Kommentar
09:41 Uhr, 05.03.2015

Die Börse: Ein Glücksspiel?

Man könnte auch sagen, dass die Börse das größte Casino der Welt ist. Vieles spricht gegen einen solchen Vergleich. Vieles spricht aber auch dafür – mehr als man wahrhaben möchte.

Die Börse als solche ist kein Casino. Die Idee ist eine ganz andere. Für Unternehmen geht es darum, Kapital aufzunehmen. An Rohstoffmärkten geht es darum, Produkte zu festen Preisen zu liefern bzw. sich abzusichern. Beides hat nicht viel mit Glücksspiel zu tun, auch wenn man natürlich die Börse gut verwenden kann, um zu wetten. Das tun die meisten. Sie wetten. Viele Anleger sind nicht an dem eigentlichen Unternehmen interessiert, sondern nur am Kurs. Das Geschäftsmodell ist vollkommen nebensächlich.

Wahrscheinlich war das niemals anders. Das Ausmaß der Wetten an der Börse dürfte sich jedoch in den vergangenen Jahren drastisch weiterentwickelt haben. Möglich macht das die Technologie. Wer einmal eine alte Buchausgabe von der Value Legende Benjamin Graham gelesen hat, der kann sehr gut nachvollziehen, was für eine Entwicklung die Börse gemacht hat. Früher war alles sehr viel langsamer. Der Zugang zum Handel war mühsam. Kurse kannte man für gewöhnlich erst mit einem Tag Verzögerung, es sei denn, man rief seine Bank an. Das konnte man tun, zahlte aber auch entsprechend dafür.

Heute eröffnet man mit minimalem Kapital ein Konto bei einem der zahllosen Broker (gefühlt müssen es hunderte sein, auch wenn es wahrscheinlich „nur“ 50 oder 100 sind). Dafür braucht es ein paar Minuten Zeit und einen Internetanschluss. Wer seine Kreditkarte griffbereit hat, kann sehr schnell loslegen. Geboten wird einem immer mehr. Während man vor einigen Jahren noch damit erfolgreich sein konnte, überhaupt einen Zugang zur Börse zu bieten, reicht das schon lange nicht mehr. Heute müssen es unzählige Produkte, Hebel, interaktive Schaltflächen, hunderte Indikatoren, real-time Daten und geringe Kosten sein. Gegen den letzten Punkt ist natürlich nichts einzuwenden...

Die Entwicklung ist einerseits gut, weil sie es vielen Menschen überhaupt erst ermöglicht, investieren zu können. Der Nachteil an dem Fortschritt: er wird nicht genutzt, um zu investieren, sondern um zu wetten. Wer Hebel von 300 verwendet, der plant kaum ein langfristiges Investment. Selbst in den liquidesten Märkten ist man bei Hebel 300 oder sogar 400 schnell einmal ausgenockt. Das erinnert dann schon eher an ein Casino, indem die Bank für gewöhnlich gewinnt. Die Chancen sind entsprechend kalkuliert. Bei Hebeln von 400 muss man gar nicht mehr groß kalkulieren, um sich ein Bild von der Wahrscheinlichkeit eines KOs zu machen. Bei ungeübten Tradern und Neulingen dürfte die Wahrscheinlichkeit nahe 100% liegen.

Die Entwicklung in der Branche ist der von Casinos nicht unähnlich. Man kann sogar noch sehr viel spezifischer werden. Das Produktangebot für Trader ähnelt der Entwicklung von Glücksspielautomaten. Diese hatten bis in die 90er Jahre ein schlechtes Image. Man dachte sofort an eine ältere Dame, die vor dem Automaten sitzt und den Hebel runterzieht. Alles in allem war das nicht besonders attraktiv, auch nicht für die Casinos. Der Umsatz und die Margen waren nicht besonders. Heute ist das anders. Es wird geschätzt, dass inzwischen über 80% des Gewinns der Branche durch Spielautomaten erwirtschaftet wird.
Wie konnten Automaten zu so einem Siegeszug ansetzen? Von alleine kam der Erfolg ganz bestimmt nicht. Die Entwicklung war technologiegetrieben. Früher waren Automatenspiele denkbar einfach. Man warf eine Münze ein, zog am Hebel und verlor – oder gewann. Das ist nicht besonders fesselnd. Beim Roulette etwa ist der Entertainment Faktor ein ganz anderer, vor allem, weil man regelmäßig kleinere Beträge gewinnt, wenn man z.B. nur auf eine Farbe setzt.

