Kommentar
07:10 Uhr, 04.11.2015

Emerging Markets: Große Krise kaum noch zu verhindern?

Der Internationale Währungsfonds warnt vor einer großen Krise in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Warnungen sind ernst zu nehmen. Sie kommen jedoch zu spät.

Ein Jahr nach dem großen Ölpreiscrash und einem bereits seit 4 Jahren anhaltenden Abwärtstrend bei anderen Rohstoffen beginnen Institutionen wie der Internationale Währungsfonds (IWF) Länder vor den Konsequenzen zu warnen. Das ist ungefähr 4 Jahre zu spät. Der Schaden ist bereits angerichtet und das Zeitfenster, um gegenzusteuern, ist geschlossen.

Fallende Rohstoffpreise haben in den 80er Jahren zur Südamerikakrise geführt. In den 90er Jahren kam es zur Asienkrise, wobei die Ursachen dort etwas vielschichtiger waren und nicht allein auf die Rohstoffpreise zurückgeführt werden können. Heute ist die Ausgangslage eine andere. Das betonen der IWF und auch die Weltbank zu jeder Gelegenheit. Aber ist das wirklich so? Es gibt Grund zu zweifeln.

Geschichte wiederholt sich nicht, sagt man. Dafür reimt sie sich. Unterschiede zu den 80er und 90er Jahren gibt es zur Genüge. Staaten sind weniger in Fremdwährungen verschuldet und sie gehen etwas vernünftiger mit ihren Devisenreserven um, anstatt sie innerhalb kurzer Zeit durch Interventionen auf dem Devisenmarkt zu verbrennen.

Vielen Beobachtern und Analysten reichen diese Unterschiede um sich sicher zu sein, dass sich eine Krise wie damals nicht wiederholt. Das halte ich für zu kurz gegriffen. Einige Aspekte sind ähnlich oder sogar noch ausgeprägter als damals. Die Abhängigkeit von Rohstoffen vieler Entwicklungsländer könnte nicht größer sein. Grafik 1 zeigt eine Auswahl an Ländern und den Anteil der Staatseinnahmen, die durch Rohstoffexporte generiert werden. Betrachtet man Saudi Arabien, dann wird schnell klar, dass ein höherer Anteil kaum noch möglich ist. 2014 kamen über 90% der Einnahmen aus Rohstoffexporten.

Nicht jeder Staat ist so abhängig von Rohstoffexporten wie Saudi Arabien. Dennoch sind viele Länder im hohen Ausmaß auf die Einnahmen angewiesen. In Algerien, Angola, Nigeria und Bolivien machen Rohstoffexporte mehr als 50% des Staatshaushaltes aus. Kollabieren die Rohstoffpreise, dann haben viele Länder keinen ausgeglichenen Haushalt mehr, sondern exorbitant hohe Defizite. Saudi Arabien wird in diesem Jahr wohl ein Defizit von 20% der Wirtschaftsleistung ausweisen. Das muss man sich einmal vorstellen! Selbst zur Finanzkrise, als Staaten hunderte Milliarden an Konjunkturprogrammen auf Pump beschlossen, lagen die Defizite bei maximal 10% der Wirtschaftsleistung.

Sofern Rohstoffpreise nicht schnell wieder nach oben zeigen, ist keine Entspannung in Sicht. Saudi Arabien muss seine Verschuldung von derzeit 2% der Wirtschaftsleistung auf 55% innerhalb von 3 Jahren ausweiten, wenn der Ölpreis nicht steigt. Saudi Arabien kann das derzeit tun, doch die hohe Neuverschuldung hat ein Ablaufdatum. Länger als 4 oder 5 Jahre kann Saudi Arabien den Status Quo nicht halten.

Was Saudi Arabien nicht kann, können Länder wie Angola und Nigeria erst recht nicht. Die Arbeitslosigkeit ist hoch. Daran hat selbst der Rohstoffboom nichts geändert. Der fragile Frieden in vielen betroffenen Ländern ist durch hohe Staatsausgaben erkauft. Brechen die Einnahmen weg, dann bleiben nur zwei Möglichkeiten: höhere Schulden oder Ausgabenkürzungen. Letzteres ist politisch nicht machbar. Es würde sofort zur Instabilität führen. Ersteres wird bereits umgesetzt. Die Schulden steigen. Das geht nur zwei oder drei Jahre lang gut. Danach droht der Bankrott. Auch das wird zur Instabilität führen.

