Kommentar
15:27 Uhr, 09.06.2015

ELA-Notkredite verhindern Einigung mit Griechenland

Die griechische Regierung zieht die Verhandlungen mit den Geldgebern immer weiter in die Länge und verbessert so ihre Verhandlungsposition.

Die griechische Regierung spielt auf Zeit und ist womöglich (noch) gar nicht an einer Einigung im Schuldenstreit interessiert. Das ist möglicherweise einer der Gründe warum sich die Verhandlungen immer weiter in die Länge ziehen. Auf den ersten Blick klingt das unlogisch, da dem Land scheinbar in Kürze die Pleite droht. Die Verhandlungsposition von Ministerpräsident Alexis Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis verbessert sich jedoch von Tag zu Tag. Und niemand außer der griechischen Regierung selbst weiß wirklich genau, wie lange Athen die Zahlungsfähigkeit noch aufrechterhalten kann.

Was ist der Hintergrund der Verzögerungstaktik?

Die griechische Regierung erlaubt seinen Bürgern die Kapitalflucht. Sie könnte diese Flucht mit Hilfe von Kapitalverkehrskontrollen sofort unterbinden. Das würde ihren Drohpunkt jedoch verschlechtern, da die Kapitalflucht im Wesentlichen durch ELA-Notkredite gegenfinanziert wird. Damit erhält die griechische Notenbank einen Überziehungskredit, der anhand der sogenannten Targetsalden gemessen wird. Tritt Griechenland aus dem Euro aus würden die ausländischen Notenbanken auf ihren Euro-Targetforderungen gegenüber der griechischen Notenbank (Ende April: 99 Milliarden Euro) sitzen bleiben. Je höher die Target-Verbindlichkeiten steigen, desto schmerzhafter wäre ein Grexit also auch für die übrigen Euro-Länder.

Ermöglicht wurde diese Verbesserung des griechischen Drohpunktes durch die EZB, wie ifo-Präsident Hans-Wener Sinn anmerkt. Denn die Zweidrittelmehrheit im EZB-Rat, die für eine Begrenzung der ELA-Notfallkredite nötig gewesen wäre, kam nie zustande, obwohl diese Kredite mit einem Gesamtvolumen von mittlerweile 81 Milliarden Euro die Haftungsmasse der griechischen Notenbank, die bei etwa 41 Milliarden Euro liegt, schon lange überschritten haben.

Nach Ansicht von Hans-Werner Sinn wird erst Bewegung in die Verhandlungen kommen, wenn die EZB den ELA-Krediten einen Riegel vorschiebt, weil die griechische Regierung ihren Drohpunkt durch Abwarten dann nicht mehr weiter verbessern könne. Die Verhandlungsposition ist aber schon jetzt hervorragend. Sinn geht deshalb davon aus, dass die griechische Regierung eine Kombination aus Hilfsgeldern und einem Verzicht an Reformauflagen erstreiten kann, die wesentlich günstiger für sie ist als alles, was sie zu einem früheren Zeitpunkt hätte erreichen können.

3 Kommentare

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  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Aus Sicht der Griechen wäre zu erwarten, dass die Verzögerungstaktik so lange fortgeführt wird, bis die letzte Tranche an Hilfsgeldern überwiesen wurde. Wenn ich mich recht erinnere, geht es dabei um rund 7 Milliarden Euro. Das Geld nimmt Athen noch mit, lässt den Bürgern unterdessen genügend Zeit, um sich über die ELA-Notkredite der EZB in aller Ruhe aus dem Bankensektor zurückzuziehen - und am Ende verabschiedet man sich mit einem selbst erklärten "Schuldenschnitt" aus der Währungsunion.

    11:00 Uhr, 10.06.2015
  • Simon Hauser
    Simon Hauser Redakteur

    Es offenbart sich das gleiche Dilemma wie bei der Ukraine-Krise. Die EU ist ein diplomatisch schwacher Scheinriese, der aufgrund seinen schwerfälligen Institutionen nicht den Hauch einer Chance gegen einen entschlossenen Verhandlungsgegner besitzt.

    15:53 Uhr, 09.06.2015

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Über den Experten

Thomas Gansneder
Thomas Gansneder
Redakteur

Thomas Gansneder ist langjähriger Redakteur der BörseGo AG. Der gelernte Bankkaufmann hat sich während seiner Tätigkeit als Anlageberater umfangreiche Kenntnisse über die Finanzmärkte angeeignet. Thomas Gansneder ist seit 1994 an der Börse aktiv und seit 2002 als Finanz-Journalist tätig. In seiner Berichterstattung konzentriert er sich insbesondere auf die europäischen Aktienmärkte. Besonderes Augenmerk legt er seit der Lehman-Pleite im Jahr 2008 auf die Entwicklungen in der Euro-, Finanz- und Schuldenkrise. Thomas Gansneder ist ein Verfechter antizyklischer und langfristiger Anlagestrategien. Er empfiehlt insbesondere Einsteigern, sich strikt an eine festgelegte Anlagestrategie zu halten und nur nach klar definierten Mustern zu investieren. Typische Fehler in der Aktienanlage, die oft mit Entscheidungen aus dem Bauch heraus einhergehen, sollen damit vermieden werden.

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