Kommentar
11:17 Uhr, 21.08.2019

Die Logik der Minuszinsen

Die verrückte Welt der Minuszinsen: Bleibt es dabei oder ist es nur eine vorübergehende Verirrung des Marktes?

  • Am Bondmarkt konnte man in diesem Jahr zum Teil exorbitant hohe Erträge erzielen.
  • Grund waren die starken Zinssenkungen, die bei langen Laufzeiten zu starken Kurssteigerungen führten.
  • Es gibt gute Gründe, dass die Zinsen noch weiter nach unten gehen.

In der vorigen Woche sah ich in der Financial Times eine Grafik, die mich beinahe vom Stuhl gehauen hätte. Sie zeigt die Rendite von Anlagen in 30-jährigen Bundesanleihen, 50-jährigen Anleihen in britischen Staatsanleihen und der 100-jährigen Anleihe Österreichs aus dem Jahr 2017. Die Österreich-Anleihe brachte den Anlegern seit Beginn diesen Jahres sage und schreibe ein Plus von 66 % (Total Return). Sie war damit eine der besten Anlagen am Kapitalmarkt überhaupt. Mit 30-jährigen Bundesanleihen konnte man immerhin 28 % verdienen, mit britischen 50-jährigen 22 %. Siehe Grafik.

Rekordrenditen bei Bonds

100-j. Bonds Österreich, 30-j. Bonds Deutschland, 50-j. Bonds UK; 31.12.18 = 100


Quelle: Bloomberg

Das Ganze passierte in einem Umfeld, in dem alle über die niedrigen Zinsen, zum Teil sogar Minuszinsen bei Festverzinslichen, klagen und den Bondmarkt für unattraktiv hielten. Experten warnen gerade vor langlaufenden Anleihen wegen der damit verbundenen Kursrisiken.

Wie ist dieser Widerspruch zu erklären? Um das zu verstehen, muss man sich die Zusammensetzung der Rendite von Anleihen klarmachen. Sie besteht aus drei Komponenten. Das eine ist der Koupon. Er beträgt im Falle der 100-jährigen Österreich-Anleihe 2,1 %. Das ist gemessen an anderen Anlageformen derzeit ganz ordentlich. Es ist aber meilenweit entfernt von der genannten Gesamt-Performance der Anleihe in diesem Jahr. Damit kann man die Performance nicht begründen.

Das gleiche gilt für die zweite Komponente der Rendite, dem Kurs der Anleihe. Er stellt sich für die erste Tranche der Österreich-Anleihe derzeit auf knapp 200. Wer das Papier heute kauft und bis zum Ende der Laufzeit hält, bekommt dann nur noch die Hälfte des investierten Kapitals zurück. Die jährliche Rendite beträgt nur noch 0,7 %. Das ist noch weniger als der Koupon. Auch damit kann man keinen Blumentopf gewinnen.

Bleibt die dritte Komponente, die Kursveränderung. Sie ist entscheidend. Am Jahresanfang lag der Kurs der Österreich-Anleihe bei knapp 120, heute notiert er bei etwas unter 200. Das ist ein Plus von über 60 %. Dahinter steht die Kombination von sinkenden Zinsen und einer langen Laufzeit. Bei Bonds mit kürzeren Laufzeiten waren die Kursänderungen geringer.

Hier liegt allerdings auch der Pferdefuß. Wenn die Zinsen einmal nicht mehr sinken, sondern sich erhöhen sollten, dann gehen die Anleihekurse nach unten, und zwar bei den langen Laufzeiten sehr viel stärker als bei kurzen. Das muss jeder Anleger wissen. Daher auch die Empfehlung für risikoaverse Investoren (und das sind viele Halter von Bonds), im Zweifel eher kürzere Laufzeiten zu wählen. Da kann man nicht so viel verdienen, aber auch nicht so viel verlieren.

Wie geht es nun weiter? Viele meinen, dass bei den erreichten Kursen die "Luft raus ist". Weiter können die Kurse nicht steigen beziehungsweise weiter können die Zinsen nicht sinken. Bereits jetzt weist ein Viertel aller weltweit umlaufenden Bonds Minuszinsen auf. Das sind Papiere im Wert von USD 15.000 Mrd. Das hat es meines Wissens noch nie gegeben. Sollte man solche Papiere jetzt nicht lieber verkaufen und die Gewinne mitnehmen?


»Die Minuszinsen [...] sind also keine Verirrung des Marktes.«


Ich bin nicht so skeptisch. Natürlich gibt es auch am Bondmarkt Schwankungen. Nach der Rallye der letzten Wochen könnte es eine technische Reaktion geben. Andererseits gibt es gute Gründe, dass die Zinsen noch weiter nach unten gehen.

Erstens sind die Zentralbanken sowohl in den USA als auch in Europa und anderen Staaten gerade dabei, ihre Politik erneut zu lockern. Das bedeutet auch Auftrieb für Bondkurse.