Es handelt sich dabei nicht um ein Problem weniger, einzelner Staaten, sondern um ein flächendeckendes Problem. Grafik 2 zeigt eine Auswahl von 59 Ländern und den Anteil, den Rohstoffexporte an der Wirtschaftsleistung ausmachen. Das Bild lässt sich bestenfalls als katastrophal beschreiben.

In einigen Ländern machen die Rohstoffexporte mehr als zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes aus. Zu diesen Ländern zählen die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar. Andere betroffenen Länder sind von ihrer Wirtschaftsleistung verhältnismäßig klein. Dazu gehören etwa Mauretanien und Äquatorialguinea. Instabilität in diesen Ländern ist dadurch jedoch nicht weniger gefährlich.

Die Länder, deren Exportanteil schwarz markiert ist, haben keine frei konvertierbare Währung. Die an den Dollar gebundenen Währungen waren vor allem in den 80er und 90er Jahren ein Problem. Brasilien, Mexiko und Indonesien haben daraus gelernt, doch viele andere Staaten halten an festen Wechselkursen fest. Es sind auch jene Länder, die hohe Auslandsschulden haben. Die Parallelen zu früheren Krisen sind groß. Der größte Unterschied zu früheren Krisen liegt darin, welche Staaten betroffen sind. Es sind dieses Mal nicht Mexiko und Thailand, sondern vor allem die arabischen Länder sowie afrikanische Staaten.

Die Wirtschaftskrisen der 80er und 90er werden sich für südamerikanische und asiatische Staaten nicht wiederholen. Dafür sind es andere Länder. Afrikanische Länder stehen ganz weit oben auf der Liste. Es drohen zwei Dutzend Staaten in eine wirtschaftliche Depression zu verfallen. Was das für die Menschen bedeutet dürfte klar sein. Folgt der wirtschaftlichen auch noch politische Instabilität, dann ist die derzeitige Flüchtlingskrise nur ein vager Vorgeschmack auf das, was noch kommen wird.

Die Krise wird nicht gleich morgen da sein. Einige Länder versuchen über gezielte Abwertungen der Währung den Druck auf die Wirtschaft abzubauen. Passen sich Währungen an können die Effekte niedriger Rohstoffpreise abgefedert werden. Die Einnahmen der Regierungen sind in Dollar, die Ausgaben in lokaler Währung. Werten die lokalen Währungen gegenüber dem Dollar ab, dann federt das die niedrigeren Preise ab. Damit ist die Wirtschaft noch nicht gleich gerettet. Abwertende Währungen heizen die Inflation an, weil rohstoffreiche Länder häufig in hohem Maße von Nahrungsmittelimporten abhängig sind.

Die Vorzeichen sind nicht sehr günstig. Einer großen Krise kann nur mit Glück entkommen werden. Dieses Glück haben einige Länder vielleicht. Eine mittelfristige Erholung der Rohstoffpreise ist in den kommenden Monaten wahrscheinlich. Das verschafft etwas Luft. Ohne einen langfristigen Turnaround der Rohstoffpreise bleibt die Lage in vielen Ländern jedoch gefährlich.

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  • dukatendidi
    dukatendidi

    Hallo Herr Schmale, ich habe noch einen Fonds auf EM. Sollte ich den vielleicht runterfahren oder aus dem Portfolio nehmen?Der wurde erst 2001 aufgelegt und somit kann ich nichts über die Performance in den 80/90igern sehen. (WKN 769088). Das Risiko in einem Fonds ist vorhanden aber durch die Diversifiktion sollte es doch übersichtlich sein. Ich mein, auch die Fondmanager wissen doch um den Umstand, oder? Über einen Kommentar würd ich mich freuen.

    10:59 Uhr, 04.11.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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