Ein Ärgernis weniger?
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- Der Überschuss der deutschen Leistungsbilanz ist immer noch zu hoch. Er wird aber kleiner.
- Die Verringerung ist das Ergebnis günstiger wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, nicht einer veränderten Wirtschaftspolitik.
- Die Welt wird dadurch nicht besser. Deutschland bietet seinen Kritikern aber weniger Angriffsflächen.
Es war ein beliebtes "Spiel" in den letzten Jahren, die Deutschen wegen ihrer hohen Leistungsbilanzüberschüsse an den Pranger zu stellen. Sie drängten ihre Handelspartner in eine unerwünschte Schuldnerposition. Umgekehrt schadeten sie sich aber auch selbst, denn sie lieferten Güter ins Ausland, die sie eigentlich auch gut zu Hause brauchen könnten.
Es gab tausend Ratschläge, was sie dagegen tun könnten. Der wichtigste war: Sie sollten die Löhne stärker erhöhen und im Staatshaushalt größere Defizite zulassen. Beides war für sie aber ein No-Go. Wieso sollten sie ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit schwächen und eine unsolidere Wirtschaftspolitik betreiben, nur weil die anderen nicht mit dem Erfolg der deutschen Exporteure mithalten können?
Alles lief auf einen Clash unterschiedlicher wirtschaftspolitischer Philosophien hinaus. Das Ausland setzte auf Wachstum und Konsum, Deutschland wollte dagegen Stabilität und Export.
Zum Clash ist es glücklicherweise nicht gekommen, bis jetzt jedenfalls nicht. Das liegt daran, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss nicht mehr steigt, sondern sinkt. Seit dem Höhepunkt 2015 ist er von 8,9 % des BIPs auf 7,8 % zurückgegangen. Bis 2020 soll er nach den meisten vorliegenden Schätzungen auf unter 7 % sinken. Das ist immer noch zu viel. Der Schwellenwert, den die EU für tolerierbare Leistungsbilanzüberschüsse festgelegt hat liegt bei 6 %. Aber es ist weniger als vorher.
Sind die Deutschen eingeknickt? Haben sie in der Auseinandersetzung mit ihren Kritikern nachgegeben? In keiner Weise. Tatsächlich haben sie selbst gar nichts getan, um aus der Rolle des bösen Buben herauszukommen. Weder haben sie die Löhne stärker erhöht, noch haben sie sich von ihrer restriktiven Haushaltspolitik verabschiedet, noch haben sie sonst etwas gegen die hohen Exporte getan. Alles ist so geblieben wie es war.
Zum Clash ist es glücklicherweise nicht gekommen, bis jetzt jedenfalls nicht.
Was sich verändert hat, war das weltwirtschaftliche Umfeld. Da war einmal die starke Erhöhung der Ölpreise, die die Importrechnung der Deutschen aufblähte. 2015 war der Ölpreis bis auf unter USD 30 je Barrel in den Keller gerauscht. 2018 waren es zeitweise über USD 80. Hinzu kam die Aufwertung des Euros. 2015 lag der Euro/Dollar-Kurs noch kurz vor der Parität. In diesem Jahr ist er zeitweise bis auf USD 1,25 je Euro gestiegen.
Der Welthandel leidet unter der schwächeren Weltkonjunktur. Wegen des bevorstehenden Brexits sind die deutschen Ausfuhren nach Großbritannien absolut zurückgegangen. Der Iran, auf den die Deutschen nach dem Atomabkommen große Hoffnungen setzten, ist nicht der große Absatzmarkt geworden, auf den viele gehofft hatten.
Eine Rolle spielt ferner, dass die Überschüsse im deutschen Staatshaushalt zwar hoch blieben, aber nicht mehr so stark anstiegen. Dadurch hat die gesamtwirtschaftliche Ersparnis nicht mehr so stark zugenommen. Konsum und Investitionen im Inland bekamen mehr Raum und konnten den Export zurückdrängen.
Zuletzt spielten auch die veränderten handelspolitischen Gegebenheiten auf den Weltmärkten eine Rolle. Der Protektionismus führt dazu, dass sich die Unternehmen aus dem schwierigeren Exportgeschäft zurückziehen. Sie schichten prophylaktisch Lieferketten aus dem Ausland ins Inland um, damit sie unabhängiger von Zöllen und anderen Beschränkungen werden.
Vielleicht hat sich auch – was man immer wieder hört, aber schwer beweisen kann – die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Industrie auf den Weltmärkten verschlechtert. All das hat dazu geführt, dass sich die Leistungsbilanzüberschüsse in Deutschland zurückbilden.
Ist jetzt alles gut? Leider nein. Tröstlich ist zwar, dass Präsident Trump jetzt einen Vorwand weniger hat, Zölle gegen deutsche Produkte zu erheben. Das kann bei den anstehenden Verhandlungen über Zölle auf Autos hilfreich sein. Auch in der EU gibt es einen Streitpunkt weniger.
Ganz generell bieten die Deutschen ihren internationalen Kritikern weniger Angriffsflächen. Zudem gibt es weniger deutsche Kapitalexporte, die bei dem derzeit niedrigen Zinsniveau ohnehin nicht profitabel sind. Andererseits verringert sich das Wirtschaftswachstum. Wenn der Anteil des Leistungsbilanzüberschusses am BIP um einen Prozentpunkt zurückgeht, dann bedeutet dies, unter sonst gleichen Bedingungen, in etwa ein Prozent weniger Wachstum des realen Bruttoinlandsproduktes.
Im Übrigen sollte man sich nicht zu früh freuen. An den unterschiedlichen wirtschaftspolitischen Philosophien, die zu den Leistungsbilanzungleichgewichten führen, hat sich nichts geändert. Die Probleme können daher jederzeit wieder auftreten.
Für den Anleger
Unmittelbare Auswirkungen für die Anleger hatte der deutsche Überschuss in der Leistungsbilanz bisher nicht. Für die Kapitalmärkte ist es egal, wo die Unternehmen ihr Geld verdienen, ob im Ausland oder im Inland. Trotzdem sollten in den Portfolien Exportwerte in Zukunft eher untergewichtet werden. Im Inland wird das Wachstum zumindest in Deutschland tendenziell höher sein.
Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.
Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.
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