Fundamentale Nachricht
11:34 Uhr, 15.03.2017

Die Aussichten für europäische Anlagen

Das Ausbleiben negativer politischer Überraschungen ist nach Meinung von Witold Bahrke, Senior Macro Strategist bei Nordea Asset Management, Grundvoraussetzung für eine positive Entwicklung an den europäischen Börsen.

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Stockholm (GodmodeTrader.de) - Am Anfang eines Jahres geht es Anlegern meist um die Frage, welche Regionen unter Wachstums- und Ertragsaspekten positive Überraschungen liefern könnten. Besonders Aktienanleger halten Europa im Jahr 2017 für einen geeigneten Kandidaten. Dieser Optimismus scheint in vielerlei Hinsicht begründet: Die Unternehmensgewinne werden nach oben korrigiert, das Wachstum hat beinahe wieder den Vorkrisentrend erreicht und liegt praktisch auf US-Niveau, und die meisten Makrodaten sind ungewöhnlich positiv. Zudem sind die relativen Bewertungen attraktiv, zumindest im Hinblick auf Aktien, wie Witold Bahrke, Senior Macro Strategist bei Nordea Asset Management, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Bisher aber bleibe alles Theorie, denn die Anleger hielten sich nach wie vor zurück. Seit Jahresbeginn sei die Wertentwicklung europäischer Aktien enttäuschend. Den nach eigenem Bekunden optimistischen Anlegern fehle die Überzeugung, um den Worten Taten folgen zu lassen. Aus makroökonomischer Sicht gäben drei Faktoren Anlass zur Skepsis – einige offensichtlicher als andere. Zumindest zwei der drei Faktoren müssten sich für Europa positiv entwickeln, bevor aus dem grundsätzlichen Optimismus der Anleger echte Überzeugung und damit eine nachhaltige Wertentwicklung werde, heißt es weiter.

„Zunächst einmal dämpft die politische Entwicklung den Appetit der Investoren auf europäische Anlagen. Angesichts der anstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich, Deutschland und womöglich auch Italien spielt die Politik erneut eine Hauptrolle. Die Anleger sind nervös – und mit gutem Grund, denn es fehlt an klaren Antworten auf die politischen Herausforderungen, denen sich Europa und die Währungsunion gegenübersieht. Europäische Aktien sind zwar günstig, aber nicht günstig genug, solange die politische Unsicherheit nicht deutlich zurückgeht“, so Bahrke.

Was verursache diese Unsicherheit? Die Nervosität im Hinblick auf die Wahlen in Europa werde durch die nicht vorhersehbaren Konsequenzen der US-Wahl und des Brexit noch verstärkt. Besonders letzterer sei noch nicht ausgestanden. Der Ausstieg Großbritanniens verdeutliche die starken Spannungen innerhalb der Europäischen Union und stelle damit die Überlebensfähigkeit der Währungsunion infrage. Dies schüre die Angst vor extremen Szenarien, heißt es weiter.

„Bis heute war die Politik entweder nicht in der Lage oder nicht willens, diesen Ängsten zu begegnen, und so steigt die Unsicherheit weiter. Selbst die EZB – nach dem Lehman-Zusammenbruch ein Fels in der Brandung – hat in diesem Zusammenhang an Überzeugungskraft eingebüßt. Zwar betont Draghi – seinem Amt gemäß – weiterhin die Notwendigkeit der europäischen Gemeinschaftswährung, ließ kürzlich aber auch verlauten, dass jeder Aussteiger aus dem Euro seine Rechnung begleichen müsse. Damit widerspricht er dem EZB-Mantra von der Alternativlosigkeit des Euro“, so Bahrke.

