Kommentar
11:00 Uhr, 23.12.2008

Deutschland - Der Wachstumsmotor gerät ins Stottern

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Der Export getriebene Konjunkturaufschwung ist abrupt zu Ende gegangen. Privater Konsum in Kombination mit staatlichen Konjunkturprogrammen könnten den Weg aus der Rezession ebnen.

Zum ersten Mal seit 2003 befindet sich die deutsche Wirtschaft formal in einer Rezession. Nach einem beeindruckenden Start ins neue Jahr sank das Wachstum im zweiten Quartal um 0,4 % im Quartalsvergleich sowie im dritten Quartal um 0,5 %. Das vierte Quartal wird desaströs.

Am stärksten leidet die verarbeitende Industrie unter der Finanzkrise. Vor allem die angesehene deutsche Automobilindustrie ist in den Sog der Krise und der weltweiten konjunkturellen Abkühlung geraten. Weitaus größere Sorgen bereitet indes die Tatsache, dass das wahre Ausmaß der Finanzkrise sich erst noch zeigen wird. Die im Einzelnen beobachteten Marktentwicklungen und Frühindikatoren sind beängstigend.

Im gewerblichen Sektor sind die Aufträge seit rund einem Jahr rückläufig. Die Industrieproduktion hat deutlich an Dynamik eingebüßt; zurzeit arbeitet man daher lediglich Auftragsrückstände ab.

Mehrere Automobilhersteller haben vorübergehende Produktions-Stopps angekündigt, nahezu abgeschlossene Aufträge werden in letzter Minute storniert. Gleichwohl geht die Talfahrt für die verarbeitende Industrie ungehindert weiter. Das von der Bundesregierung geschnürte Rettungspaket sieht bisher keine spezifischen Unterstützungsmaßnahmen für die Industrie vor, sondern beschränkt sich vielmehr auf mittelfristige Investitionsanreize.

Bis auf weiteres sind keine Wachstumsimpulse durch Auslandsnachfrage bzw. aus der verarbeitenden Industrie in Deutschland zu erwarten.

Damit bleibt nur noch der private Konsum und die öffentliche Hand, um der deutschen Wirtschaft wieder auf die Beine zu helfen. Unrealistisch?

Durchaus nicht. Entgegen verbreiteter Überzeugung spielte der Privatverbrauch bereits bei früheren Rezessionen die Rolle des Wachstumsmotors.

So waren die Ausfuhrbilanzen 1975 und 1983 in den ersten vier Quartalen des Aufschwungs negativ. 1993 trugen die Nettoausfuhren weniger als ein Drittel zum gesamten BIP-Wachstum bei. Mit Ausnahme des Aufschwungs von 2003 wurden alle früheren Konjunkturaufschwünge durch die heimische Wirtschaft angekurbelt, und zwar vor allem durch den Konsum der Privathaushalte, aber auch Investitionen der Wirtschaft und staatliche Ausgabenpolitik. Daher richten sich momentan alle Hoffnungen auf den privaten Konsum. Wird es dem deutschen Verbraucher gelingen, der Wirtschaft aus der Klemme zu helfen?

Da auf den privaten Verbrauch in Deutschland rund zwei Drittel der BIP-Verwendung entfallen, könnten sich die Privathaushalte wiederum als wichtige Stütze des Wirtschaftswachstums erweisen.

Während der vergangenen zehn Jahre gab es hier allerdings nur Enttäuschendes zu vermelden. So fungierten während des letzten Aufschwungs überwiegend die Nettoausfuhren als alleiniger Wachstumstreiber. In der Spätphase des Erholungszyklus gesellte sich dann noch die Investitionstätigkeit als stützender Faktor hinzu. Der Privatverbrauch hielt sich indes bedeckt.

Unter normalen Bedingungen hängen die Konsumausgaben vor allem von der Beschäftigungslage ab. Als Daumenregel gilt: Je niedriger die Arbeitslosenrate, desto höher der Konsum. Dabei fällt auf, dass die positive Entwicklung des Arbeitsmarktes einer der Positivfaktoren der letzten Jahre war. Strukturelle Reformen und kräftiges Wirtschaftswachstum trugen zu einer Entspannung bei: Die Arbeitslosenzahlen fielen in Deutschland von über fünf Millionen auf nunmehr weniger als drei Millionen. Trotz erster Hinweise auf eine Abkühlung zeigt sich der Arbeitsmarkt bisher relativ immun gegenüber dem augenscheinlichen Konjunkturabschwung.

Vor allem aus drei Gründen hat die positive Entwicklung am Beschäftigungsmarkt als treibende Kraft für den privaten Konsum versagt: Einschnitte bei Löhnen und Gehältern, Niedriglohn-Jobs und Vorsorge-Sparen. Erstens sind die Reallöhne in Deutschland im Schnitt seit zehn Jahren rückläufig. Insofern ist der schleppende private Konsum der Preis, den die Wirtschaft für ihre Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel bezahlt.

Zweitens basiert das vermeintliche Wachstum des deutschen Arbeitsmarktes auf einer Ausweitung der Teilzeit- und/oder Niedriglohnbeschäftigungen, direkte Folge der gekürzten Sozialleistungen.

Ein derartiges Beschäftigungswachstum stärkt die Konsumfähigkeit nicht wirklich. Nicht zuletzt ist die bereits hohe Sparquote in Deutschland seit 2001 allmählich gestiegen. Grund ist die Zunahme des Vorsorge-Sparens zur Altersabsicherung, geschürt durch die Sorgen im Hinblick auf die künftige Rentenfinanzierung.

Man sollte also nicht zu viel von den notorisch ängstlichen deutschen Verbrauchern erwarten. Ein niedrigerer Ölpreis und sinkende Inflationsraten dürften den Konsum der Privathaushalte in 2009 nur bedingt ankurbeln. Nur ein Umdenken und eine echte Veränderung im Sparverhalten könnten eine Wende herbeiführen.

Als relativ offene Volkswirtschaft wurde Deutschland mittlerweile voll von den Turbulenzen an den internationalen Märkten erfasst. Nichtsdestotrotz ist die Situation jetzt weitaus besser als während der letzten Rezession zu Beginn der Jahrtausendwende, als trübe Aussichten und eine düstere Stimmung die Wirtschaft belasteten.

Da Deutschland die tief greifenden Strukturreformen auf dem Arbeitsmarkt, im Unternehmenssektor und auf den Absatzmärkten bereits hinter sich gebracht hat, bleibt die deutsche Wirtschaft nunmehr von weiteren schmerzhaften Anpassungen verschont.

Wie schon in früheren Erholungsphasen sollte das Zusammenspiel aus privatem Verbrauch und staatlichen Konjunkturprogrammen gemeinsam mit externen und geldpolitischen Anreizen die Wirtschaft aus dem Tief befreien. In diesem Zusammenhang dürfte der Zeithorizont des von der Bundesregierung zusammen gezurrten Rettungspakets sich von einem mittelfristigen auf einen kurzfristigen Fokus verlagern. Nach einem BIP-Wachstum von minus 1,0 % für 2009 erwarten wir im zweiten Halbjahr 2009 die ersten Anzeichen für eine zaghafte Erholung. Für 2010 rechnen wir mit einem erneuten BIP-Wachstum von 1,2 %.

Bei diesem Artikel handelt es sich um Research von ING Investment Management

ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit annähernd 375 Milliarden Euro Assets under Management, vertreten in 37 Ländern mit mehr als 3.700 Mitarbeitern, ist ING Investment Management (ING IM) weltweit auf Platz 27 im Asset Management.

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