwar billiger und einfacher einzuhalten seien als je zuvor, dass sich aber das Zeitfenster für das 1,5-Grad- Ziel besorgniserregend schnell schließe. Laut LGIM ist die Bepreisung von Emissionen der wirksamste politische Hebel für echten Wandel – doch diese Lösung bleibe weitgehend ungenutzt. Notwendig sei ein wirksamer, transparenter und signifikanter Emissionspreis, der konsequent angewandt würde und Preissignale für eine marktorientierte Lösung der Klimakrise ermöglichte.

Heute unterliegen etwa 23 Prozent der Emissionen einem Kohlenstoffpreis, so LGIM, aber die Preise seien oft zu niedrig angesetzt, um Wirkung zu entfalten. Weltweit kosteten Emissionen derzeit durchschnittlich sechs US-Dollar pro Tonne Kohlendioxid. Nur rund vier Prozent aller Emissionen würden durch einen Kohlenstoffpreis innerhalb der Spanne abgedeckt, die das Erreichen der Paris-Ziele bis 2030 ermögliche.

Nick Stansbury, Leiter Climate Solutions bei LGIM: "Die globalen Emissionen sind auf dem Weg zu ihrem Allzeithoch, und wir sehen kaum ernsthafte Anzeichen dafür, dass sich diese Entwicklung in absehbarer Zeit ändern wird. Unser Modell zeigt, welch immense wirtschaflichen Kosten und Verwerfungen eine Aufweichung des 1,5-Grad-Zieles zur Folge hätte – das können wir uns nicht leisten. Wir glauben, dass die wirksamste politische Einzelmaßnahme, um die weltweiten Emissionen zu senken, in einem effektiven Preis besteht. Nur ein sinnvoller Kohlenstoffpreis, der alle globalen Emissionen durch eine explizite Steuer oder einen Cap-and-Trade-Mechanismus abdeckt, kann unserer Ansicht nach das nötige Kapital mobilisieren, das der Aufbau eines kohlenstoffarmen Energiesystems direkt heute voraussetzt. Ein Blick auf das aktuelle politische Umfeld lässt jedoch in absehbarer Zeit nicht auf eine solche Politik hoffen. Statt Maßnahmen zu ergreifen, scheint die Politik den Weg des geringsten Widerstands zu gehen.”

Nach dem Bericht, der auf LGIMs umfangreichen Klimamodellen basiert, sind Kosten nicht mehr das größte Hindernis für den Übergang zu einer kohlenstofffreien Energieversorgung. Ein kohlenstoffarmes Energiesystem sei heute so günstig, dass weitere Kosten- und Effizienzverbesserungen weniger große Auswirkungen auf das Tempo des Wandels haben dürften als in der Vergangenheit. Das Modell deutet vielmehr darauf hin, dass nunmehr die Geschwindigkeit der Kapitalaufbringung die dringendste Herausforderung ist.

Stansbury: "Wenn wir das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen, dann müssten unserer Schätzung nach bis 2050 die durchschnittlich jedes Jahr neu bereitgestellten Solarkapazitäten dreimal so hoch ausfallen wie aktuell, die Windenergie-Kapazitäten doppelt so hoch wie aktuell. Dabei geht es jedoch bei weitem nicht nur um die Bereitstellung von Kapital. Auch bestehende Engpässe wie Genehmigungen und verfügbare Infrastruktur haben erheblichen Einfluss darauf, ob es gelingt, das Ziel zu erreichen. Wissenschaft und Technik haben die Kosten stark gesenkt – jetzt ist es an den Geldgebern, den Kapitalfluss in das kohlenstoffarme Energiesystem der Zukunft drastisch zu beschleunigen."

Die Auswirkungen von “Klima-Prokrastination”

Das LGIM-Whitepaper weist nicht nur auf die Notwendigkeit hin, den Übergang schneller zu vollziehen, sondern warnt auch vor dem Risiko, dass sich der ursprünglich vorgsehene Zeitrahmen von einem Vierteljahrhundert für den geplanten, marktgesteuerten und geordneten Übergang zu Netto-Null stark verkürzen könnte. Werde der Großteil der Anstrengungen in kaum mehr als einem Jahrzehnt erforderlich, so bestehe die Gefahr eines chaotischen und ungeordneten Übergangs.

Laut LGIM könnte der finanzielle Schaden eines solchen Schocks bis 2050 zehn Prozent des weltweiten BIP kosten. Der Verzögerung dürfte zudem zu anhaltendem Inflationsdruck führen, der möglicherweise genau dann einsetze, wenn die derzeitige Welle der energiepreisbedingten Inflation abebbe.

Darüber hinaus dürfte die aktuelle Phase erhöhter Marktvolatilität anhalten und möglicherweise sogar noch verschärfen. Es sei davon auszugehen, dass die Bevölkerung in den Schwellenländern, insbesondere in Südasien und Afrika südlich der Sahara, die Folgen einer Verschiebung des Netto-Null-Ziels früher zu spüren bekommen werde als die Bevölkerung in den Industriestaaten. Dazu gehörten sowohl physische Klimarisiken als auch die wirtschaftlichen Folgen. Mögliche bis wahrscheinliche geopolitischen Folgen wären Handelsschranken und große Migrationsbewegungen.

Stansbury: "Die Märkte scheinen die finanziellen Folgen einer “Klima-Prokrastination” stark zu unterschätzen. Einzelnen Faktoren, die das Risiko dämpfen könnten, stehen unserer Meinung nach mindestens ebenso viele Faktoren entgegen, die es verstärken könnten. Wir sind zuversichtlich, dass es nicht mehr lange dauern kann, bis die Märkte einer möglicherweise hässlichen Zukunft ins Auge schauen müssen – es sei denn, das politische Umfeld ändert sich dramatisch und findet den Weg hin zu einer effektiven Bepreisung der globalen Emissionen. Wir stehen vor einem Wandel, der viel kostspieliger, disruptiver und letztlich ungerechter ist, als er sein müsste, mit möglicherweise dramatischen Folgen für die Finanzmärkte."

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