Dennoch bestehe durchaus die Chance, dass die politische Unsicherheit im Laufe des Jahres 2017 zurückgehe. Daher sollten Anleger trotz der allseits diskutierten politischen Risiken die Chancen nicht außer Acht lassen. Wenn der Vormarsch der populistischen Parteien in Europa gestoppt werde, dürften die Börsen aufatmen und den Marktteilnehmern zumindest kurzfristige Kursgewinne bescheren. Die größte Angst hätten die Anleger vor der französischen Wahl im April/Mai 2017. Allerdings habe Marine Le Pen, zumindest per Stand heute, kaum Aussicht darauf, die Stichwahl für sich zu entscheiden. In Deutschland verliere die populistische und antieuropäische AfD derzeit potentielle Wähler an den proeuropäischen Kandidaten Schulz, und die euroskeptische 5-Sterne-Bewegung in Italien mache sich selbst das Leben schwer, heißt es weiter.

„Und ein weiterer wichtiger Faktor könnte den populistischen Bewegungen in Europa zum Verhängnis werden: die Rolle des politischen Establishments. Sowohl der Brexit als auch Trump wären ohne die massive Unterstützung aus Teilen des konservativen Establishments nicht möglich gewesen. Trump wurde von starken Kräften innerhalb der republikanischen Partei getragen, und in Großbritannien befürworteten viele konservative Politiker den EU-Ausstieg. Die Populisten in den Euro-Ländern hingegen sind deutlich stärker isoliert. Für den Markt negative Wahlergebnisse sind damit zwar nicht ausgeschlossen, aber eben nicht ganz so wahrscheinlich“, so Bahrke.

China sei der zweite entscheidende Faktor, der die Aussichten Europas bestimme. Nicht zuletzt dank des schwachen Euro und der chinesischen Nachfrage habe das europäische Wachstum über die Exporte in den jüngsten Quartalen wieder sein Trendniveau erreichen können. Betrachte man die Handelsverbindungen zwischen den Regionen genauer, so falle auf, dass das chinesische Kreditwachstum ein guter Vorlaufindikator sei für die Euroraum-Exporte nach China, die wiederum einen Vorlauf hätten gegenüber den Euroraum-Exporten generell. Besonders Deutschland habe von den chinesischen Überschüssen profitiert: Der Anteil der Exporte in Regionen außerhalb des Euroraums sei in Deutschland höher als in allen anderen großen Euroraum-Wirtschaften. Laut neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes sei China mittlerweile Deutschlands wichtigster Handelspartner, heißt es weiter.

„Allerdings beruht der Wachstumsanstieg in China auf ‚alten Sündern‘, also in erster Linie auf einem politisch gewollten Kreditboom, der an dem deutlich schnelleren Geldmengenwachstum abzulesen sei. Wie umfangreich die kreditfinanzierte Erholung in China tatsächlich gewesen sei, zeige ihre enorme Größe: In den ersten zehn Monaten des Jahres 2016 hätten die chinesischen Infrastrukturausgaben dem Betrag entsprochen, den Trump im kommenden Jahrzehnt für Infrastruktur ausgeben wolle (etwa eine Billion US-Dollar), heißt es weiter.

„Perspektivisch lautet die wichtigste Frage daher: Wie nachhaltig ist dieser kreditgetriebene Wachstumsmotor? Im Großen und Ganzen braucht China keine höhere Verschuldung – im Gegenteil. Auf fundamentaler Ebene ist das Ziel schon erreicht, da die Angst vor einer harten Landung, die die zweite Hälfte des Jahres 2015 beherrschte, gebannt ist. Aus politischer Sicht ist die Beschönigung des Wachstums vor dem 19. Nationalkongress der Kommunistischen Partei im Oktober weitestgehend gelungen. Insgesamt wären die politisch Verantwortlichen in China gut beraten, das Kreditwachstum nicht weiter anzukurbeln, um die finanziellen Stabilitätsrisiken in Schach zu halten“, so Bahrke.

Erste Anzeichen, dass dies geschehe, seien bereits erkennbar. Obwohl die Zahlen unter den üblichen saisonalen Effekten litten, hätten sich das Kredit- und das Geldmengenwachstum insgesamt in den letzten Monaten verlangsamt. Während die negativen Risiken aus politischen Entwicklungen in Europa also bestens bekannt seien, könnten potentielle Ansteckungseffekte aus einer Drosselung der Wirtschaftsstimulierung in China die Anleger überraschen, insbesondere wenn es dem Land nicht gelinge, den Kreditboom langsam auslaufen zu lassen, heißt es weiter.

