Kommentar
11:52 Uhr, 24.08.2012

Doch alles wurscht an der Börse? Teil I

Das Hin und Her an den Börsen ruft derzeit wieder scharenweise Kritiker auf den Plan. Die Kritik richtet sich gegen, nun ja, alles. Sie bezieht sich auf unser Geld- und Währungssystem, die Gier, die Angst, die Ratingagenturen, Spekulanten und Trader, Kanzlerin Merkel, Chinas Solar-Dumping, das Wetter... und natürlich Charttechniker. Kurse scheinen sich eben doch nicht vorhersagen zu lassen. Oder doch?

Zufall ist nicht gleich Zufall

Die Frage der Vorhersagbarkeit von Kursen ist so alt wie die Börse selbst. Bis zur EMH (Efficient Market Hypothesis) und dem Random Walk galt, dass man durch Geschick mehr Geld verdienen konnte als andere und viel wichtiger noch, man verdiente mehr Geld als der Markt. Seitdem die Theorie sagt, der Markt sei effizient, nützt kein Geschick der Welt mehr, um den Markt langfristig zu schlagen. Im Kern stehen sich also zwei konträre Ideen gegenüber. Die eine besagt, dass es Analysemethoden gibt, die eine Outperformance ermöglichen; die andere behauptet, eine Outperformance sei unmöglich, da sich Kurse nicht prognostizieren lassen. Dieser Konflikt ist nicht unbekannt. Viele Diskussionen zu diesem Konflikt gehen aber am Thema vorbei. Sowohl Analysten als auch Anhänger des Random Walk reduzieren die Diskussion auf vollkommen falsche Aussagen. Die einen sagen, Charttechnik tauge nichts, die anderen behaupten, den Random Walk gäbe es nicht. Das geht am eigentlich wirklich interessanten Kernpunkt vorbei. Die Frage ist nämlich nicht, ob man mit Charttechnik oder jeder anderen Analysemethode Geld verdienen kann, sondern ob eine Analysemethode eine einfache Buy and Hold Strategie übertreffen kann. Wenn Aktienkurse tatsächlich beliebig wären, sollte eine Outperformance des Marktes nicht möglich sein. So einfach lässt sich das Kernproblem definieren.

So einfach das Problem ist, so schwierig dessen Lösung. So schwierig sogar, dass regelmäßig vollkommen absurde Argumente vorgebracht werden – meist gegen die Vorhersagbarkeit von Kursen. Während ich Ihnen hier keinen formalen, endgültigen Beweis gegen den Random Walk präsentieren kann, möchte ich auf einige der „Beweise“ gegen das Funktionieren von Analysemethoden eingehen. Beginnen möchte ich mit den Ausprägungen des Random Walk, denn Zufälligkeit ist nicht gleich Zufälligkeit. Genauer gesagt gibt es drei Grade der Beliebigkeit. Die schwächste Ausprägung besagt, dass man zukünftige Preise nicht aufgrund vergangener Preise vorhersagen kann. Die zweite Variante geht davon aus, dass das Wissen von öffentlich zugänglicher Information keinen Vorteil bringt und die stärkste Ausprägung geht davon aus, dass gar nichts verwendet werden kann, um Kurse vorherzusagen, also weder das Bekannte noch Unbekannte, weder öffentliche noch Insiderinformationen.

Ich bemühe mich gar nicht erst auf die stärkste Ausprägung einzugehen. Die regelmäßigen Skandale um Insiderhandel mit Millionenerträgen sprechen für sich selbst. Es bleiben die anderen zwei Varianten, wobei Anhänger des Random Walk vor allem mit der schwachen Hypothese gegen Charttechniker wettern.

Chartmuster sind Sinnestäuschungen

Ist Hypothese 1 korrekt, kann Charttechnik nicht funktionieren, besagt sie doch, dass zukünftige Kurse nicht aus vergangenen Preisen abgeleitet werden können. Chartanalyse ist demnach vollkommen sinnlos und mehr der Esoterik denn fundiertem Handwerk zuzuordnen. Den Beweis liefern Kritiker der technischen Analyse gleich mit, indem sie zufällig generierte Preisbewegungen analysieren lassen. Werden hier Muster gefunden, ist die Freude groß, denn in einem zufällig generierten Kursverlauf kann es keine aussagekräftigen Muster geben.

Die drei folgenden Charts sind genau solche zufälligen Preisverläufe. Der Ausgangswert war immer 100. Jeder der 154 durchgeführten Trades hatte eine 50%-ige Chance eines Kursanstiegs oder Kursverlusts. Ein Gewinn brachte einen Anstieg von 5, ein Verlusttrade ein Minus von 5. Das Ergebnis ist verblüffend. Der erste Chart zeigt einen Trend wie er im Lehrbuch steht. Der zweite eine klassische Ausbruchsbewegung mit anschließender Trendetablierung. Chart 3 zeigt eine Unterstützung, die zum Widerstand wird. Und das alles als Folge des Zufalls. Das Prinzip der Erstellung der Charts ist jenes des Münzwurfs. Betrachtet man diese Charts, könnte man tatsächlich sagen, dass Aktienkurse beliebig wirken und eine Investitionsentscheidung aufgrund eines Münzwurfs mindestens so gut ist wie die beste Chartanalyse.

