Kommentar
07:00 Uhr, 24.08.2024

Der Wasserstoff-Mythos

Vor einigen Jahren gab es einen Wasserstoff-Hype an den Börsen. Der ist nicht nur deshalb vorbei, weil er zu einer massiven Übertreibung führte. Gegenüber anderen Hypes – z.B. der Dotcom- oder KI-Blase – gibt es einen gravierenden Unterschied.

Wasserstoff – so propagieren es mitunter die Politik und auch manche Unternehmen – sei die Lösung all unserer Energieprobleme. Und wir Anleger glauben das nur zu gern. Schließlich könnte dies der nächste große Hype sein. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied zu den Trends der vergangenen Jahre.

Warum die jüngsten Hypes anders waren

Sowohl die Dotcom-Blase als auch der jüngste KI-Hype drehten sich weitgehend um immaterielle Vermögenswerte: Eine Software kann beliebig oft kopiert und verkauft werden – ohne zusätzliche "Produktionskosten" bei steigender Stückzahl. Auch Verkaufsplattformen wie Amazon und Ebay oder Facebook und Tiktok lassen sich nahezu beliebig skalieren. Und das gilt letztlich auch für die KI – Nvidias Chips sind schließlich nur ein Mittel zum Zweck.


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Gut, in der Praxis werden für all das viele große Rechenzentren benötigt, also Hardware bzw. materielle Dinge. Doch zum einen sind Kosten und Aufwand dafür relativ gering – das zeigen die exorbitant hohen Margen von Microsoft, Amazon, Nvidia und Co. Zum anderen gibt es keine technisch relevanten Grenzen, die einer Skalierung entgegenstehen.

Teslas Skalierungsproblem

Völlig anders sieht das bei Tesla aus. Das Unternehmen produziert Autos – dass die elektrisch angetrieben werden, ist nebensächlich. Abgesehen vom Antrieb entsprechen sie bisherigen Fahrzeugen, auch wenn Tesla neue Fertigungstechnologien erprobt, vorantreibt und anwendet, die Kosten sparen sollen. Die Kostenvorteile werden durch die relativ geringen Stückzahlen aufgefressen. Zudem sind für die neuen Verfahren hohe Investitionen nötig.

Für die Produktion jedes einzelnen Autos ist viel Material nötig, das unter Umständen knapp ist, z.B. Batterien bzw. deren Rohstoffe. Entsprechend groß ist das Preis- und Kostenrisiko. Die Möglichkeiten, die Produktion zu skalieren, sind zudem begrenzt, da entsprechende Fertigungskapazitäten nötig sind, die teuer sind, gewisse (längere) Vorlaufzeiten haben und vor allem möglichst permanent ausgelastet werden müssen.

Hinzu kommen die immer kürzeren Entwicklungszyklen in der Autoindustrie, die permanent hohe Investitionen erfordern. Tesla kann daher seine Marge nicht beliebig erhöhen, zumal das Unternehmen – anders als Amazon, Facebook, Google oder Microsoft – in keinem "The Winner takes it all"-Markt tätig ist. Autos sind aus verschiedenen Gründen eine Commodity, sodass Tesla zuletzt mit zunehmender Konkurrenz zu kämpfen hat.

Auch Apple kommt an seine Grenzen

Die bisherige Rally bei Tesla war zum Großteil der Fantasie zu verdanken, dass es dem Unternehmen gelingen könnte – ähnlich wie Apple – um seine (materiellen) Produkte ein Software- und Service-Ökosystem zu bauen (Stichworte "Autopilot" und "Robo-Taxis"). Daraus wird, wenn überhaupt, zumindest kurzfristig nichts.

Der iPhone-Konzern hat es hingegen jahrelang geschafft, über eine strahlende Marke, das Wecken immer neuer Bedürfnisse, einen klaren Nutzwert (z.B. umfassenden Schutz der Privatsphäre) und attraktive Zusatzservices hohe Margen durchzusetzen und eine loyale Community aufzubauen. Apple – formal eher Hersteller elektronischer Geräte als ein Tech-Konzern – nimmt damit im Hardwaresektor eine Ausnahmeposition ein, scheint aber inzwischen ebenfalls an die Grenzen seines Geschäftsmodells zu kommen.