Zweitens mehren sich die Zeichen, dass sich die Weltkonjunktur weiter abschwächt. Selbst in den USA, die derzeit noch ordentlich wachsen, könnte es zu einer Rezession kommen. Wenn das eintritt, dann können auch die amerikanischen Zinsen unter Null sinken.

Drittens: Bei langsamerem Wachstum wird auch die Inflation sinken. Es können Deflationsängste aufkommen, die die Zinsen weiter nach unten drücken.

Viertens schließlich eine theoretische Überlegung: Der Zins ist bekanntlich der Preis der Zukunft relativ zur Gegenwart. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass die Menschen Gegenwartskonsum gegenüber dem Konsum in der Zukunft bevorzugen. Die Zeitpräferenz ist positiv. Daher ist auch der Zins positiv. Das muss aber nicht so sein. Es gibt in den modernen Gesellschaften zunehmend Tendenzen einer negativen Zeitpräferenz. In Zeiten der demografischen Alterung beispielsweise schränken immer mehr Menschen den Gegenwartskonsum ein, um später in der Rente mehr Geld zur Verfügung zu haben. In Umweltfragen geht es vielfach darum, den Verbrauch heute zu reduzieren, um die Erde morgen für unsere Kinder besser zu machen. In all diesen Fällen wird der Zukunftskonsum gegenüber dem Gegenwartskonsum bevorzugt. Unter diesen Bedingungen kann auch der Zins negativ sein.

Die Minuszinsen, die wir derzeit am Markt sehen, sind also keine Verirrung des Marktes. Wir sollten uns also nicht darauf verlassen, dass sie schnell wieder steigen. Es kann auch anders kommen. Das eröffnet Chancen für weitere Kurssteigerungen am Bondmarkt.


Für den Anleger

Bonds haben eine Sicherheits- und eine Risikokomponente. Wer auf Sicherheit setzt, muss niedrigere Zinsen in Kauf nehmen und sollte kürzere Laufzeiten wählen, um keine zu großen Kursrisiken einzugehen. Wer Risiken einzugehen bereit ist, kann mit langen Laufzeiten zocken und dabei viel Geld verdienen (aber auch verlieren).


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

7 Kommentare

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  • mariahellwig
    mariahellwig

    "In Umweltfragen geht es vielfach darum, den Verbrauch heute zu reduzieren, um die Erde morgen für unsere Kinder besser zu machen"

    Sehr geehrter Herr Hüfner,

    aus meiner Sicht spricht das eher gegen niedrige Zinsen. Im Gegenteil, ich gehe davon aus, das dies inflationäre Tendenzen bringen wird, wie wir es schon lange nicht mehr erlebt haben.

    1. Wird die Menschheit sich nicht freiwillig einschränken, sondern es wird nur über Kontingente gehen. Kontingente bedeutet, wenn etwas gedeckelt wird, steigt der Preis massiv an, sobald das Kontingent nahezu aufgebraucht ist.

    2. Müssen wir unsere Infrasturktur unter großen Zeitdruck umbauen. Wir benötigen Rohstoffe und Ressourcen(wie Lithium, Kobald) von denen wir heute verhältnismäßig kleine Menge benötigen. Die Technologien solche Menge zu fördern stehen erst am Anfang.

    3. Die Landwirtschaft wird sich umstellen müssen. Holz z.B. ist zur Zeit durch das Baumsterben im Übermaß vorhanden. Aber nicht freiwillig, sondern es wird in einigen Jahren fehlen.

    Alles in allem wird der hohe Anpassungsbedarf enormen Druck auf die Preise ausüben. An die niedrigen Zinsen wird man sich in einigen Jahren nur ungläubig erinnern.

    19:58 Uhr, 21.08.2019
  • EsJay
    EsJay

    Für mich zeigen die Bond-Märkte eher, dass Zentralbanken und Anleger den Verstand verzockt haben und Rentenpapiere selbst bei minimalsten Ausfallrisiko keine sichere Anlage mehr darstellen, sondern deren Märkte dank EZB, Fed, BoJ, etc. zu Zockerbuden verkommen sind.

    Nehmen wir mal z.B. die Anleihen der Schweiz: 50 Jahre Laufzeit, Rendite am 16.08. bei -0,569% p.a. Da ist für dieses Papier vor allem eins sicher: ein Verlust von 28,45% während der Laufzeit allein durch Negativzinsen. Wer meint, dass es über eine so lange Laufzeit keine Inflation gibt, geht wohl von einem Weltuntergang aus. Selbst wenn die Inflation über 50 Jahre nur 0,5% p.a. betragen würde, wären das in toto 28,3% (also mal locker die Hälfte des Geldes weg bzw. entwertet). Mag sein, dass man bei weiter fallenden Zinsen Kursgewinne erzielen kann, jedoch kann man diese nur realisieren, wenn man die Anleihen zu höherem Kurs verkaufen kann. Dann übertragen sich allerdings die genannten Verluste durch Minuszinsen (jetzt aber noch mehr, da ja die Kurse gestiegen sein sollten) und der Inflation eben auf den Käufer.