Abgesehen davon, dass ich viele Dutzend Charts generieren musste, um so schöne Beispiele zu finden, ist das Prinzip des Arguments schon bestechend. Kann es da nicht doch sein, dass Chartmuster nur zufällig zu Erfolg führen, wenn überhaupt? Diese Frage lässt sich wahrscheinlich nicht endgültig beantworten. Eines aber kann man ganz klar sagen: Nur, weil ein zufallsgenerierter Kursverlauf Muster aufweist, heißt das nicht, dass Muster in nicht generierten Preisverläufen keine Aussage haben. Das Argument der Random Walk Anhänger basiert nämlich auf einem fahrlässigen Trugschluss bzw. fragwürdiger Logik. Es wird nach dem Motto „Die Sonne ist hell, daher ist alles, was hell ist, die Sonne“ argumentiert. Ein solcher Umkehrschluss ist natürlich bestenfalls Unsinn. Es wird ein zufälliger Kursverlauf gesehen, den sie generiert haben („Die zufallsgenerierten Zahlen sind ein Kursverlauf...“) und wenden dies dann auf nicht generierte Preise an („... daher sind Kursverläufe zufällig.“). Mehr brauche ich an dieser Stelle eigentlich nicht zu sagen.

Kurse sind trotzdem zufällig

Auch wenn deutlich wird, dass der Trick mit dem generierten Chart tatsächlich nur ein Trick ist und nicht mehr, haben die Kritiker der Charttechnik trotzdem ein Ass im Ärmel. Kurse erscheinen nämlich tatsächlich zufällig und halten einer entsprechenden statistischen Untersuchung stand. Wirft man eine Münze, so liegt die Wahrscheinlichkeit für Kopf oder Zahl bei jeweils 50%. Vergleicht man Kopf mit Kursgewinnen und Zahl mit Verlusten, sollte die Wahrscheinlichkeit eines Kursverlustes oder Gewinns ebenfalls bei 50% liegen. Wie die drei generierten Charts zeigen, heißt das nicht, dass sich ein Kurs nicht vom Fleck bewegt. Serien von mehreren verlust- oder gewinnreichen Tagen sind erlaubt. Die Häufigkeit solcher Serien, die erlaubt ist, zeigt die nachfolgende Tabelle. Theoretisch wechseln sich Plus und Minus in 50% aller Kursbewegungen ab. 50% der Zeit besteht also eine gute Chance, dass wenn heute ein Kursplus bleibt morgen ein Kursminus folgt. Eine Serie von 4 Handelstagen mit gleichem Vorzeichen hintereinander ist schon vergleichsweise selten. Die Wahrscheinlichk–eit hierfür liegt bei 6,25%. Im Durchschnitt ist jede sechzehnte Serie 4 Tage lang. Eine Serie von 8 Handelstagen mit gleichem Vorzeichen ist schon sehr unwahrscheinlich. Lediglich jede 256-te Serie sollte so lang sein. Verglichen habe ich diese theoretischen Wahrscheinlichkeiten mit dem Dow Jones und Dax. Während der DJIA sehr nah an die theoretische Verteilung herankommt, ist der Dax nicht ganz so zufällig. Die Häufigkeit einer 5 Tagesserie im Dax ist zweieinhalb Mal so groß wie vorgesehen. Dennoch würde man für Kurse, die eigentlich wunschgemäß gar nicht zufällig sein sollen, die Nähe zur theoretischen Verteilung sehr groß.

Das Argument, Kurse seien nicht vorhersagbar, gewinnt an Überzeugungskraft. Es gibt zwar Serien, aber diese treten ebenfalls zufällig auf. Schließt der Dax heute im Plus, wissen wir ja nicht, ob er in den nächsten Tagen diese Entwicklung fortsetzt. Wir können nicht erahnen, wann eine Serie aus 8 gleichen Tagen folgt. Das ist natürlich ein Problem. Es ist aber keineswegs unlösbar, denn wieder einmal liegt ein gravierendes Missverständnis vor. Der Münzwurf wird nämlich etwas zu ernst genommen. Es ist zwar eine gute Beobachtung, dass die Vorzeichen der täglichen Kursbewegungen einem Random Walk sehr nahe kommen, allerdings haben die Vorzeichen allein wenig Einfluss auf den Gewinn eines Trades.

Der Münzwurf geht nicht nur von einer 50%-igen Chance von Plus und Minus aus, sondern auch von Gewinnen und Verlusten in gleicher Höhe. Das ist wenig praxisrelevant. Der Dax kann 200 Mal im Plus und 200 Mal im Minus schließen und trotzdem von 5.000 auf 7.000 Punkte steigen. Die Plus und Minus Zeichen und deren Verteilung ist unerheblich für den Erfolg an der Börse. Relevant ist, was in der Summe am Ende eines Trends an Gewinn für den Trader übrig bleibt.

Um das noch einmal zusammenzufassen: Kurse scheinen beliebig, was aber nicht dem Erfolg mit Charttechnik widerspricht. Gewiefte Statistiker laufen jetzt wahrscheinlich Sturm – zu Recht, denn die Debatte ist hier noch lange nicht beendet. Weitergeführt wird sie in zwei Wochen an dieser Stelle.

Bis dahin viel Erfolg

Clemens Schmale

Technischer Analyst bei GodmodeTrader.de

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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