Kommentar
12:01 Uhr, 24.02.2014

"Emerging Markets wurden über einen Kamm geschoren"

Kein aufstrebendes Schwellenland gleicht dem anderen. Im Interview mit Nico Popp erklärt J.P. Morgan Marktstratege Tilmann Galler, welche Rolle Stabilität bei Investments in Schwellenländer spielt und warum Brasilien und auch Indien attraktiver sind, als viele Anleger denken.

Emerging Markets sind die Verlierer des Börsenjahres 2013. In dem Zusammenhang wurden vor allem Leistungsbilanzdefizite als Ursache genannt. Das Universum der Emerging Markets ist aber sehr heterogen. Gibt es Märkte, die zu Unrecht abgestraft wurden?

Galler: Der Markt hat Emerging Markets 2013 über einen Kamm geschoren. Vor allem Länder mit Leistungsbilanzdefiziten auf der Währungsseite wurden abgestraft. Der Markt hat zwischen der Türkei, Indonesien, Indien oder Chile kaum einen Unterschied gemacht. Wir sind allerdings der Meinung, dass die makroökonomischen Risiken nicht in allen Ländern gleich groß sind. Wir haben untersucht, inwieweit eine Umkehr der Kapitalströme – also der Abzug von Kapital aus Emerging Markets – diesen Ländern schadet. Maßgebliche Kriterien unserer Untersuchungen sind dabei auf der einen Seite der kurzfristige Finanzierungsbedarf, der sich aus Leistungsbilanzsaldo Direktinvestitionen und kurzfristigen Verbindlichkeiten definiert. Auf der anderen Seite die Höhe der Devisenreserven. Das Ergebnis hat gezeigt, dass die Türkei im Falle von Kapitalabflüssen sehr verwundbar wäre. Auf der anderen Seite der Skala zeigten sich exemplarisch China, Taiwan und Russland wiederum als sehr stabil.

Was macht diese Länder so stark?

Galler: Taiwan glänzt mit einem Finanzierungsüberschuss und hat gemessen an der Wirtschaftsleistung die größten Devisenreserven, China hat absolut gesehen die höchsten Devisenreserven und darüber hinaus kaum Zahlungsverpflichtungen. Dies führt dazu, dass diese Länder kaum betroffen sein werden, wenn die Notenbanken in den USA und Europa die geldpolitischen Zügel wieder stärker anziehen. Der Kursverlauf seit vergangenen Sommer zeigt bereits, dass diese Länder im Vergleich zu Defizit-Ländern robuster sind.

Ihre Stabilitäts-Skala weist die Türkei als anfällig aus. Gleichsam sehen Sie Russland als stabil an – dort sind die Renditen seit Jahren niedrig. Gibt es neben der Stabilität weitere Kriterien für die Attraktivität von Investments?

Galler: Für Investments in Emerging Markets ist die Stabilität sicherlich eine Komponente. Man sollte aber als Investor nicht den Fehler machen, eine Region nur an volkswirtschaftlichen Kennzahlen zu messen. Wer in Aktien investiert, muss sich die Unternehmen ansehen. Uns zeigt sich in sämtlichen Emerging Markets ein breites Spektrum verschiedener Unternehmen. Es gibt einige Unternehmen, die mit einer schwachen Währung sehr gut leben können – vor allem Exportunternehmen, die Erträge in harter Währung generieren, erlangen so Wettbewerbsvorteile.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?

Galler: Nehmen wir Indien. Die Volkswirtschaft gehört zur langen Liste der Länder mit einem Leistungsbilanzdefizit. Dennoch wurde das Land aus unserer Sicht zu Unrecht so stark abgestraft. Wir gehen davon aus, dass ein Großteil des politischen Risikos, das derzeit in den Kursen eingepreist ist, nach den Wahlen in diesem Jahr verschwindet. Außerdem gibt es in Indien eine Reihe interessanter Unternehmen, die aus Bewertungsaspekten bereits heute attraktiv sind.

Für Sie also ein klarer Stockpicking-Markt?

Galler: Absolut! Einerseits kommt es aufs Stockpicking an und andererseits auch auf die Beurteilung von Risiken. Unsere Einschätzung bezüglich der Türkei hat beispielsweise dazu geführt, dass wir uns kürzlich von türkischen Finanzwerten getrennt haben, obwohl wir langfristig weiter an diese Branche glauben. Kurzfristig erschien es uns aber ratsam, dieses Risiko nicht in den Depots zu haben. Hintergrund war die starke Abwertung der türkischen Währung und die Gefahr von weiteren Zinserhöhungen und einer Verschlechterung des Kreditzyklus, die den Banksektor im besonderen Maße treffen können.

Gibt es bei Emerging Markets Regionen, die Sie eher bevorzugen?

Wir beurteilen einzelne Volkswirtschaften und schauen uns jedes Land für sich an. Es kann sich aber immer wieder ergeben, dass wir bestimmte Regionen präferieren oder ablehnen. Beispielsweise halten wir die ASEAN-Region und Lateinamerika ohne Brasilien derzeit für zu teuer. Eher günstig finden wir hingegen China, Russland und zunehmend auch Brasilien.

Sie halten die ASEAN-Region für zu teuer. Gleichzeitig gibt es auch immer Stimmen, die gerade diese Region wegen der vergleichsweise großen politischen Stabilität und der wechselseitigen Verflechtung der Volkswirtschaften untereinander loben. Wie stellen Sie sicher, dass eine hohe Bewertung nach den Kursverlusten des vergangenen Jahres nicht einfach eine große relative Stärke ist?

