Ein goldener November - bisher
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Marktreaktion
Die Anleger sind außerordentlich wohlwollend in den Monat November gestartet, die Kapitalmärkte sind im sogenannten „Risk-on" -Modus. Europas Aktienmärkte liegen am Dienstagmorgen im Schnitt rund 15 Prozent vorne, während es in den USA unter zehn Prozent sind. Der größte Schub erfolgte am Montag aufgrund der positiven Nachrichten zum Covid-19-Impfstoff. Auffällig war am Montag insbesondere die starke Sektor- bzw. Themenrotation, da Substanzwerte etwa fast fünfmal so stark zulegten wie Wachstumswerte. Ein ähnliches Bild ergab sich im Hinblick auf vermeintliche Gewinner und Verlierer der Lockdown-Maßnahmen. Unmittelbar nach der US-Wahl waren Wachstumswerte zunächst wieder stark gefragt, da das Wahlergebnis die Hoffnungen auf ein großes Stimuluspaket dämpfte, von welchem zyklische Substanzwerte wohl am meisten profitiert hätten.
Mit der Rally seit Monatsanfang ist die Marktschwäche seit Mitte Oktober mehr als kompensiert worden, der MSCI AC World notierte am Montag im Tagesverlauf auf einem historischen Rekordstand. Auf der Anleiheseite waren die Reaktionen uneinheitlicher. Sanken die Renditen der USStaatsanleihen kurz nach der Wahl noch, schnellten sie am Montag nach oben auf knapp unter ein Prozent, während etwa Bundrenditen den Monat zunächst kaum verändert begannen, bevor auch sie deutlich anzogen. Risikoprämien von Unternehmens- und (Euro-) Peripherieanleihen engten sich ebenfalls stark ein. Der Dollar notiert seit Monatsbeginn schwächer gegenüber einem breiten Warenkorb und stärker gegenüber dem Euro.
US-Wahlausgang
Die Marktreaktion im Umfeld der US-Wahl zeigte unseres Erachtens erneut, welch unzuverlässiges Prognoseinstrument die Börsen für politische Ereignisse sind. Galt am Jahresanfang ein Sieg Trumps noch als bevorzugtes Szenario, nahm diesen Platz im Verlauf des Sommers ein deutlicher Sieg der Demokraten auf allen Ebenen („Blue Wave", also auch Übernahme des Senats) ein. Im Nachgang der Wahl zeigten sich die Anleger dann erstaunlich flexibel und feierten ein Ergebnis, welches sie zuvor noch am kritischsten bewerteten: ein knapper, formal vielleicht gar anfechtbarer Sieg mit geteilter Macht von Kongress und Weißem Haus. Wir gehen zum jetzigen Zeitpunkt davon aus, dass an Joe Bidens Sieg nicht mehr zu rütteln sein wird, während im Senat die Republikaner ihre Mehrheit wahrscheinlich knapp behaupten werden. Es könnte allerdings bis zum 5. Januar (wahrscheinliche Nachwahlen in Georgia) dauern, bis dies bestätigt wird. Im Kongress hat durch die Wahl insgesamt die Mitte eher hinzugewonnen, was es einem erfahrenen Politiker und Brückenbauer wie Joe Biden ermöglichen sollte, parteiübergreifende Kompromisse zu erzielen. Die kühnsten Pläne der Demokraten, wie etwa eine Rücknahme der meisten Trump'schen Steuererleichterungen dürften in dieser Konstellation aber wohl vom Tisch sein.