Warum Wasserstoff ein ganz anderes Ding ist

Die (zukünftige) Wasserstoffwirtschaft folgt aber nicht dem Tesla- und schon gar nicht dem Apple-Modell. Wie heute Erdgas bzw. Energie allgemein wird Wasserstoff eine reine Commodity sein. In der Perspektive sind die Unternehmen in diesem Segment aus Anlegersicht so sexy wie die heutigen Gasversorger und die Hersteller der entsprechenden Infrastruktur.

Und noch viel mehr als die Gewinnung von Erdgas und dessen Weiterverarbeitung (bis hin zur Verstromung in Gasturbinen, die derzeit die effektivste Technik zur Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen darstellen) ist die Wasserstoffwirtschaft durch physikalisch-technische Grenzen beschränkt.

Denn um Wasserstoff zu gewinnen, wird Energie benötigt. Nun kann man den alten Mythos bemühen und sagen "Sonne und Wind schicken keine Rechnung". Aber die Investitionen in neue (Sonnen- und Wind-)Kraftwerke sind beträchtlich – zumal diese "überdimensioniert" sein müssen, um das schwankende Angebot auszugleichen. Es kommt also in Zukunft darauf an, den Strom möglichst effizient einzusetzen. Und das gilt auch bei der Erzeugung von Wasserstoff mit grünem Strom.

Das ständige Problem des Wirkungsgrads

Bereits die Erzeugung von Wasserstoff aus Strom, die Elektrolyse, hat nur einen Wirkungsgrad von 50 bis 70 %. Der Wirkungsgrad bei der Rückwandlung von Wasserstoff in Strom über Brennstoffzellen beträgt ebenfalls nur 60 %. Da sind die Energiekosten für die zwischenzeitliche Lagerung des Wasserstoffs (Kühlung, Druck usw.) noch gar nicht berücksichtigt.

Besonders effizient ist die "Wasserstoffverstromung" also nicht. Für die Speicherung von Überschussstrom scheint das wenig relevant – schließlich wäre dieser Strom sonst komplett "verloren". Dennoch: Letztlich kann man von diesem Überschussstrom mittels Wasserstoff doch nur höchstens 36 % speichern (= 0,6 x 0,6). Aus diesem Grund ist auch der Betrieb von Fahrzeugen mittels Brennstoffzelle keine echte Alternative, sondern allenfalls eine Nischen-Zwischenlösung.

Die Frage ist daher, ob nicht andere Lösungen sinnvoller sind – z.B. Wasserstoff nur da einzusetzen, wo die CO2-Reduktion maximal ist (Stahlindustrie), und als Stromspeicher alternative Techniken vorantreiben.

Was ist sinnvoll – und was nicht?

Jedenfalls erscheinen aus energetischer Sicht "beliebte" Wasserstoffszenarien fragwürdig, z.B. die Einspeisung von "Wasserstoff" ins Gasnetz als Erdgasersatz. Der reine Wasserstoff kann im bestehenden Leitungsnetz wegen Leckagen (Wasserstoff ist das kleinste Molekül überhaupt und "passt überall durch") und Materialproblemen (das Gas ist sehr reaktionsfähig und kann zu unerwünschten Veränderungen der Leitungen führen) kaum transportiert werden. Außerdem ist sein Brennwert pro Kubikmeter zu gering (nur ca. ein Drittel von Erdgas). Hier wären also weitere (energieintensive) Maßnahmen nötig.

Wasserstoff könnte zwar zu Methan (chemische Formel: CH4) umgewandelt werden, das sehr gut im Erdgasnetz transportiert werden kann. Dazu wird aber CO2 benötigt, das (energieintensiv) aus der Luft oder aus anderen industriellen Prozessen gewonnen werden müsste, damit die Umweltbilanz neutral bleibt. Dabei gehen aber weitere 60 bis 70 % der ursprünglichen elektrischen Energie verloren (siehe Grafik).

der-wasserstoff-mythos-Kommentar-Torsten-Ewert-stock3.com-1

Quelle: eigene Darstellung nach eigenen Recherchen

Allerdings würde bei der Verbrennung von Methan doch wieder CO2 entweichen, das zuvor (energieaufwändig) aus der Atmosphäre geholt wurde. Da kann man das CO2 auch gleich in der Atmosphäre lassen und die Energie anderweitig und meist effektiver nutzen. Ein "Methannetz" wäre also nicht nur energetisch, sondern auch ökologisch unsinnig.

