Kommentar
09:38 Uhr, 12.06.2017

Einmal geht noch: Ist die Zinswende in den USA bald vorbei?

Diese Woche wird die US-Notenbank die Zinsen anheben. Das ist ziemlich sicher. Wichtig ist, was danach geschieht.

Anleger sind sich vollkommen sicher. Nächste Woche steigt der US-Leitzins um weitere 25 Basispunkte. Die Wahrscheinlichkeit dafür wird vom Markt aktuell auf (aufgerundet) 100 % geschätzt (Grafik 1). Alles scheint im Lot zu sein. Der Markt folgt den Signalen der Notenbank und ist nicht überrascht, wenn die Zinsen steigen.

Die irrationale Angst vor Zinserhöhungen ist ohnehin schon seit einer Weile verflogen. Die Sache war dabei durchaus sehr ernst. Es gab Zeiten, in denen die Angst vor einer Zinsanhebung so groß war, dass allein die Befürchtung für Panikverkäufe gesorgt hat. Das ist vorbei. Ebenso scheint aber auch etwas anderes vorbei zu sein: die Zinswende.

Die Zinswende geht möglicherweise weiter, aber nicht mehr 2017. Danach sieht es derzeit aus, wenn man Anleger fragt. Sie bestimmen die Wahrscheinlichkeit für Zinsschritte durch den Preis von Fed Funds Futuren. Die Wahrscheinlichkeit, dass es im September keinen Zinsschritt geben wird, ist bei über 70 %. Nur noch ein Fünftel der Anleger erwartet einen weiteren Zinsschritt im dritten Quartal.

Für das vierte Quartal (Dezember-Entscheid) geht inzwischen die Hälfte der Anleger von keiner Veränderung gegenüber Juni aus. Mit anderen Worten: nächste Woche steigen die Zinsen, danach wohl nicht mehr.

Wenn Anleger schon nicht mehr von einem dritten Zinsschritt ausgehen, kann man sich vorstellen, was sie von der Bilanzverkleinerung halten: gar nichts. Eine Bilanzverkleinerung kommt einem Zinsschritt gleich, wenn der Effekt auch mehr für längere Laufzeiten gelten dürfte. Die Langfristzinsen sanken zuletzt jedoch wieder deutlich.

Vielleicht hat die Sache damit zu tun, dass die USA auf eine Rezession zusteuern. Die Notenbank sieht das derzeit noch nicht, obwohl sie selbst eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür ermittelt (Grafik 2). Mit 10 % ist die aus der Zinskurve abgeleitete Wahrscheinlichkeit zwar nicht sehr hoch, doch man muss die 10 % im Kontext sehen. Die Wahrscheinlichkeit erreichte vor der letzten Krise 2008/09 einen Wert von knapp über 40 %. Mit 10 % haben wir ein Viertel dieser Strecke schon zurückgelegt.

Die Zinskurve bzw. der Spread zwischen lang- und kurzfristigen Zinsen sinkt. Wird diese Zinsdifferenz negativ, ist die Rezession so gut wie da. Bei einem Spread von 1 % ist es noch ein weiter Weg bis zur Invertierung der Zinskurve. Aber: vor jeder Inversion ging es ganz schnell. Der gemächliche Abwärtstrend, den wir jetzt sehen, kann sich schnell ändern. In der Vergangenheit wurde ein Prozentpunkt innerhalb von zwei bis vier Quartalen verloren. Theoretisch wäre es also möglich, dass sich die US-Wirtschaft bereits Anfang 2018 in einer Rezession befinden könnte.

So weit denken Anleger vermutlich nicht. Sie sehen aber die kritische Lage und weigern sich, die Langfristzinsen steigen zu lassen. Das zeigt nur geringes Zutrauen in eine noch lang anhaltende Aufschwungphase.

Der frühere Notenbanker Kotcherlakota, ein extremer Fürsprecher lockerer Geldpolitik, plädierte unlängst dafür, QE wiederaufzunehmen. Das ist vielleicht verfrüht. Vollkommen unrecht hat er aber nicht. Die Notenbank sollte die Zinswende zumindest vorläufig beenden.

Clemens Schmale

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2 Kommentare

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  • netzadler
    netzadler

    wenn jetzt die zinswende beendet wird, würde das bedeuten, das QE nicht funktioniert hat.

    die folgen will ich mir jetzt noch nicht ausmalen. die Politik kann nix und die Zentralbank kann auch nix.

    die märke sind jetzt schon extrem verzerrt und Gesellschaften gespalten, also doch krieg ?

    10:00 Uhr, 12.06.2017

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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