Covid-19-Impfstoff
Rund 40km von der DWS-Zentrale entfernt, in Mainz, sitzt das junge Unternehmen, welches am Montag, zusammen mit seinem Partner, einem multinationalen US-Pharmakonzern, einen bahnbrechenden Durchbruch bei der Impfstoffentwicklung meldete. Die Eckdaten dazu sind, wenn auch vorerst nur als Presseaussendung: Bei rund 43,500 Probanden, von denen letztlich 94 Covid-19 bisher positiv getestet wurden, zeigte der Impfstoff eine Effizienz von „über 90 Prozent". Im Markt hatte man bisher mit weit niedrigeren Werten (um die 50 Prozent) gerechnet. Die Zulassung wird noch diesen Monat angestrebt, die Ausgabe von bis zu 50 Millionen Einheiten an ausgesuchte Empfänger soll noch dieses Jahr erfolgen, im Idealfall würden 1,3 Milliarden Einheiten 2021 ausgeliefert (überwiegend gegen Jahresende, zwei Einheiten pro Empfänger sind nötig). Positiv zu vermerken ist, dass auch andere Unternehmen bei der Entwicklung eines Impfstoffes mit ähnlicher Wirkungsweise schon so weit vorangeschritten sind. Natürlich kommt so eine Entwicklung nicht ohne Beipackzettel: Der Impfstoff muss bei minus 70 Grad transportiert und gelagert werden und die Effizienz in spezifischen Untergruppen ist ebenso offen wie die Dauer seiner Wirksamkeit. Erste belastbare Daten zu den Nebenwirkungen sollen in der dritten Novemberwoche, und zu den Effizienzdaten nach Maßgabe der US-Zulassungsbehörden im Dezember folgen. Weitere offene Fragen bleiben die Bereitschaft der Bevölkerung sich mit einem Präparat der ersten Generation impfen zu lassen (laut DB Research schwanken die Zahlen je nach Land zwischen 34 und 61 Prozent) und inwieweit sich die Disziplin der Bevölkerung hinsichtlich der Covid-19- Vorsichtsmaßnahmen verändern wird.
Auswirkungen auf Anlageklassen
Welche nachhaltigen Auswirkungen die US-Wahl auf die Anlageklassen haben wird, ist unserer Ansicht nach noch nicht absehbar. Dafür sind die Machbarkeit und die Priorisierung des politischen Wunsch- und Planungskatalogs noch zu vage. Auch muss sich zeigen, inwieweit die Anlageklassen, sollte hier mehr Klarheit herrschen, dies bereits eingepreist haben werden.
Die Nachrichten zum neuen Impfstoff sind isoliert betrachtet sicherlich positiv. Inwieweit dies den weiteren Verlauf der wirtschaftlichen Erholung, so wie wir sie bisher modelliert haben, verbessert und welche Auswirkungen dies auf die einzelnen Anlageklassen haben wird, werden wir im Laufe der Woche im Rahmen unserer vierteljährlichen Strategiesitzung noch detaillierter überprüfen. Aus makroökonomischer Perspektive hatten wir, auch aufgrund der laufenden zweiten Virus- und Lockdown-Welle mit einem schwierigen ersten Halbjahr und einer Normalisierung im zweiten Halbjahr gerechnet. Die neuen Informationen bestätigen dieses Bild.
Aus Kapitalmarktsicht scheinen einige belastende Unsicherheiten nun weitgehend geklärt: es gab keine unmittelbaren Unruhen im Umfeld der US-Wahl, die Risiken für höhere Anleiherenditen in den USA scheinen in der jetzt absehbaren Machtkonstellation geringer zu sein, und bei den Impfstoffen wurde gezeigt, was, und dass überhaupt etwas möglich ist. Und selbst beim Brexit scheint sich etwas zu bewegen. Dieses Umfeld spiegelt sich bereits in einer stark gesunkenen Volatilität in vielen Anlageklassen wider, der VIX (CBOE Volatility Index) in den USA etwa hat sich gegenüber dem Monatswechsel von 40 auf 25 Punkte reduziert, nicht mehr weit entfernt vom Jahrestiefststand von 20 Punkten. Allerdings sollten Aktienanleger auch nicht die Wechselwirkung zwischen Impfstofffortschritten, der Interventionsfreude der Zentralbanken und dem Zinsniveau übersehen. Die Erhöhung der Aktienbewertung verlief insbesondere seit Mitte 2019 wieder parallel mit der Entwicklung der Realzinsen.
Kurzum: an unserem ökonomischen Ausblick werden wir voraussichtlich wenig ändern müssen. In Bezug auf die Kapitalmärkte haben wir auf 12-Monatssicht bei Aktien und Unternehmensanleihen, sowie ausgesuchten Schwellenländeranleihen eine moderat positive Einstellung. Ob sie weniger moderat wird, entscheiden wir zeitnah.
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