Warum Synfuels aus Wasserstoff unsinnig sind

Noch weniger sinnvoll wäre eine Rückverstromung von Methan in Gaskraftwerken – dabei wäre der Gesamtwirkungsgrad nur noch 12 %. Die Methanisierung dürfte daher nur bestimmten industriellen Prozessen mit kurzen Wegen und idealen Bedingungen vorbehalten bleiben.

Gleiches gilt für die Umwandlung von Wasserstoff in Synfuels (synthetische Kraftstoffe). Da Verbrennungsmotoren nur mit Kohlenwasserstoffen betrieben werden können, ist wie beim Methan eine CO2-Reaktion nötig, um den Kohlenstoff in die Verbindung zu bekommen – mit den identischen Effektivitätsproblemen. Zudem reicht die Erzeugung des Gases Methan nicht aus, da Kraftstoffe flüssig sein müssen. Die Verbindungen sind also komplexer, was zusätzlichen Energieaufwand erfordert.

Wenn überhaupt, kommt diese Technologie bestenfalls für begrenzte Einsatzfälle mit niedrigem Bedarf infrage – insbesondere, solange es keine effiziente CO2-Abscheidung aus der Luft gibt.

Die Wasserstoffwirtschaft aus Anlegersicht

Der Hype um "Wasserstoff-Aktien" vor einigen Jahren war also nicht nur völlig verfrüht, sondern es ist auch fraglich, ob all die Hersteller diverser technischer Lösungen – von Elektrolyseuren bis Brennstoffzellen – jemals die erhofften Stückzahlen realisieren können.

Denn da die diversen Wasserstoffreaktionen auf chemischen Vorgängen beruhen, sind die physikalischen Wirkungsgrade vorgegeben und damit das Maximum dessen, was erreicht werden kann. Und das gilt für jede Stufe der Umwandlungskette! Je mehr Glieder diese Kette hat, umso geringer der Gesamtwirkungsgrad, wie oben am Beispiel der Methanverstromung gezeigt. Technische Verbesserungen haben demgegenüber nur geringen Einfluss auf die Gesamteffektivität.

Die Wasserstoffwirtschaft ist also gegenüber den eingangs genannten Beispielen – selbst gegenüber der Autoindustrie – ein Gebiet, auf dem eine Skalierung unmöglich erscheint, weil der Energiebedarf dann exorbitant hoch wäre. Wasserstoff als Energieträger ist daher eher ein Mythos als eine realistische Option. Oder besser gesagt: Er dürfte (wichtigen) Nischen vorbehalten bleiben, bei denen der Aufwand unter Umständen das Ergebnis rechtfertigt, z.B. in der Stahlindustrie.


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Aus Anlegersicht ist das Thema "Wasserstoff" daher bis auf Weiteres irrelevant. Wer sich dennoch mit Aktien oder ETFs aus diesem Bereich beschäftigen möchte, kann sich an die Werte der folgenden Tabelle halten:

Aktie

WKN

Land

Heimatbörse

Marktkap. (Mio. €/$)

Unternehmens-Kurzporträt

Fortescue Ltd

121862

Australien

Australiian Stock Exchange

44.340

Förderer von Eisenerz mit starken Ambitionen zum Einstieg in die Wasserstoffproduktion

Weichai Power Co. Ltd

A0M4ZC

China

Hongkong Stock Exchange

14.400

Hersteller von Motoren, Getrieben, Achsen für Nutzfahrzeuge sowie Brennstoffzellen über Kooperation mit Ballard

Bloom Energy Corp. A

A2JQTG

USA

NYSE

3.480

Hersteller von Brennstoffzellen für stationäre Einsätze

Plug Power Inc

A1JA81

USA

NASDAQ

2.170

Hersteller von Systemen und Komponenten für Wasserstoffinfrastruktur (Produktion, Speicherung, Transport)

NEL ASA

A0B733

Norwegen

NASDAQ OMX Nordic Oslo

949,41

Hersteller von Elektrolyseuren zur Gewinnung von Wasserstoff aus Strom und zugehörigen Komponenten

