Kommentar
15:20 Uhr, 03.05.2021

Die beste Börsenweisheit: Nicht an Börsenweisheiten halten

Der Aktienmarkt ist mit Monatsbeginn in die schwierige Phase des Jahres eingetreten. Jeder kennt „sell in May“ und andere Börsenweisheiten. Halten sollte man sich daran nicht.

Für Börsenweisheiten gibt es einen Grund. Das will ich nicht bestreiten. Bei der Empfehlung im Mai zu verkaufen und im September wieder in den Markt einzusteigen, ist die Historie durchaus bestechend. Die Performance des Marktes ist zwischen Mai und September einfach nicht besonders gut. Nicht besonders gut heißt aber nicht gleich schlecht. Der Markt steigt in dieser Zeit immer noch. Es gibt ein kleines Zeitfenster, in dem der Markt nicht steigt. Wer Anfang Juni oder Anfang Juli den S&P 500 über einen ETF kauft, kann über die folgenden drei Monate keine positive Performance erwarten.


Wer Anfang Mai kauft (Pfeil in der Grafik), kann hingegen durchaus noch eine positive Rendite über die kommenden drei Monate erwarten. Die Performance hat ein Sommerloch. Das zeigt die Grafik eindeutig. Das Sommerloch beginnt allerdings nicht unbedingt am ersten Mai.

Jedes Jahr beginnt es an einem anderen Tag. Es ist unwahrscheinlich, dass man als Anleger den Tag genau erwischt. Wer versucht, mit „sell in May“ seine Performance aufzubessern, verschlechtert sie mit hoher Wahrscheinlichkeit. Das gilt auch für andere Börsenweisheiten.

Das Problem ist nicht, dass sich der Markt nicht so verhält wie versprochen. Die Performance des Marktes sinkt ab Mai und zu Jahresende steigt der Markt ja tatsächlich sehr häufig. Das Problem ist Timing. Durchschnittswerte wie in Grafik 1 sind eben nur Durchschnitte. In den meisten Jahren ist die Abweichung vom Durchschnitt erheblich.


Um einen minimalen positiven Effekt zu erzielen, muss man einer Strategie auf Basis einer Börsenweisheit jahrzehntelang treu bleiben und auch dann gibt es keine Garantie. Keiner weiß, ob die Tendenz des Marktes in den kommenden Jahrzehnten noch gültig ist.

Wie gravierend es sein kann, wenn man sich für eine Börsenweisheit entscheidet und nicht einfach eine „buy and hold“ Strategie fährt, zeigt Grafik 2. Wer im Mai seine Aktien verkauft und im Oktober wieder in den Markt einsteigt, hat über die Jahre immer wieder viel Performance verloren. Seit 1987 verloren Anleger im Durchschnitt jedes Jahr 1,7 % an Performance.

1,7 % klingt wenig, sind aber über die Jahre insgesamt 50 %. Wer einfach investiert geblieben ist, hat heute ein Vermögen, das 50 % höher ist. Das ist ein großer Unterschied. Börsenweisheiten sind nicht unbedingt falsch. Sie zeigen, was man tendenziell erwarten muss. Zwischen Mai und September ist der Aktienmarkt häufig schwierig und steigt wenig. Eine Tendenz zum Verhalten des Marktes ist allerdings keine gute Handlungsempfehlung. Die beste Performance erzielen Anleger langfristig, wenn sie Börsenweisheiten ignorieren.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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