Der US-Verbraucher ist verschnupft – werden sich die Aktienmärkte anstecken?
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Bildhaft gesprochen könnte man sagen, dass der US-Verbraucher derzeit unpässlich ist. Sozusagen nach Jahren des Anabolikamissbrauchs (d. h. einem Leben auf Pump mit Hypotheken bis unters Dach und negativer Sparquote) bekommt er nun die unvermeidlichen Nebenwirkungen zu spüren. Die unangenehmen Symptome dieser Krankheit machen sich als fallende Häuserpreise und schwächere Arbeitsmarktzahlen bemerkbar. Schlimmer ist jedoch, dass Ansteckungsgefahr besteht. Der Virus verbreitet sich bereits im globalen Finanzsystem und könnte jetzt auch die Verbraucher in anderen Teilen der Welt infizieren. Sofern der Kranke nicht sofort behandelt wird, könnte sich das Leiden zur Rezession auswachsen.
Erst kürzlich verabreichte „Doktor“ Bernanke dem Patienten die erste Dosis seines speziellen Hausmittels. Er ist noch nicht lange im Job und muss sich noch beweisen. Vor allem will er aus dem Schatten seines Vorgängers, „Doktor“ Greenspan, heraustreten. Dieser war für seine erfolgreichen Behandlungsmethoden bekannt, wenn er dem Patienten zur Heilung auch mitunter genau die gleichen Anabolika verabreichte, die ihn diesmal krank gemacht haben. Und dann sitzt Doktor Bernanke auch noch „Professor“ Bush im Nacken. Dessen Ruf ist etwas angeschlagen und muss daher vor dem Ruhestand noch schnell aufpoliert werden. An den Aktienmärkten fragt man sich derweil nervös, ob die Herren Doktoren den Patienten noch rechtzeitig kurieren können.
Die erste Behandlungsmaßnahme, nämlich die Senkung der Zinsen, ist wahrscheinlich auch die wirksamste. Da der US-Leitzinssatz bei strammen 4,75 Prozent liegt, ist dieses Heilmittel noch reichlich vorhanden (im Gegensatz zu der Situation vor ein paar Jahren, als die Zinsen bei nur einem Prozent dahindümpelten).
In der Vergangenheit haben sich Zinssenkungen meistens als Energiespritze für die Aktienmärkte erwiesen. In zwölf der insgesamt 14 Zinssenkungszyklen seit 1974 stieg der S&P 500 in den zwölf Monaten nach Lockerung um durchschnittlich über 18 Prozent. Nur zweimal (1981 und 2001/2002) fiel der Markt im Anschluss. In beiden Fällen konnte die Zinssenkung das Abgleiten der US-Wirtschaft in eine Rezession nicht verhindern. In beiden Fällen war die Lage an den Kapitalmärkten aber auch extrem: dramatisch angestiegene Inflationszahlen (1981) und übermäßig hohe Bewertungen an den Aktienmärkten (2001).
In allen anderen Fällen führte der anhaltende Verfall der wirtschaftlichen Rahmendaten (Voraussetzung für eine Zinssenkung durch die Fed) zu neuem Schwung an den Aktienmärkten. Auf diesen Erfahrungen beruhen Börsenregeln wie „Don’t fight the Fed“ und „Bull markets climb a wall of worry“.
Die zweite mögliche Heilmethode im therapeutischen Arsenal der Fed besteht in der Umsetzung steuerpolitischer Anreize. Wir befinden uns im dritten Jahr der zweiten und letzten Amtszeit von Präsident Bush. Seit 1945 war das dritte Jahr der Präsidentschaft stets mit Abstand das beste für die Aktienmärkte. Am zweitbesten war immer das vierte. Warum? Wenn Wahlen anstehen, ist es opportun, sich der Wählerschaft gegenüber „großzügig“ zu zeigen. Soll heißen: Entweder werden die Staatsausgaben erhöht oder die Steuern gesenkt. Auch George Bush wird alles daransetzen, dass die US-Wirtschaft nicht im letzten Jahr seiner Amtszeit in eine Rezession abrutscht. Im historischen Vergleich liegt das amerikanische Haushaltsdefizit im Mittelfeld und ist jetzt sogar niedriger als noch vor ein paar Jahren. Dadurch besteht Spielraum für staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Opfer der Subprime-Krise. Zwar werden derartige Maßnahmen weniger effektiv als Zinssenkungen sein, aber auch sie wirken einer Rezession entgegen.
Wird das jedoch reichen? Der historische Vergleich gibt Anlass zur Hoffnung. Man darf allerdings nicht vergessen, dass eine der wichtigsten Stützen der Aktienmärkte in den 1980er und 1990er Jahren die rückläufigen Anleiherenditen waren. Dieser Faktor kommt uns momentan nicht zugute. Fazit: Unserer Einschätzung nach besteht eine 70%ige Wahrscheinlichkeit, dass die „Medizin“ schnell genug verabreicht wird, um eine US-Rezession in den nächsten zwölf Monaten erfolgreich abzuwenden. Insofern bleiben wir bei unserer moderat positiven Haltung zu Aktien.
Quelle: ING Investment Management
ING Investment Management ist der globale Asset Manager der ING Gruppe. Mit Euro annähernd 400 Milliarden Assets under Management (Q2 2007), vertreten in 30 Ländern mit 2.500 Experten (Europa: 713, Americas: 866, APAC: 921), ist ING Investment Management (ING IM) weltweit unter den Top 25 im Asset Management. ING IM Europe hat Niederlassungen in 14 europäischen Ländern mit annähernd Euro 160 Milliarden Assets (Q2 2007) under Management.
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