Kommentar
14:42 Uhr, 15.10.2008

Der Teufel hat den Schnaps gemacht, nicht das Zertifikat

Eines mal gleich vorweg – (Hundertfach) gehebelte Zockerei mit Kreditderivaten ist die eine Sache, Zertifikate, wie wir sie hier in Deutschland als Anlageinstrument verstehen eine andere – auch wenn viele Medien und leider nicht nur die populistischen Formate, die zu den besten Sendezeiten allabendlich über die Flimmerkiste laufen, derzeit alles in einen Topf werfen und man fast den Eindruck gewinnt, der Begriff Zertifikat stehe mittlerweile für alles Schlechte und Überflüssige, das man nicht versteht und das nur darauf wartet, den ahnungslosen Anlegern das Geld aus der Tasche zu ziehen. Würde es sich bei Zertifikaten um ein Land handeln, so stünde es wohl längst ganz oben in „der Achse des Bösen“. Aber erinnern wir uns doch, auch wenn es noch etwas weh tut, zurück an den letzten Crash der Jahre 2000 bis 2003, der auch als trauriges Jahrhundertereignis in die Börsen-Annalen einging, was war unter anderem die Quintessenz daraus? Ganz richtig - Zertifikate, deren Siegeszug ohne dieses Negativereignis wohl gar nicht erst möglich gewesen wäre. Viele Investoren waren es damals einfach leid, mit ihren Aktien oder Investmentfonds immer nur eins zu eins dem Auf und Ab an den Märkten zu folgen und auch die diese Marktlücke ausfüllende Industrie kam daraufhin erst so richtig ins Rollen. Zertifikate boten erstmals auch für Otto-Normalanleger die Möglichkeit auch in schlechten Phasen Geld zu verdienen und das eben nicht durch „Lug und Trug“, sondern durch eine ganz saubere Konstruktion unterschiedlicher Einzelkomponenten, wie sie ansonsten nur von „Profis“ über den Terminmarkt realisiert werden konnte. Das „Teufelszeug“ wie es jetzt von vielen „Schlaumeiern“ in Funk und Fernsehen bezeichnet wird, die damit übrigens nur ihre Ignoranz unter Beweis stellen, hat also bis heute seinen Sinn und seine Geschichte.

Der einzig richtige Satz, den man in diesem Zusammenhang derzeit zu hören bekommt, ist wohl der, dass der Anleger nur das kaufen sollte, was er wirklich versteht. Das muss im Endeffekt zwar nicht unbedingt heißen, dass er ein Zertifikat gleich in all seine Einzelkomponenten zerlegen muss - das können bei ihrem heißgeliebten Handy wohl auch nur die allerwenigsten - sondern liegt vielmehr in dem Produkt als solchem und in dessen Handhabung begründet. Denn über 95 Prozent der inzwischen etwa 400.000 kolportierten „bösen Buben“, richten sich ebenso wie eine Aktie an Investoren, die sich aktiv mit ihrer Anlage beschäftigen und dafür auch eine ganz bestimmte individuelle Erwartungshaltung mitbringen, die sie mit dem einen oder anderen Papier ganz leicht und flexibel umsetzen können. Eine grundsätzliche Beschränkung der Zahl, wie sie jetzt gefordert wird oder ein Zertifikate-TÜV, ist also blanker Unsinn und sollte dem Markt überlassen bleiben. Das ist auch der elementare Unterschied dieses nützlichen „Handwerkszeugs“ gegenüber Investmentfonds, bei denen mit Ausnahme einzelner Kategorien wie z.B. ETFs, der Fondsmanager diese aktive Rolle übernimmt. Der vielzitierte Slogan, das Fonds und Zertifikate immer mehr zusammenwachsen ist deshalb nicht nur irreführend, sondern bis auf einzelne Teilbereiche schlichtweg auch falsch, auch wenn er immer wieder noch so werbewirksam vermarktet wird.

