Kommentar
09:00 Uhr, 25.03.2016

DEUTSCHLAND - Der Mythos vom soliden Haushalt

Der deutschen Wirtschaft geht es gut, die Steuereinnahmen sprudeln, die Verschuldung ist rückläufig. Das ist mehr als viele andere Länder von sich behaupten können. Trotzdem ist der Staatshaushalt desolat.

Die Research Abteilung von der Citi Bank hat ein altes, aber wichtiges Thema aufgegriffen und dazu einen über 100-seitigen Bericht verfasst. Es geht dabei um die zukünftigen Verpflichtungen der Staaten gegenüber ihren Bürgern. Diese werden in den Haushalten nicht erfasst und fallen so unter den Tisch. Das ist ein Fehler, denn die zukünftigen Verpflichtungen sind enorm hoch.

Grafik 1 zeigt die aktuelle Staatsverschuldung ausgewählter OECD Länder sowie die nicht erfassten Verbindlichkeiten, die über die kommenden Jahrzehnte anfallen. Während die meisten Länder eine mehr oder minder tragbare Staatsverschuldung haben sieht die Sache anders aus, wenn man vor allem die Pensionsansprüche berücksichtigt.

Deutschlands Schulden sind in den vergangenen Jahren im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung um fast 10 Prozentpunkte auf 72 % gefallen. Das ist eine gute Nachricht, doch dieser Rückgang ist im Vergleich zu den Gesamtverpflichtungen kaum nennenswert. Immerhin, die Lasten relativ zur Wirtschaftsleistung liegen bei „lediglich“ 400 %. In Ländern wie Italien, Frankreich und Portugal beträgt der Wert 450 %.

Das Problem der Belastungen, die in Zukunft auf die Staaten zukommen, ist nicht unbekannt. Es wird bereits seit vielen Jahren diskutiert, doch wirklich geschehen ist wenig. Das liegt auch daran, dass sich die Problematik über mehrere Jahrzehnte aufbaut und über eine Legislaturperiode weit hinausgeht.

Die Zahlen sprechen für sich selbst. Die Dringlichkeit zu handeln ist groß. Trotzdem geschieht nichts. Der Fairness halber muss man allerdings auch festhalten, dass die Zahlen dramatischer aussehen, als sie tatsächlich sind. Grafik 2 zeigt wieso das so ist.

Dargestellt sind die derzeitigen Ausgaben für Pensionen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung. Die Ausgaben liegen in Deutschland bei knapp 9 % des Bruttoinlandsproduktes. 2014 entsprach dies Ausgaben von 266 Mrd. Euro. Eingenommen wurden 269 Mrd. Euro. Es konnte also ein Überschuss erzielt werden. Das liegt an der günstigen Beschäftigungslage und vielen Beitragszahlern. Solange sich das nicht ändert, dürfte die deutsche Rentenversicherung ein mehr oder weniger ausgeglichenes Ergebnis erzielen.

Das wird sich ändern. Die Anzahl an Rentnern im Verhältnis zur arbeitsfähigen Bevölkerung steigt. Derzeit sind 21 % der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Dieser Anteil wird in den kommenden Jahrzehnten auf 34 % steigen. Es kommen also weniger Beitragszahler auf mehr Rentner. Die Rentenversicherung steht ab dem Zeitpunkt, ab dem die Anzahl der Beitragszahler deutlich zu sinken beginnt, vor einem Problem.

Allein schon durch die Vergrößerung des Anteils der Rentner an der Gesamtbevölkerung dürften die Ausgaben für Renten der Rentenversicherung bis 2050 von aktuell knapp 9 % des BIPs auf 12 % steigen. Das Wachstum von 9 % auf 12 % ist gänzlich unfinanziert. Man kann sogar davon ausgehen, dass der aktuelle Sockel von 9 % auf Dauer nicht finanziert werden kann, weil es in Zukunft immer weniger Beitragszahler geben wird.

Der Einfachheit halber kann man annehmen, dass das Wachstum der Ausgaben nicht finanziert ist. Das entspricht dann einer Lücke von 3 % der jährlichen Wirtschaftsleistung. Diese 3 % entsprechen der Unterfinanzierung der Rentenversicherung und liegen beim derzeitigen BIP, in Geld ausgedrückt, bei 90 Mrd. – jedes Jahr.

Der Fehlbetrag wird nicht von heute auf morgen wirksam und baut sich über viele Jahr auf. Der Staat muss die Finanzierungslücke schließen. Das geht nur über Beitragssatzerhöhungen, Steuererhöhungen oder Einsparungen an anderer Stelle. Würde die Lücke gänzlich unfinanziert bleiben, dann müsste der Staat jedes Jahr 3 % der Wirtschaftsleistung an neuen Schulden aufnehmen. Wächst die Wirtschaft gleichzeitig um 1,5 %, dann müsste die Verschuldung netto jedes Jahr um 1,5 % steigen. Man muss nicht lange rechnen, um zu erkennen, dass das nicht ewig gut gehen kann.
Es ist wahrscheinlich, dass Deutschland in Zukunft nicht mehr 1,5 % pro Jahr wächst. Die Bevölkerung schrumpft und ist demographisch vergleichbar zu Japan. Mehr als 0,5-1 % Wachstum pro Jahr sind unter diesen Umständen kaum denkbar. Die Finanzierungslücke wird größer.