    Die genannte Anleihe stand übrigens knapp 2 Wochen vorher (am 30.07.) noch bei +0,02%. Sollte der Verfall in diesem Tempo auch nur ansatzweise so weitergehen, wären auch -1% schnell erreicht. Also 50% Minuszins in der Gesamtlaufzeit. Wenn all das keine Verirrung der Märkte ist, dann gibt es so etwas auch nicht einmal theoretisch.)

    All diese extremen Verwerfungen entstehen vor allem durch massive Eingriffe der Notenbanken in das natürliche Angebots-/Nachfrage-Gefüge und der Überschwemmung der Welt mit gedrucktem Geld. Ohne Käufe der Notenbanken in Billionenhöhe wäre wohl solche Extremzinsen niemals erreicht worden. Die Rechnung für diese Exzesse wird jemand zu zahlen haben: diejenigen Käufer der Anleihen, die der richtigen Ausstiegspunk versäumen, vor allem aber die breite Masse, deren Altersvorsorge massiven Schaden erleidet (schon jetzt sind in D ca. 19% der Rentner von Altersarmut betroffen), das mehr und mehr unter Ertragserosion leidende Bankensystem, Versicherungen, Pensionskassen, Betriebe, die stetig wachsenden Summen betr. Altersvorsorge ausgesetzt sind und mangels Zinserträgen Eigenkapital dafür aufwenden müssen.

    Zu guter Letzt eine Anmerkung zu dem Konstrukt „Der Zins ist bekanntlich der Preis der Zukunft relativ zur Gegenwart“. Das ist richtig, wenn man es auf das richtige bezieht. Der Zins reflektiert nämlich die Erwartungen von Wirtschaftswachstum und Inflation wider. Bei Staatsanliehen mit sehr hoher Bonität gilt nahezu die Gleichung Zins = Wachstum + Inflation. Eine Umdeutung auf die Zeitpräferenz im Konsumverhalten ist hingegen ein komplett anderes Thema und nur ein weiterer Versuch, ein für sich entartetes System schönzureden.

    Die Notenbanken können machen, was sie wollen, und egal, wie oft versucht wird, das Thema schönzureden, eines ist sicher: Die Marktverwerfungen in 2008 sind wohl eher niedlich im Vergleich zu dem außer Kontrolle geratenem Monster, das hier geschaffen wurde.

    19:24 Uhr, 21.08.2019
  • wolp
    wolp

    Super Artikel. Danke. Merci

    15:57 Uhr, 21.08.2019
  • tetsui
    tetsui

    Wenn ich eine Milliarde Schulden mache, kann ich von den 0,5% minus Zins gut leben. Am Ende der Laufzeit wird dann refinanziert, auch die Tilgung ist so kein Problem. Damit ist das perpetuum mobile endlich erfunden. Das ist so genial, das muss klappen.

    15:44 Uhr, 21.08.2019
  • netzadler
    netzadler

    da haben Sie sich aber verrannt, da können Sie Ihre Zinstheorie aber mal komplett abräumen und von vorn anfangen, aber vielleicht wollen Sie ja nur die Dummheit der Leser testen 😉

    Naturgesetze kann man vielleicht mal kurz umgehen, aber nicht herausnehmen. da kämen Sie ja mal locker für die fields Medaille infrage.

    die schuldendroge kann nicht höher dosiert werden, die entzugsmethode ist fragwürdig, weil unbeteiligte hineingezogen werden und der Junkie keine Verantwortung für sein handeln übernimmt. so was zerstört Gesellschaften und nicht irgendwelche populistischen links- oder rechtsaussen

    minuszinsen entstehen durch lupenreine Repression und nicht durch die Funktion des marktes

    es wird wohl wie immer im krieg enden, schon bitter

    15:43 Uhr, 21.08.2019
  • godfather
    godfather

    Kapitalmarktzinsen sind (waren) nach meinem Verständnis in erster Linie Risikoprämien für die Überlassung von Kapital und je nach Bonität unterschiedlich hoch. In einem funktionierenden Markt ist es m.E. völlig egal, ob jemand in der Gegenwart oder in der Zukunft mehr oder weniger konsumiert (konsumieren kann).

    Diese Praxis scheint allerdings inzwischen weitgehend aufgehoben zu sein, woraus sich zwei elementare Folgen ergeben (haben): Extreme Staats- und Unternehmensverschuldung sowie das Ausbleiben notwendiger Strukturreformen.

    Wo das hinführt, muss jeder für sich selbst beantworten. Unser Wohlstandsniveau wird sich so aber eher nicht halten lassen…

    14:51 Uhr, 21.08.2019
  • wizardmw
    wizardmw

    Die Minuszinsen, die wir derzeit am Markt sehen, sind also keine Verirrung des Marktes....... Selten so gelacht. Wenn der Markt frei von Manipulation wäre, würden die Riskobewertung im Allgemeinen und insbesondere bei Anleihen ganz anders aussehen - und das ganze Schneeballsystem wäre längst aufgeflogen.

    14:18 Uhr, 21.08.2019