Kommentar
13:50 Uhr, 14.02.2018

Deutschland auf dem Abstellgleis?

hier mal ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu dem, was sich derzeit in Berlin rund um die Koalitionsverhandlungen abspielt.

  • Deutschland fällt im wirtschaftlichen und politischen Machtgefüge in Euroraum zurück.
  • Das hängt unter anderem damit zusammen, dass andere Euroländer ihre Wirtschaft durch Reformen modernisieren, Deutschland aber nicht.
  • Das hat Konsequenzen für die künftige Struktur der Währungsunion.

Beim Ordnen meines Bücherschrankes stieß ich dieser Ta­ge auf ein interessantes Buch, das ich lange nicht in der Hand gehalten hatte. Es ist Mancur Olsons "The Rise and Decline of Nations" ("Aufstieg und Fall von Nationen"). Olson ist ein amerikanischer Professor und gehört zu den führenden Ökonomen des 20. Jahrhunderts. In dem Buch beschäftigt er sich mit der Frage, warum einzelne Volkswirt­schaften zeitweise hohe Wachstumsraten haben und warum sie dann wieder zurückfallen.

Olsons These: Hohes Wachstum gibt es nur, wenn die Wirt­schaft durch Reformen in Schwung gebracht wird. In ruhi­gen Zeiten gewinnen Interessengruppen immer mehr Macht und Einfluss. Sie höhlen den Wettbewerb als Wachstums­treiber aus. Sie schwächen die Effizienz der Wirtschaft. Am Ende lässt die gesamtwirtschaftliche Dynamik nach. In einer stabilen Demokratie, so Olsons Schlussfolgerung, ist es auf Dauer unausweichlich, dass es zu Stagnation kommt.

DEUTSCHLAND WIRD ABGEHÄNGT

Reales BIP in % yoy

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Quelle: IWF

Man könnte es auch so formulieren: Stabilität ist gut. Sie er­hält nicht nur den Geldwert. Sie bringt den Menschen in der Gesellschaft auch Sicherheit, Frieden und Ruhe. Der Preis aber ist, dass sie sich auf lange Sicht mit weniger Wohlstand abfinden müssen. Olsons politischer Ratschlag: "Ich bin der Überzeugung, dass eine kleine Rebellion hier und da etwas Gutes ist; sie ist in der Welt der Politik so notwen­dig wie Stürme in der physischen Welt".

Das Buch ist 1982 erschienen. Die Thesen passen aber im­mer noch. Man kann sie auch auf die aktuelle Situation in Deutschland anwenden. Vor 15 Jahren gab es in der Bun­desrepublik die Hartz IV-Reformen, die die Verkrustungen des Sozialstaates aufbrachen. Das führte zu einem kräfti­gen Wachstumsschub. Jetzt ist es damit vorbei. Die Bun­desre­publik ist in die Phase der Stabilität eingetreten. Es gibt kei­ne größeren Reformen mehr. Die Politik beschränkt sich weitgehend auf Wohltaten für die Wähler. Siehe der Koali­tionsvertrag, der in Deutschland jetzt ausgearbeitet wurde.


»Eine kleine Rebellion hier und da ist etwas Gutes; sie ist in der Welt der Politik so notwendig wie Stürme in der physischen Welt.«


Aber, was Wunder, ganz entsprechend der Olsons'schen Theorie entstehen wieder Verkrustungen. Interessenver­bände erstarken. Symptomatisch sind die ewig langen Ver­handlungen über die Bildung einer neuen Regierung nach der letzten Bundestagswahl. Sie zeigten, wie schwierig Kompromisse zwischen den verschiedenen Lagern gewor­den sind.

Das gesamtwirtschaftliche Wachstum ist zwar noch hoch. Das liegt aber allein an konjunkturzyklischen Faktoren so­wie der expansiven Finanzpolitik. Der langfristige Wachs­tumstrend ist schon seit einiger Zeit nach unten gerichtet.

Nun könnte man sagen: Ist doch nicht so schlimm. Warum braucht man hohe Wachstumsraten, wenn die Menschen zufrieden sind? Auch eine Gesellschaft braucht mal Ruhe­phasen. Das Problem ist nur: Wir haben wegen der Zuwanderung und wegen vieler gesellschaftlicher Spannungen durch die Flüchtlinge ohnehin keine Ruhepause. Zudem sind wir nicht allein in der Welt. Rund um Deutschland sind Länder, die sich derzeit in einer ganz anderen Phase der Entwicklung befinden. Sie sind in der Eurokrise zu Refor­men gezwungen wurden, die sich nun in höheren Wachs­tumsraten auswirken.

In der Grafik habe ich die Verhältnisse in Deutschland und Frankreich nach den Prognosen des IWFs gegenüberge­stellt. In Deutschland gehen die Wachstumsraten zurück.