Um das Loch zu stopfen, müsste der Beitragssatz bis 2050 um ein Drittel steigen. Das ist absolut unrealistisch. Der Staat kann andere Steuern erhöhen, doch schon jetzt macht der Staat über 40 % des BIPs aus. Werden die Steuern und Ausgaben weiter erhöht, dann gibt es irgendwann keine Privatwirtschaft mehr...

Was letztlich bleibt, das sind Einsparungen. Je mehr sich der Haushalt jetzt konsolidiert, desto weniger drastisch müssen die Einsparungen in Zukunft sein. Trotzdem, selbst bei guter konjunktureller Lage und Ausgabendisziplin dürfte die Staatsverschuldung allein wegen der Finanzierungslücke bei Renten in Deutschland von aktuell 72 % auf 100-120 % im Jahr 2050 steigen.

Dieser Verschuldungsgrad ist von vielen anderen Ländern auch ohne die Pensionsverpflichtungen bereits erreicht. Das führt in Ländern wie Frankreich, Spanien, Portugal und Italien zu einer Verschuldung von 150-200 % der Wirtschaftsleistung. Das ist kaum tragbar. Selbst wenn die Eurozone der jetzigen Schuldenkrise noch einmal entkommt, kann man sich ausmalen, dass es beim nächsten Mal nicht mehr gelingen wird. Die derzeitige Schuldenkrise begann bei einer Staatsverschuldung von deutlich unter 100 %. Das ist im Vergleich zu dem, was kommen wird, noch harmlos gewesen.

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15 Kommentare

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  • bembes
    bembes

    Und dann kommen dazu unsere lieben "Merkel-Flüchtlinge" dazu !! Jährliche Kosten bis zu 100 Mrd Euro !!!!!

    Lieber "Investor".....in Bälde brauchen Sie keine Stuern zu erhöhen, weil alles zusammenbricht. Lassen wir die gute Wirtschaftslage nur um 5 % zurückgehen....in einigen Branchen ist es schon so weit !!!

    Viel Spaß in der Zukunft !!

    20:17 Uhr, 28.03.2016
  • Löwe30
    Löwe30

    "Ein monetär souveräner Staat kann nie pleite gehen"

    Bis 1800 war Spanien sechs Mal zahlungsunfähig, allein im 19. Jahrhundert sieben Mal. Frankreich hatte acht Staatpleiten zwischen 1500 und 1812. Die Länder Lateinamerikas hatten im 19. und 20. Jahrhundert 61 Staatsbankrotte. Mexiko, Argentinien und Brasilien kommen zusammen auf 22 Staatspleiten. Deutschland war 1807, 1813, 1923, 1932 und 1948 "nur" fünfmal pleite.

    Waren diese Staaten etwa nicht monetär souveräne Staaten?

    "Seht es endlich ein, der Staat ist kein Haushalt. Ein Nulldefizit ist ökonomischer Unsinn. Damit es längerfristig zu keinen Verwerfungen kommt muss der Staat jährlich ein Defizit fahren und der Schuldenstand erhöht sich."

    Nein, das ist überhaupt nicht einzusehen, denn in aller Regel ist das Defizit jährlich höher als das Wirtschaftswachstum und das führt selbstverständlich in exponentiell steigende Schulden, die nicht durch Wachstum gedeckt sind. Und wenn der Staat das Defizit mit Geldschöpfung aus dem Nichts finanziert, kommt es zur Hyperinflation.

    Ein Staat sollte gar keine Schulden aufnehmen, denn Staatsschulden von heute, zahlen die nachfolgenden Generationen, da der Staat Schulden ja nicht tilgt, sondern über die Aufnahmen neuer Kredite tilgt. Es sind somit Schulden zu Lasten Dritter. So etwas ist im Geschäftsleben zwischen Bürgern verboten. Gehen Sie doch mal zu einer Bank und versuchen einen Kredit aufzunehmen, den Ihre noch nicht geborenen Kinder abzahlen sollen. Die Bankangestellten werden sie vermutlich einweisen lassen.

    Den Rat, den Sie dem Godmode-Trader Team geben, sollen Sie selbst beherzigen.

    18:21 Uhr, 25.03.2016
    3 Antworten anzeigen
  • 1 Antwort anzeigen
  • einSachse
    einSachse

    Bitte angeben, ob "nur" Pensionen, oder auch Renten und die wirklichen Krankenversicherungsbeiträge dabei sind. Gibt es auch eine Quelle?

    Schönes Ostern!

    13:03 Uhr, 25.03.2016
    1 Antwort anzeigen
  • mirfälltkeinerein
    mirfälltkeinerein

    Renten sind die Altersversorgung von Angestellten;

    Pensionen sind die Altersversorgung von Beamten.

    Was meinen Sie ?

    Gruß Schulz

    11:44 Uhr, 25.03.2016
    1 Antwort anzeigen
  • Roan-Fel
    Roan-Fel

    Sehr interessantrer Artikel.

    Vielen Dank

    10:27 Uhr, 25.03.2016

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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