Ballard Power Systems Inc

A0RENB

Kanada

NASDAQ

826,31

Pionier und führender Hersteller von Brennstoffzellen, vor allem für schwere Nutzfahrzeuge

Ceres Power Holdings PLC

A2NB49

Großbritannien

London Stock Exchange

434,31

Hersteller von Brennstoffzellen

Fuelcell Energy Inc

A2PKHA

USA

NASDAQ

424,81

Hersteller von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren

SFC Energy AG

756857

Deutschland

XETRA

382,87

Hersteller von Stromerzeugungssystemen und -komponenten auf Basis von Brennstoffzellen

ITM Power PLC

A0B57L

Großbritannien

London Stock Exchange

375,74

Hersteller von Elektrolyseuren zur Gewinnung von Wasserstoff aus Strom und Wasserstoffspeichern

PowerCell Sweden AB

A14TK6

Schweden

NASDAQ OMX Nordic Stockholm

156,53

Hersteller von Brennstoffzellen für stationäre und mobile Einsätze

AFC Energy PLC

A0MNJ0

Großbritannien

London Stock Exchange

143,06

Hersteller von Brennstoffzellen für stationäre und mobile Einsätze

Fondsname

WKN

TER (p.a.)

Ertrags-verwendung

Replikation

Fonds-größe (Mio. €)

Anz. Pos.

L&G Hydrogen Economy UCITS ETF

A2QMAL

0,49%

thesaurierend

vollständig

402

26

BNP Paribas Easy ECPI Global ESG Hydrogen Economy UCITS ETF

A3DDSN

0,30%

thesaurierend

vollständig

18

40

VanEck Vectors Hydrogen Economy ETF

A2QMWR

0,55%

thesaurierend

vollständig

76

24

Global X Hydrogen UCITS ETF USD Acc ETF

A3E40P

0,50%

thesaurierend

vollständig

6

17

Quellen: stock3.com, justETF

2 Kommentare

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  • hogshead
    hogshead

    Was ist denn das für eine Sicht der Dinge lieber Herr Ewert ?!

    Wasserstoff ist als Transportmittel zur Zeit das beste Transportmittel/Speicher für grün erzeugte Energie. Keine langen Kabelstränge für offshore Energieparks...Windräder müssten nicht abgeschaltet werden wenn die Einspeisung in das Stromnetz zu hoch ist. Direkte Wasserstofferzeugung an der Energiequelle (Solar- oder Windpark) wäre die optimale ergänzende Lösung. Bei Umwandlung von Energie wird es immer einen Wirkungsgrad geben, den es auch gilt in der Zukunft zu verbessern. Aber wie gesagt, ist es besser ein Windrad oder eine Solaranlage weiter zu betreiben (und dann die Energie in Wasserstoff abzuspeichern) als abzuschalten und 100% der Energie ungenutzt zu lassen. Ein weiterre Vortel ist, dass Wasserstoff transportiert werden kann. Strom kann ich nicht in einen Eimer stecken. Und bei Verwendung von Batterien habe ich ein sehr hohes Gewicht und einen massiven Verbrauch von Bodenschätzen. Ganz abgesehen von den heutigen Möglichkeiten des Recyclings. Wo sollen die ganzen Batteriegifte denn hin. Bzw. die Gewinnung der Rohstoffe zerstört die Umwelt in noch nicht absehbarem Maß. Solange jemand gut daran verdient, wird das weiterlaufen, aber auf lange Sicht ist das ökologisch nicht vertretbar. Bezüglich der 'Umwandlung in Methan'; wer will denn so was? Mit einem weiteren Energieverlust durch den Umwandlungsquotienten und einer zusätzlichen Gefährdung des Klimas (Methan ist wesentlich schädlicher für das Klima als CO2). Warum führen sie das so deutlich aus und zeigen noch eine Grafik dazu? Ich schließe daraus, dass Sie persönlich (weil das ist ja Ihre Meinung in dem Kommentar) eine Abneigung gegen Wasserstoff haben (warum auch immer). Ich sehe in Wasserstoff den nächsten Schritt nach der Batterietechnologie. Mögen bessere und weitere Schritte folgen.

    12:56 Uhr, 24.08.
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