Kommentar
22:16 Uhr, 07.07.2020

Deutschlands Wirtschaftswunder

Deutschland gelingt eine Wiederholung des Wirtschaftswunders während der Finanzkrise. Damals wie heute gingen überraschend wenige Jobs verloren und die Wirtschaft erholte sich innerhalb von Monaten, nicht Jahren.

Deutschland ist bisher gut durch die Krise gekommen. Kaum etwas bringt das so auf den Punkt wie der Einzelhandelsumsatz. Dieser brach wie in allen anderen Ländern während des Lockdowns ein und erreichte im April seinen Tiefpunkt. Die Umsätze fielen auf das Niveau von Ende 2016 zurück. Im Mai, als die Wirtschaft wieder nach und nach geöffnet wurde, kam es zu einem stattlichen Rebound. Der Einzelhandelsumsatz erreichte nicht nur das Vorkrisenniveau, sondern übertraf es sogar. Das unterscheidet Deutschland von vielen anderen Ländern. Überall steigt der Einzelhandelsumsatz im Mai und Juni. Das ist praktisch zwangsweise so. Der Anstieg reicht in den meisten Ländern aber nicht aus, um den Einbruch im März und April wieder auszugleichen. Stattdessen bleiben die Umsätze merklich unter dem Vorkrisenniveau. Dass Deutschland das Vorkrisenniveau schon jetzt wieder erreicht hat, gleicht tatsächlich einem Wunder.


Man sollte jedoch nicht darauf zählen, dass sich das Monat für Monat wiederholt. Da in vielen Bereichen nicht konsumiert werden konnte, gibt es einen Nachholeffekt. Dieser sorgt für einen raschen Anstieg. Wurde der Konsum erst einmal nachgeholt, flacht das Wachstum wieder ab bzw. geht der Konsum auch wieder zurück.

Für die USA hatte ich im Juni einen ähnlichen Effekt prognostiziert. Da in den USA einige Bundesstaaten die Maßnahmen wieder verschärfen, bleibt abzuwarten, ob der Nachholeffekt so stattfinden kann wie in Deutschland. Deutschland hat ja im Vergleich zum außereuropäischen Ausland auch noch eine andere Besonderheit: Kurzarbeit.

Die Zahl der Arbeitslosen stieg während der Krise um 500.000 an. Im Juni lag der Anstieg nur noch bei 50.000. Möglich machte das die Kurzarbeit. Zusammen mit Kurzarbeitern sind über 10 Mio. Menschen arbeitslos oder unterbeschäftigt (Grafik 2). Das Kunststück liegt nun darin Kurzarbeiter nicht zu Arbeitslosen werden zu lassen.

Einige Firmen haben bereits angekündigt die Kurzarbeit wieder zu beenden. Seit 1. Juli gilt etwa bei VW keine Kurzarbeit mehr. Der Konzern hatte zeitweise 80.000 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Langfristig hängt es davon ab, ob die Nachfrage wieder anzieht. Ist das nicht der Fall, gibt es Kündigungen.

Bisher ist die Arbeitslosenrate kaum angestiegen (Grafik 3), wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Ein Anstieg von 5 % auf 6,2 % ist im Vergleich gut, wenn man etwa an die USA denkt. Der erste Schock der Krise wurde gut überstanden, besser als in vielen anderen Ländern. Jetzt beginnt die harte Arbeit.


Es müssen neue Jobs geschaffen werden. Wir wissen bereits jetzt, dass viele Unternehmen in den kommenden Monaten zehntausende Mitarbeiter entlassen werden. Man denke nur an Fluglinien, Airbus und Banken. Wenn es hier gelingt schnell ein neues Zuhause für diese Menschen zu finden, dann kann man wirklich von einem Wirtschaftswunder sprechen.

Clemens Schmale


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2 Kommentare

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  • Tüskendör
    Tüskendör

    Leider ist der deutsche Konsument tendenziell weniger schlau als die Arbeit, die über Jahrzehnte in das Funktionieren der freien, sozialen Marktwirtschaft gesteckt wurde.

    Letztere geht den Bach runter, wenn sich der Konsument ausschließlich in Amazon und Co flüchtet. Um den Lufthansa-Piloten muss man sich eher bedingt Sorgen machen (wenngleich auch dessen Ausbildung ihm selbst selbst einen guten Haufen Kohle kostet), wichtiger jedoch ist m.E., dass sich nicht 385000 Köche, Restaurantfachkräfte, Gastwirte, Kneipenbesitzer, Bedienungen, Boutiquen-Besitzer, Reiseverkehrsfachmenschen um "wahnsinnige" 5000 "neue" Jobs in der Amazon-Packstation balgen müssen. Weil Zeitgeist schwer aufzuhalten ist, steht zu befürchten, dass für vermeintlich 20 gesparte Euronen bei Amazon zusätzliche 50€ in erhöhte Sozialversicherungsbeiträge fließen. Und am Ende bekommt wahlweise der Flüchtling und/oder der EU-Italiener die Schuld.... - und dann natürlich gleich für "alles"...- ist ja schließlich auch einfacher so.

    That`s the way the cookie crumbles...

    00:05 Uhr, 08.07.2020
  • Andreas Hoose
    Andreas Hoose

    Im September endet die Schonfrist für insolvente Firmen in Deutschland. Dann wird es mit der heilen Welt ganz schnell vorbei sein. Zitat:

    Die Wirtschaftsauskunftei Creditreform befürchtet wegen des von der Corona-Krise ausgelösten Konjunktureinbruchs eine Insolvenzwelle in der zweiten Jahreshälfte. Wenn die Insolvenzantragspflicht ab Ende September nicht mehr ausgesetzt sei, werde sich die Zahl der Anträge deutscher Unternehmen erheblich erhöhen.

    https://www.tagesschau.de/wirt...

    23:10 Uhr, 07.07.2020

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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