In einem Punkt wäre allerdings ein Zusammengehen beider „Welten“ angebrachter denn je, in Bezug auf die Sicherheit. Dafür hat jüngst der leidige Fall Lehman Brothers gesorgt, der den Aufbau des Negativ-Images von Zertifikaten landauf landab erst so richtig begünstigte. Umso verwunderlicher, dass man von Seiten der Industrie bzw. des erst neu gegründeten Verbandes, der sich ja aus einer ganzen Reihe von Emissionshäusern speist, nicht schon allein aus Eigeninteresse alles dafür tut, um für die möglichen Ausfälle der Anleger durch die Lehman-Pleite einzutreten. Ein „Rettungspaket“ würde gerade auch hier, wo letztlich das geschehen ist, was niemals hätte passieren dürfen, das verloren gegangene Vertrauen sicher viel schneller zurückbringen, als der bloße Ausweis der aktuellen Wasserstandsanzeigen bei den Ratings und Credit Spreads der möglichen Pleitekandidaten frei nach der Devise, welchen Emittenten erwischt es denn als nächsten, auch wenn die rund um den Globus gespannten Sicherheitsseile einen neuen Fall Lehman jetzt wohl weniger wahrscheinlich machen. Den schwarzen Peter trüge dann immer nur der Anleger. Ganz findige Finanzingenieure könnten ja auch auf ein solches Ranking gleich wieder ein entsprechendes „Zertifikat“ konstruieren und der Selbstkannibalisierung damit weiter Vorschub leisten. Es kann einfach nicht angehen, dass ein Investor, dem beispielsweise ein Produkt mit vollständiger Kapitalgarantie verkauft wird, am Ende leer ausgeht, egal ob er es direkt bei Lehman oder einer anderen Bank erworben hat. Das schadet der gesamten Branche weitaus mehr als das es ihr nützt. Da kann man diese „sichere“ Produktkategorie, die noch dazu das mit Abstand größte Volumen auf sich vereint, eigentlich gleich knicken. Schließlich sitzen doch alle im gleichen Boot und nur auf seine eigene Bonität zu schauen, ist sicher nicht der richtige Weg, um Zertifikate als nützliches Finanzinstrument auch für die Zukunft schlagkräftig aufzustellen. Zwar spielen alle momentan auf den Faktor Zeit, allerdings ist das letzte Wort ist in dieser Angelegenheit hoffentlich noch nicht gesprochen, wenn die Fakten erst einmal auf dem Tisch liegen.

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Über den Experten

Armin Geier
Armin Geier

Armin Geier beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren sehr intensiv mit Anlage-Zertifikaten. Begonnen hat sein berufliches Interesse im Jahr 2000, als er bei einem Münchner Internet-Portal über mehrere Jahre die erste Datenbank für diese spezielle Materie aufbauen konnte und dadurch die rasante Entwicklung dieser Spezies damals noch ganz hautnah Produkt für Produkt mitbekam. Wie sehr sich die Zeiten seitdem verändert haben, kann man allein an der Explosion der Produktzahl von anfangs nicht einmal 3.000 auf heute über eine Million Stück erkennen. Bei seinen nächsten Stationen wechselte er dann ganz in den journalistischen Bereich über, ohne seine Vorliebe für die diversen Produktstrukturen aufzugeben, an denen ihm nach wie vor gerade wegen ihrer asymmetrischen Chance-Risiko-Profile sehr gelegen ist. Insbesondere interessiert ihn dabei die Möglichkeit, aus Einzelansätzen langfristig funktionierende Strategien zu entwickeln. Leider wird dieser Zielsetzung seit Lehman vor dem Hintergrund einer immer kurzfristigeren Denkweise an den Märkten von Emittentenseite immer weniger entsprochen. Bei der BörseGo AG/Godmode-Trader ist Armin Geier seit sechs Jahren mit journalistischen Beiträgen in diversen Rubriken und Publikationen als Experte für Anlage-Zertifikate präsent.

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