Kommentar
07:01 Uhr, 11.05.2015

Der Systemfehler der Eurozone

Einige Ökonomen sind sich sicher: die Einführung des Euro war ein großer, unverzeihlicher Fehler. Ist es so einfach?

Eurokritiker haben seit Jahren großen Zulauf. Auch wenn die Krise mehr oder minder gebannt zu sein scheint. schwelt die Kritik weiter. Nicht zuletzt die unendliche Geschichte um die Rettung Griechenlands zehrt an den Nerven und beflügelt die Kritiker. Die Krise in Griechenland und auch die inzwischen abgehakten Krisen in Spanien, Portugal und Irland geben ihnen Recht. Zumindest wird es so empfunden. Die Krise ist das beste Argument bzw. wird als Beweis gesehen, dass der Euro eine Fehlkonstruktion ist.

Den Fehler der Währungsunion kann man in eine einzige Zahl packen: den Target2 Saldo. Target2 ist das Zahlungssystem der Banken für grenzüberschreitende Transaktionen. Bis zum Beginn der Krise waren die Salden relativ ausgeglichen. Seit 2007, als die weltweite Krise so langsam ihren Anfang nahm, ist das nicht mehr der Fall. Dank der Intervention der EZB sind die Salden von 2012 bis 2014 wieder gesunken. Mit den neuen Problemen um Griechenland steigen sie wieder.

Um zu verstehen, wieso diese Salden den Fehler der Währungsunion auf den Punkt bringen, muss man wissen, wie das System funktioniert.

Vor der Krise war die Funktionsweise sehr einfach. Ein Beispiel: ein Italiener kauft um 100.000 Euro einen in Deutschland produzierten Mercedes. Der Kunde überwies das Geld von seiner Hausbank in Italien (Bank A in Grafik 2) auf das Konto der Bank B in Deutschland. Dadurch verringern sich die Einlagen bei Bank A um 100.000. Die Einlagen stellen Verbindlichkeiten in der Bilanz dar. Gleichzeitig sinken die Reserven auf der Assetseite der Bilanz. Genau das Gegenteil passiert bei Bank B, die das Geld erhält.

Vor der Krise wurde ein solcher Zahlungsstrom über den Interbankenmarkt ausgeglichen. Bank B lieh Bank A den Betrag, den der Kunde von Bank A zu Bank B überwiesen hatte. Der Zahlungsstrom von einem in das andere Land wurde so über den Interbankenmarkt wieder ausgeglichen. Es wurde eine gegenläufige Transaktion getätigt. Der Target2 Saldo veränderte sich nicht.

Mit Beginn der Krise geriet der Interbankenmarkt ins Stocken. Banken liehen sich untereinander kein Geld mehr. Der Ausgleich konnte nicht in gewohnter Form stattfinden. Es muss aber einen Ausgleich geben, sonst würde Bank A irgendwann insolvent werden. Bank A verlor in der Krise immer mehr Einlagen, sei es, weil Kunden im Ausland kauften oder weil sie aus Angst ihr Geld ins Ausland schafften. Fließen Gelder von einer Bank nur in eine Richtung (sie fließen ab), dann würde die Bank irgendwann zusammenbrechen.

Lesetipp: Interview mit Hans-Werner Sinn aus dem Jahr zu 2012 unter anderem zur TARGET-Thematik!

Zusammenbrüche wurden verhindert, indem sich Banken über die EZB refinanzieren konnten. Vor der Krise konnten sich Banken bei regelmäßigen Auktionen Geld beschaffen. Dazu boten sie für Zentralbankgeld (sie boten einen Zins für eine bestimmte Menge Geld). Die Zuteilung wurde von der EZB nach gebotenem Zins vorgenommen. Nicht jeden Betrag, den Banken wollten, bekamen sie auch. Seit Beginn der Krise ist das anders. Banken bekommen den vollen Betrag, den sie von der Zentralbank haben wollen.

Das gilt mit einer Einschränkung. Banken müssen für das Geld, welches sie erhalten, Sicherheiten hinterlegen. Dazu zählen z.B. Staatsanleihen. Hat eine Bank keine Sicherheiten mehr zur Verfügung, dann würde sie auch kein Geld mehr von der Zentralbank erhalten. Bis auf die aktuellen Umstände in Griechenland war das bisher kein Problem.

Muss sich eine Bank komplett über die Zentralbank refinanzieren, dann wird die Transaktion aus dem obigen Beispiel etwas komplizierter. Kauft der Kunde jetzt den Mercedes um 100.000 und bekommt Bank A das Geld nicht von Bank B, dann geht der Weg über die Zentralbank. Der Kunde überweist nach wie vor die 100.000 Euro von seiner Bank A zu Bank B. Nun gibt es allerdings nicht mehr den direkten ausgleichenden Zahlungsstrom von Bank B zu Bank A.

Der Weg führt nun über die Nationalbanken und die EZB. Die Reserven bei der italienischen Nationalbank von Bank A sinken um 100.000. Das wird über die EZB ausgeglichen. Der Negativsaldo wird ausgeglichen. Die italienische Nationalbank schuldet nun der EZB 100.000. Bei Bank B ist es genau umgekehrt. Die überschüssige Reserve von 100.000 liegt nun bei der EZB. Das Guthaben von Bank B steigt bei der EZB, während jenes von Bank A fällt.