Galler: Wir verlassen uns auf unser Bewertungsmodell. Dies basiert auf drei Kriterien: Bewertung, Momentum und Länderrisiko. Ist das Risiko bereits weitgehend eingepreist, ist das aus unserer Sicht positiv. Diese drei Faktoren zeigen uns, wie attraktiv ein Land ist. Wir sind immer auf der Suche nach relativ günstig bewerteten Märkten, deren Momentum ansteigt. Da wir unser Modell bereits seit 14 Jahren nutzen, wissen wir ganz genau, was dieses Modell leistet und was nicht. Daher schauen wir uns immer auch an, wie eine Volkswirtschaft derzeit im Vergleich zur Modell-Historie bewertet ist.

China nimmt für die Wirtschaftswelt eine große Rolle ein. Das Land wandelt sich langfristig von einer Exportnation hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Welche Auswirkungen könnte diese Transformation haben?

Galler: Die Auswirkungen dieser Entwicklungen werden gravierend sein. Eine der wichtigsten Folgen dieses Trends haben wir in den vergangenen Jahren bereits am Rohstoffmarkt gesehen. Der Rohstoffboom ist nicht zuletzt aufgrund der nachlassenden Nachfragedynamik aus China zu Ende. Rohstoffgesellschaften hat diese Entwicklung deutliche Kursverluste beschert. Indirekt hat sich dies auch auf Emerging-Market-Indizes ausgewirkt, da Rohstoffe in Ländern der Emerging Markets seit jeher eine größere Rolle spielen als in den entwickelten Märkten. Für die Zukunft bedeutet diese Entwicklung, dass Konsumtitel und Profiteure eines starken Binnenmarktes Chancen versprechen.

Sie sprechen die Rolle der Rohstoffbranche für viele Emerging Markets an. Können die niedrigen Rohstoffpreise die Entwicklung in Ländern wie Brasilien oder Russland stoppen?

Galler: Diese Länder bekommen die Folgen des Preisverfalls bei Rohstoffen sehr wohl zu spüren. Insbesondere Brasiliens Wirtschaft hat zuletzt eine sehr harte Landung erlebt. Man kann die Preisrückgänge aber auch positiv sehen. Wenn die Einnahmen aus dem Verkauf von Rohstoffen schwinden, müssen sich die Länder auf andere Sektoren konzentrieren. Eine breit aufgestellte Wirtschaft ist immer besser für eine Volkswirtschaft als eine, die nur von einem Sektor abhängt.

Wie sehen Sie die Entwicklung von Emerging Markets im neuen Jahr? Kann sich der Sektor wieder erholen?

Galler: Emerging Markets stecken derzeit aus makroökonomischen Gesichtspunkten in einem schwierigen Umfeld. Es gibt allerdings zwei Argumente, die für Zuversicht sprechen. Erstens sind die Bewertungen mit einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von 1,5 annähernd auf Krisen-Niveau gesunken. Zweitens sieht es zunehmend danach aus, als könnten sich die Margen in diesem Jahr stabilisieren. Darbende Umsätze und steigende Kosten hatten Unternehmen aus

Emerging-Markets in den vergangenen Jahren immer wieder belastet. Dieser Kostendruck hat zuletzt abgenommen. Zusammengenommen könnte die Kombination aus stabilen Margen und niedrigen Bewertungen für eine Trendumkehr bei Emerging Markets sprechen.

Tilmann Galler, Executive Director, betreut als Kundenportfoliomanager und Marktstratege bei J.P. Morgan Asset Management in Frankfurt Aktien- und Multi-Asset-Portfolios. Seine Schwerpunktthemen sind globale Aktien und Emerging Markets. Vor Übernahme dieser Tätigkeit im Oktober 2007 war Tilmann Galler bei UBS Global Asset Management in Frankfurt tätig. Seit März 2002 hat er dort als Portfolio Manager Spezialfonds (Aktien- und gemischte Mandate) betreut und war Mitglied des europäischen Aktien-Portfoliokonstruktions-Teams.

Dieses Interview erschien im PortfolioJournal, welches Sie hier kostenlos abonnieren können

Die Fragen stellte Nico Popp

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Über den Experten

Markus Jordan
Markus Jordan
Finanzmarktanalyst

Markus Jordan ist seit knapp 20 Jahren im Wertpapierbereich aktiv. Er ist ein ausgewiesener Experte für Exchange Traded Funds (ETFs) und darauf basierende Anlagestrategien. Seit 2008 veröffentlicht er Deutschlands zudem das führende Magazin im Bereich Exchange Traded Funds (ETFs) – das EXtra-Magazin. Auf dem Internetportal www.extra-funds.de veröffentlicht er regelmäßig Fachbeiträge und News zum Thema passive Anlagestrategien. In zahlreichen Vorträgen und Webinare hat er in den vergangenen Jahren tausende Anleger von den Vorteilen passiver Anlageinstrumente überzeugt. Er steht für passive Anlagestrategien, Portfoliostrukturierungen mit ETFs und bietet Wissen und Strategien für einen langfristigen Kapitalaufbau und ist damit eine perfekte Ergänzung zu den aktiven Handelsstrategien vieler anderer Experten auf Guidants.

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