Kommentar
09:15 Uhr, 09.09.2014

Der schottische Schwan

Am 18. September stimmt Schottland über die eigene Unabhängigkeit von Großbritannien ab, und laut Umfragen würde derzeit eine knappe Mehrheit für die Rückabwicklung der Vereinigung von 1707 votieren.

Erwähnte Instrumente

Während sich die meisten Analysten mit der Frage beschäftigen, welche Auswirkungen eine positive Entscheidung für die Souveränität der Region hätte, soll im Folgenden ein (eher unwahrscheinliches) Alternativszenario skizziert werden, welches Europa innerhalb der nächsten drei Jahre vor die Zerreißprobe stellen könnte.

Grundsätzlich gibt es drei mögliche Verläufe der Abstimmung, die unterschieden werden können:

  1. „Yes“ - die Mehrheit der Schotten entscheidet sich für die Unabhängigkeit
  2. „No!“ - eine klare Mehrheit stimmt für einen Verbleib im Vereinigten Königreich
  3. „No“ - nur eine sehr knappe Mehrheit entscheidet sich für die britische Union

Variante 3 - „No“ ohne Ausrufezeichen – ist Thema der nachfolgenden Analyse.

Schottische Schockwellen via London nach Brüssel

Bis vor kurzem haben Marktteilnehmer weder die nun mittlerweile reale Chance einer Unabhängigkeit Schottlands, noch eine nur sehr knappe Entscheidung für den Fortbestand des Status Quo in ihre Kalkulation mit einbezogen.

Ein Votum für den Austritt aus Großbritannien würde zwar kurzfristig die Volatilität befördern, langfristig aber klare Verhältnisse, und damit ein Zustand den die Märkte eigentlich von Natur aus bevorzugen sollten, schaffen.

Im Unterschied dazu, würde ein knappes „No“ nicht nur einer „Quebecisierung“ und damit einer andauernden Unsicherheit über den Status des Landes - ähnlich wie in der kanadischen Provinz Quebec - Vorschub leisten, sondern es könnte eine Dynamik ausgelöst werden, die im Extremfall zu unvorhersehbaren Konsequenzen – nämlich dem Austritt von Großbritannien aus der EU führen könnte.

Die Mechanik einer Kettenreaktion

Sollten die Schotten in der nächsten Woche das gegenwärtige Verhältnis zu Großbritannien nur knapp bestätigen, würde dies möglicherweise der „Scottish National Party“ (SNP) trotz der initialen Enttäuschung weiter Auftrieb verschaffen, und im Gegenzug der Labour-Partei wohl nicht unbeträchtlichen Schaden zufügen.

Dieser Umstand wäre deshalb relativ signifikant, weil am 7. Mai des nächsten Jahres in Großbritannien die sogenannten „General Elections“, sprich die Unterhauswahlen abgehalten werden.

Gegenwärtig würden sich 38% der Wähler für Labour, 35% für die regierenden Konservativen, 12% für die europakritische UKIP und 7% für die pro-europäischen Liberaldemokraten aussprechen.

Unter normalen Umständen ist Schottland mit seinen etwas über 5 Millionen Einwohner zwar nicht relevant für die Sitzverteilung in London, bei dem aktuell vorherrschenden Patt allerdings könnte eine aggressive SNP die Rolle des Wasserträgers für die Konservativen übernehmen, und ihnen durch die Dezimierung der Arbeiterpartei eine weitere Regierungsperiode ermöglichen.

Eine konservative britische Regierung wiederum dürfte der Prominenz des allgemeinen Unsicherheitsfaktors auf absehbare Zeit prinzipiell mehr als zuträglich sein, denn im Falle eines Wahlerfolges hatte David Cameron für das Jahr 2017 das Brüsseler Albtraumszenario, nämlich ein Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU versprochen.

Vorsicht vor Fehlschlüssen

Eine Abstimmung gegen die Unabhängigkeit Schottlands darf also nicht automatisch als Zeichen dafür gewertet werden, dass die Sezessionsfantasien der europäischen Untertanen im Sinne der politischen Klasse „unter Kontrolle“ sind, sondern könnte ironischerweise Europa vor ganz neue und ungleich größere Gefahren stellen.

Es sollte meiner Meinung nach ganz genau hingeschaut werden, wenn die Schotten nächste Woche einen friedlichen Anlauf unternehmen, um sich für ihre vor 700 Jahren verlorenen Unabhängigkeitskriege zu revanchieren.

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8 Kommentare

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  • 1 Antwort anzeigen
  • Kasnapoff
    Kasnapoff

    ​Überall in Europa gibt es mittlerweile Tendenzen wie in Schottland, z.B. auch in Italien, Spanien etc. Ich denke es hat zum einen mit dem Euro bzw. der Euro-Rettungspolitik zu tun, zum anderen liegt es auch an der Brüsseler Regulierungswut, die immer wieder aufs Neue für Schlagzeilen sorgt und sich in Bereiche einmischt, welche wesentlich besser in der jeweiligen Gesetzgebung des entsprechenden Landes aufgehoben sind.

    Was auch sauer aufstößt: Ein absolutes Demokratiedefizit in Brüssel. In Hinterzimmerrunden wird ausgeschachert, wer maßgebliche Posten in der EU erhält.

    11:00 Uhr, 09.09.2014
    1 Antwort anzeigen
  • Daniel Kühn
    Daniel Kühn Freier Finanzjournalist

    In Bezug auf Katalonien hatte ich aus Brüssel mehrmals den Standpunkt gelesen, dass bei einem Austritt der neue Staat zunächst nicht in der EU ist und einen neuen Aufnahmeantrag stellen muss. ​

    10:38 Uhr, 09.09.2014
  • Investor
    Investor

    ​Herr Hauser,

    ich hatte einmal gelesen, die Schotten hätten in der Vergangenheit überwiegend Labor gewählt. Bei einer Emotionalisierung der Debatte könnte Labor in den folgenden Wahlen deutlich Stimmen verlieren.

    Aber aus meiner Sicht wäre auch ein klares Ja ein weiterer Schwan!. Was passiert in diesem Fall? Wäre dann Schottland automatisch Mitglied bei EU und NATO? Wenn nein, könnte dies ein Modell werden, wie man sich aus der EU herauslösen könnte. Bisher hat die EU sich immer auf den Standpunkt gestellt, einmal EU immer EU - eine Trennung ist vertraglich nicht vorgesehen.

    Gleichzeitig sind in Schottland die Atom-Uboote von GB stationiert und es gibt keinen Pachtvertrag.

    10:17 Uhr, 09.09.2014

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Über den Experten

Simon Hauser
Simon Hauser
Redakteur

Simon Hauser hält für Guidants News die Stellung in North Carolina und sendet aus sicherer Entfernung zur Wall Street Echtzeitnachrichten in die Welt. Leider spielen die Kennzahlen der Wirtschaftsteilnehmer oft nur eine untergeordnete Rolle und werden dominiert von einem hysterischen Medienzirkus, punktundkommalosem Zentralbank-Blubber, und mysteriösen Algo-Kreaturen. Simon Hauser hat über die Jahre als aktiver Börsenteilnehmer ein krudes Interesse für diese Dinge, welche in einer perfekten Welt eigentlich keine Rolle spielen sollten entwickelt, und versucht (mit wechselndem Erfolg) zu ergründen was die Kurse wirklich treibt.

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