Der Ausgleich findet also über die Bilanzen der Notenbanken statt. Wie es um diesen Ausgleich steht zeigen die Target2 Salden. Um bei dem bisherigen Beispiel zu bleiben: die Bundesbank hat eine Forderung gegenüber der italienischen Notenbank. Die italienische Notenbank wiederum hat eine Verbindlichkeit gegenüber der Bundesbank. Die Forderungen der Bundesbank sind ein positiver Saldo, die Verbindlichkeiten der italienischen Nationalbank münden in einem negativen Saldo. Wieso ist das nun aber ein Systemfehler?

Den Systemfehler entdeckt man nicht auf Anhieb. Man kann sich aber gut vorstellen wie er funktioniert, wenn man annimmt, dass es den Ausgleichsmechanismus nicht gäbe. Was würde dann passieren? Nehmen wir an, Griechenland hätte noch die Drachme. Griechenland gerät wie gehabt in eine Wirtschafts- und Schuldenkrise. In diesem Fall wären die weiteren Schulden, die Griechenland im Ausland aufnehmen kann, stark begrenzt. Genau genommen sind sie auf die Höhe der Devisenreserven begrenzt.

Hat ein Land keine Devisenreserven mehr, dann kann es im Ausland keine Güter mehr kaufen. Praktisch ist das natürlich etwas zu kurz gegriffen. Ein Grieche könnte noch immer bei einem deutschen Unternehmen einkaufen. Es müssten dann Drachmen gegen Euro getauscht werden. Das geht grundsätzlich. Bei Kapitalflucht und negativer Handelsbilanz verliert die Währung in einer Krise allerdings so schnell an Wert, dass jeglicher Import unverschämt teuer wird. Die Importe versiegen nicht komplett, gehen aber drastisch zurück. Das reguliert zumindest die Handelsbilanz.

Durch krisenbedingte Kapitalflucht verliert die Währung an Wert. Die Banken können das abfließende Kapital über die nationale Notenbank kompensieren. Dort hört der Kreislauf dann aber auf. In der Eurowährungsunion ist das nicht der Fall. Weil es keine nationalen Währungen mehr gibt kann nicht abgewertet werden. Der Waren- und Kapitalstrom wird nicht unterbrochen. Griechenlands Banken können ihre Verbindlichkeiten gegenüber der EZB theoretisch immer weiter ausbauen. Es gibt keinen natürlichen Mechanismus, der das unterbricht.

Hat ein Land seine eigene Währung, dann können nicht unbegrenzt Verbindlichkeiten aufgebaut werden. Werden die Verbindlichkeiten zu hoch, dann bricht das System zusammen. Im Eurowährungsraum wird dieser Zusammenbruch nicht zugelassen, weil die Verbindlichkeiten immer und immer weiter steigen können. Die Höhe der Verbindlichkeiten gegenüber anderen Notenbanken (ausgedrückt in den Target2 Salden) ist nur durch die Höhe der verfügbaren Sicherheiten begrenzt. Griechische Banken können so lange immer mehr Verbindlichkeiten anhäufen bis ihnen die Sicherheiten ausgehen, die sie bei der Zentralbank hinterlegen müssen, um zusätzliches Geld zu erhalten.

Hat ein Land seine eigene Währung, dann wird eine Krise nicht vermieden. Das Land würde einfach früher zusammenbrechen als ein Euroland, weil es nicht so hohe Verbindlichkeiten wie ein Euroland innerhalb der Union anhäufen kann. Das Eurowährungssystem verschlimmert die Probleme, weil Ländern viel zu lange ermöglicht wird die Verbindlichkeiten immer weiter steigen zu lassen. Dieser Fehler des Währungssystems ist allerdings nicht die Ursache der Probleme, die Länder wie Griechenland haben. Der Fehler verschlimmert die Situation, verursacht sie aber nicht. Hätte Griechenland noch seine eigene Währung gehabt, dann wäre es 2010 offiziell in den Bankrott gegangen. Der Staat wäre pleite gewesen. Das Bankensystem wäre zusammengebrochen.

Griechenland hätte dann von vorne anfangen können. Das wurde dem Land unter anderem durch die Möglichkeiten der Währungsunion nicht so schnell zugemutet. Kommt der Zusammenbruch jetzt doch noch, dann wird es schlimmer als es 2010 gewesen wäre.

Der Systemfehler lässt sich nicht so einfach beheben. Es ist aber auch nicht unmöglich. Was der Währungsunion momentan fehlt ist ein Mechanismus, der den Kapitalstrom unterbricht, wenn ein Land de facto bankrott ist. Bei jedem eigenständigen Land kommt der Zusammenbruch spätestens, wenn die Devisenreserven aufgebraucht sind. Devisenreserven sind innerhalb der Union allerdings nicht relevant. Es braucht also eine andere Messgröße. Mehr dazu in Kürze.

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  • Chronos
    Chronos

    Ich denke mal Griechenland ist das einzige Land was Schulden abbaut.

    Schuldenschnitt I. Senkung Euribor-Verbindlichkeiten. Stundung und Rückzahlung

    In 200 Jahren.

    Jetzt soll Schuldenschnitt II über den Druckhebel IWF kommen.

    Mit Gauneien haben Sie es ja.

    Das Spiel soll noch Monate so gehen. Das war von Anfang an im Kalkül.

    Sie wollen weder aus dem Euro. Noch aus der EU.

    Wären ja doof so leicht sich die EZB löffeln lässt.

    Kenngrösse wird schwierig. Müsste Schulden und Verbindlichkeiten

    beinhalten. Und Wirtschaftsleistung ohne Hedonik auf den Kopf

    gerechnet.

    Damit verlieren wir GB. Ich bin übrigens pro €

    15:13 Uhr, 11.05.2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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