Die zwei Leben des Euro
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- Vor zehn Jahren wurde der Euro noch als Erfolgsmodell gefeiert, heute wird er von vielen als Fehlentscheidung kritisiert.
- Die Gemeinschaftswährung leidet immer noch unter den Spätfolgen der großen Finanzkrise von 2007/2008.
- Nach Abschluss der Konsolidierung wird es auch im Euro wieder normalere Verhältnisse geben.
Als ich kürzlich meinen Bücherschrank ordnete, stieß ich ganz weit hinten auf die Festschrift der Europäischen Zentralbank zum zehnjährigen Bestehen der Währungsunion. Sie ist nunmehr neun Jahre alt und fast schon etwas vergilbt. Darin wird der Euro in beredten Worten und mit vielen statistischen Belegen als Erfolgsmodell dargestellt. Er hat, so heißt es darin, nicht nur für Geldwertstabilität gesorgt. Er hat auch "erheblich zum Funktionieren unseres großen kontinentalen Marktes [...] beigetragen".
Wenn die EZB in zwei Jahren eine neue Festschrift zum dann zwanzigjährigen Bestehen herausgeben sollte (woran ich zweifle), wird der Tenor gewiss nicht mehr so positiv ausfallen. Die gemeinsame Währung wird von vielen inzwischen erheblich kritischer beurteilt. Sie ist zum bösen Buben für alle anstehenden Probleme geworden: Die Arbeitslosigkeit, das schwache Wachstum, die Nullzinsen, die hohe Verschuldung, die Ungleichgewichte zwischen den einzelnen Ländern, und sicherlich auch für den um sich greifenden Populismus in der Politik.
Das Bemerkenswerte am Vergleich dieser zwei Bewertungen ist, dass sich die Struktur der Gemeinschaftswährung in der Zeit kaum verändert hat. Der Euro ist gleichgeblieben, das Urteil über ihn hat sich aber um 180 Grad verschoben. Fast könnte man sagen: Der Euro hat zwei Leben. Ein gutes in den ersten zehn Jahren und ein miserables in der zweiten Dekade.
Wie ist das zu erklären? Viele sagen, dass wir in den ersten Jahren einfach zu unkritisch waren. Wir waren froh, dass der Euro überhaupt funktionierte und haben bei den Problemen nicht so genau hingesehen. Manche Schwächen zeigten sich auch erst mit zeitlicher Verzögerung. Das ist nicht richtig. Die Ökonomen haben auch damals genau hingesehen. Der Unterschied beruht auf etwas anderem. Die Umfeldbedingungen haben sich geändert. In den ersten zehn Jahren lebten wir unter normalen Verhältnissen von Wachstum, Beschäftigung und Inflation. Seit dem Crash 2007/2008 ist das nicht mehr der Fall. Da befinden wir uns in der Anpassungs- und Gesundungsphase nach der Krise. Die wäre mit jeder Währung schwierig gewesen. Jetzt zeigt sie sich bei der Währungsunion. Die Schwierigkeiten, die heute dem Euro angelastet werden, haben jedenfalls zu einem großen Teil nichts mit ihm zu tun. Sie sind vielmehr eine Folge des veränderten Umfelds.
DIE FOLGEN DER FINANZKRISE
Öffentliche Defizite in % des BIPs
Quelle: Eurostat
Schauen Sie sich die Entwicklung der öffentlichen Defizite an (Grafik). Man kann hier klar zwei Abschnitte erkennen. Bis 2007/2008 lagen die Kurven relativ nahe beieinander. Es ging mal nach oben und mal nach unten. Das war nicht ideal, aber vertretbar. 2007 waren die öffentlichen Finanzen im Euroraum niedriger als 1999. Dann kam die Finanzkrise. Zur Bekämpfung der Rezession wurden die Defizite drastisch ausgeweitet. Danach mussten sie wieder zurückgeführt werden. In dieser Phase befinden wir uns noch immer. Dass das so lange dauert, ist, wie die Geschichte lehrt, bei so großen Krisen nicht ungewöhnlich. Man braucht einen langen Atem.
Die Gesundung der öffentlichen Finanzen verlief in den einzelnen Mitgliedsländern weitgehend synchron. Der einzige Ausreißer ist Deutschland. Es legte bei der Konsolidierung ein größeres Tempo vor. Damit erreichte es bereits 2012 fast wieder ein ausgeglichenes Budget. Im Nachhinein gesehen war das vermutlich ein Fehler. Eine etwas langsamere Konsolidierung hätte in Deutschland mehr Investitionen erlaubt und wäre für den Zusammenhalt in Europa hilfreicher gewesen.
Die USA hatten in der Rezession ein noch größeres Defizit. Auch sie haben es seit 2010 kräftig zurückgeführt. Heute ist das Defizit der USA gemessen am BIP (3,5 %) aber immer noch größer als das des Euroraums (2,1 %).
Was für die öffentlichen Finanzen gilt, trifft auch für viele andere Bereiche zu. Die Bankensysteme mussten neu geordnet werden. Die Arbeits- und Gütermärkte mussten flexibler gemacht werden. Die Geldpolitik muss wieder auf einen normalen Pfad zurückgeführt werden. Für all dies sind massive Strukturreformen erforderlich. Sie brauchen Zeit, vor allem auch weil es schwer ist, für sie ausreichende demokratische Mehrheiten zu finden. Freilich haben die USA hier mehr Mut bewiesen und ein größeres Tempo vorgelegt als manche Europäer. Das hängt aber nicht unbedingt mit dem Euro zusammen, sondern eher mit der Mentalität der Europäer, die bei Veränderungen immer etwas langsamer sind.
Die Schlussfolgerung daraus: Die Schwierigkeiten, mit denen wir es derzeit beim Euro zu tun haben, sind nicht in erster Linie Fehler der Währungsunion, wie oft gesagt wird. Sie sind vielmehr zu einem großen Teil die Spätfolgen der großen Finanzkrise. Sie hat die Welt durcheinandergewirbelt und zwang die einzelnen Staaten, sich wieder neu aufzustellen. Das war für alle eine Riesenaufgabe, besonders natürlich für eine so junge Währung wie den Euro.
Für den Anleger
Lassen Sie sich von den Kritikern des Euros nicht verunsichern. So schlecht wie vielfach gesagt wird, ist die Gemeinschaftswährung nicht. Es gibt keinen Grund, dass wir nach Abschluss der Konsolidierung (in vielleicht zwei bis drei Jahren) nicht auch im Euro wieder normalere Verhältnisse haben. Der Euroraum ist immer noch ein guter Platz, um Geld zu investieren. In den nächsten Monaten werden die hiesigen Kapitalmärkte in Europa wegen der Wahlen in vielen Ländern nervös sein. Auf lange Sicht gibt es aber nicht viele Märkte und Plätze in der Welt, wo man sein Geld so gut investieren kann.
Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.
Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.
Mit der unkritischen Aufnahme wirtschaftlich unterschiedlich starker Länder wurde ein gravierender ökonomischer Fehler begangen.
Ökonomische Gesetze sind Naturgesetze,die kann man auch die Politik nicht aufheben, lediglich negieren.
Was sie praktisch dann zwingt, immer kreativer Symptome - aber nicht die Ursachen anzugehen.
Und das gipfelt dann in der Finanzgeschichte beispiellosen Maßnahmen wie Negativzinsen und lässt das Bargeldverbot befürchten.
Es ist ist nichts schön zu reden, auch wenn ich mir anderes wünschen würde!