In Frankreich steigen sie an. Frankreich erlebt derzeit Ähnli­ches wie Deutschland vor 15 Jahren. Es bricht alte Strukturen auf, zerstört die Macht der eingefahrenen Inte­ressengruppen und legt damit neue Wachstumskräfte frei. In diesem Jahr könnte es sein, das Frankreich in Sachen wirtschaftlicher Dynamik an der Bundesrepublik vorbeizieht.

Frankreich ist kein Einzelfall. In Spanien und Irland sind die Wachstumsraten aus ähnlichen Gründen schon vor ein paar Jahren hoch gegangen. Es gibt inzwischen im Euroraum nur noch drei Länder, die eine geringere Dynamik als Deutschland haben: Belgien, Portugal und Italien. Alle an­deren wachsen schneller, selbst Griechenland. Bei vielen stehen Reformen dahinter, die das Wachstum ankurbelten. Deutschland hat Reformen in anderen Ländern angestoßen (wenn man will, vielleicht sogar erzwungen). Es hat aber nichts getan, um selbst Reformen auf den Weg zu bringen und damit wettbewerbsfähiger zu werden.

Jetzt kommt die Quittung. Deutschland fällt im innergemeinschaftlichen Machtgefüge zurück. Es wird im Euro bald nicht mehr das wirtschaftlich erfolgreichste Land sein. Das hat auch politische Folgen. Unabhängig von den Schwierigkei­ten der Regierungsbildung wird die deutsche Kanzlerin nicht mehr die alleinige Führungsposition im Euro einnehmen. Sie wird die deutschen Vorstellungen von der Zukunft der Union nicht mehr so einfach durchsetzen können wie bis­her. Die Gemeinschaft insgesamt wird sich ändern. Sie wird weniger auf Austerität und fiskalpolitische Solidität setzen. Statt Disziplin wird Flexibilität eine größere Rolle spielen. Die Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente (vor allem des deutschen Bundestages) werden geringer.


Für den Anleger

Die Börsen stehen derzeit im Bann der Turbulenzen durch die hohe Volatilität. Sie interessieren sich im Augenblick nicht für die Veränderung der Machtpositionen in Europa. Das wird sich aber ändern. Wenn es wieder normalere Ver­hältnisse gibt, werden die Börsen der Reformländer interessanter. Sie werden sich vermutlich relativ besser entwickeln und manchen Rückstand der letzten Jahre aufholen. Schau­en Sie sich diese Länder an. Vor allem Frankreich müsste besser performen. Negativ ist die zu erwartende Aufweichung der Disziplin in der Währungsunion. Das müsste den Euro tendenziell schwächen. Es wird sich aber erst später auf die Devisenmärkte auswirken.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen:martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

2 Kommentare

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  • angola_murksel
    angola_murksel

    Dem ist vollumfänglich zuzustimmen, wenn auch Dynamikvergleiche auf relativer Basis zumindest hinterfragbar sind, wenn in absoluten Zahlen betrachtet es um ganz andere Etagen geht, in denen die einzelnen Länder derzeit spielen. Wer die ganze Zeit mit 50km/h unterwegs ist und dann mal auf 70 km/h beschleunigt hat relativ betrachtet gerade mehr Dynamik, als der, der konstant mit 100 Sachen durch die Landschaft kariolt. Überholen fällt aber schon schwer damit ?

    Die gegenwärtigen Veränderungen in der deutschen Gesellschaft lassen aber darauf schließen, daß es zukünftig zu großen Problemen bei der Beibehaltung der wirtschaftlichen Stärke geben wird. Dies wird einem offenbar, wenn man die sich abzeichnenden Veränderungen zur Abwechslung mal vom Ende her denkt: schwere Einschläge im Bildungsniveau mit jetzt schon sich verstärkendem Rückfall insbesondere hinter asiatische Nationen; Zustrom bildungsferner und letztlich auch arbeitsseitig schwer zu inztergrierender Menschen in großer Zahl mit allen damit zusammenhängenden Problemen und vor allem Kosten; der komplette Wahnwitz der Energiewende mit allen damit zusammenhängenden Problemen, vor allem der unglaublichen Kosten - dies und einiges mehr wird zu schwersten Belastungen der Wirtschaft und der in der Wirtschaft für Wohlstand und gesellschaftliches Mehrprodukt sorgenden Mitarbeiter führen - Thema Abgabenbelastung. Schon jetzt verabschieden sich die Eliten aus Technik,Wissenschaft, Finanzwesen in mehr als überdurchschnittlicher Zahl aus diesem Land. Dieser Tend wird zunehmen und ein schwer angeschlagenes Gemeinwesen zurücklassen. Es gab übrigens ein Buch, welches noch nicht mal 10 Jahr alt ist und genau diesen Sachverhalt betrachtet. Der Autor ist mittlerweile in der Mainstream-Öffentlichkeit zur Unperson deklariert worden, stammt aus einer angesehenen Bankiersfamilie und war mal als Finanzdezernent in Berlin tätig..............

    14:55 Uhr, 14.02.2018
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