Bei den Automaten war das große Problem, dass sie nur zwei Zustände zuließen: Gewinn oder Verlust. Andere Glücksspiele lassen auch immer wieder Gewinne zu, auch wenn man langfristig nur verliert. So wurden die Automatenspiele verfeinert. Man kann jetzt nicht nur auf ein Symbol setzen, welches 4 oder 5 Mal nebeneinander (horizontal) erscheinen muss. Man kann neben einer horizontalen auch eine vertikale oder diagonale Wette eingehen und kann Teilgewinne realisieren. Besonders dieser Punkt ist wichtig. Selbst wenn man bei einem Einsatz 10 Euro setzt und nur 5 wieder herausbekommt, dann zählt das für die Wahrnehmung wie ein Gewinn, obwohl man verloren hat. So bleiben Kunden sehr viel länger an den Automaten und spielen immer weiter.

Die Automaten bieten inzwischen zahlreiche Spiele an, sie ermöglichen Teilgewinne und sie sind interaktiv. Darüber hinaus sind Casinos so gebaut, dass sich Kunden wohl fühlen. Das rundherum-glücklich-Erlebnis ist fast perfekt. Das erinnert ein wenig an die Entwicklung, die wir auch auf dem Finanzmarkt für Kleinanleger sehen. Konnte man früher eigentlich nur auf steigende Kurse setzen, kann man heute problemlos long und short gehen. Man kann „horizontale“ Wetten eingehen. Exotische Optionsscheine machen es möglich. Seien es Inline Optionsscheine, Express-Relax Zertifikate, Sprinter, Airbag, Outperformance (plus), Capped Multi Bonus, Capped Reverse Bonus Pro, Alpha und (Reverse) Twin-Win Zertifikate oder Power und Lock-out Optionsscheine. Es gibt unzählige Formen, um Wetten abzuschließen.

Der Erfolg gibt den Banken Recht. Brokerhäuser, die nur online Zugänge anbieten, hinken der Entwicklung noch etwas hinterher. Oftmals lässt sich nur der Hebel für long oder short verändern. Dafür ist die Umgebung, in der man sich befindet, immer angenehmer. Alles ist intuitiv. Die Charts sind inzwischen so toll und so real-time, dass man sich stundenlang nicht davon lösen kann. Nicht zu vergessen, dass sich ein Basiswert mit ca. 100 Indikatoren analysieren lässt.

Die Umgebung stimmt. Die Produktauswahl wird auch bei den online Brokern immer größer. Es gibt mehr Basiswerte (z.B. Futures), die gehandelt werden können. Gleichzeitig werden auch immer mehr Spezialinstrumente angeboten. Dazu gehören binäre Optionen und Optionen mit sehr kurzer Laufzeit. Am besten kombiniert man das. Hat man eine binäre Option mit 10 Minuten Laufzeit, dann erinnert das schon sehr stark an eine Runde am Spielautomaten. Wahrscheinlich sind diese Produkte mehr Entertainment als ein Mittel langfristig Geld zu verdienen.

Bewerten will ich das alles gar nicht. Manche Menschen gehen ins Kino, andere handeln 10-Minuten Optionen. Das ist alles legitim. Wer weiß, vielleicht gelten irgendwann in Zukunft einige Produkte nicht mehr als Handelsinstrumente, sondern als Glücksspiel. Die Umsätze sind recht hoch. Da könnte die Politik Steuereinnahmen generieren.

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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