„Der dritte Faktor schließlich betrifft die Banken und die Kreditwirtschaft. Banken sind und bleiben ein Thema, mehr noch in Europa als in den USA, weil der Nichtfinanzsektor in Europa anders als etwa in den USA deutlich stärker von Bankfinanzierungen abhängig ist. Entsprechend sind Kreditkennzahlen in der Regel gute mittelfristige Wachstumsindikatoren für den Euroraum. Während kurzfristige Wachstumsindikatoren wie die Einkaufsmanagerindizes aktuell eine florierende Wirtschaft signalisieren, sind die mittelfristigen Kreditindikatoren weniger positiv. Die Kreditnachfrage ist schwach. Die Daten zu den Kreditflüssen sprechen eher für ein jährliches BIP-Wachstum von 1 Prozent als für den aktuell aufs Jahr hochgerechneten Wert von 1,7 Prozent, so Bahrke.

Eine stärker aus sich selbst heraus getragene Erholung in Europa brauche nachhaltige Verbesserungen bei der Kreditversorgung. Die Banken seien stärker kapitalisiert, und das sei zweifellos positiv. Unglücklicherweise aber bestünden weiterhin Wechselwirkungen zwischen der Kreditversorgung und der Politik, wodurch das Kreditwachstum weiter gehemmt werde. So werde die Kreditnachfrage erst dann steigen, wenn die politische Unsicherheit sinke. Und zum anderen bleibe das Kreditangebot beschränkt, solange das Bankenproblem nicht gelöst und der Kausalzusammenhang zwischen Bankensektor und Staaten nicht aufgehoben werde. Die strukturellen Probleme des Bankensektors würden vermutlich so lange nicht verschwinden, wie eine ausgewachsene Bankenunion Wunschdenken bleibe. Viele Wackelkandidaten der Branche seien weder geschlossen noch von stärkeren Banken übernommen worden. Andererseits hätte jeder Fortschritt bei der Beseitigung dieser Probleme (Stichwort Italien) deutlich positive Auswirkungen, heißt es weiter.

„Kurz gesagt gehen wir davon aus, dass die Wertentwicklung europäischer Investments im Jahr 2017 entscheidend von der politischen Entwicklung, China und den Banken abhängt. Entsprechend dürften diese Faktoren auch als Indikatoren für Anleger dienen, die über eine Ausweitung ihres Engagements in Europa nachdenken“, so Bahrke.

Realistisch betrachtet spreche einiges dafür, dass Europa den politischen GAU vermeiden könne. In diesem Fall wäre es natürlich verlockend, die Exponierung gegenüber Europa im Vorlauf zu Wahlterminen zu erhöhen. Es sei jedoch Vorsicht geboten: Schließlich hätten wir aus den Überraschungen des vergangenen Jahres vor allem gelernt, dass die Fähigkeit der Analysten, politische Ereignisse zu antizipieren, zumindest begrenzt sei. Und auch die Marktreaktionen würden eher selten korrekt vorhergesagt – selbst wenn sie ein politisches Ergebnis als bekannt voraussetzen. Wer hätte damit gerechnet, dass die Aktienmärkte direkt nach dem Trump-Sieg anziehen würden? Das Ausbleiben negativer politischer Überraschungen im Jahr 2017 sei also eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Bedingung für eine mittelfristig positive Einschätzung von Risikoanlagen in Europa, heißt es weiter.

„Erst wenn mindestens einer der beiden anderen, fundamentaleren Faktoren ebenfalls zugunsten von Europa wirkt, ist mit einer nachhaltigeren positiven Entwicklung der europäischen Märkte zu rechnen. Anlegern, die sowohl die kurzfristige politische und mittelfristige fundamentale Unsicherheit zu akzeptieren bereit sind, bietet Europa attraktive Ertragschancen. Alle anderen dürften gut beraten sein, noch abzuwarten“, so Bahrke.

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Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

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