Kommentar
14:14 Uhr, 13.10.2023

Der Lebensstandard wird sinken

Während Anleger mit der aktuellen Zins- und Inflationsvolatilität hadern, werden die langfristigen Folgen höherer Zinsen vollkommen übersehen.

In den vergangenen 15 Jahren jagte eine Krise die nächste. Zuerst war es die globale Finanzkrise. Überall auf der Welt wurden von Regierungen große Konjunkturprogramme aufgelegt. Die Verschuldung stieg. In Europa führte dies gleich zur nächsten Krise, der Eurokrise. Kaum schien diese überstanden und Europa auf einem Wachstumspfad, kam die Pandemie. Die staatlichen Stützungsmaßnahmen stellten die Konjunkturprogramme während der Finanzkrise in den Schatten.

Als die Welt wieder zur Normalität zurückfand, kam es in Europa zur Energiekrise. Wieder wurde von staatlicher Seite eingegriffen. Die Verschuldung stieg weiter. Nach mehreren Krisen ist die Verschuldung in vielen Ländern entweder auf Rekordniveau oder in der Nähe der bisherigen Hochs. Je nach Land kann dieses Hoch weit zurückliegen. In Großbritannien erreichten die Verschuldung nach dem Zweiten Weltkrieg ein Hoch bei 260 % der Wirtschaftsleistung. Es war das zweite Mal, dass eine so hohe Verschuldung erreicht wurde (nach 1821).

Schulden aus Kriegen wurden von einigen Ländern wie den USA ohne Staatsbankrott abgetragen. Unmöglich ist eine Entschuldung ohne Krise und Bankrott nicht. Problematisch ist der globale und sehr synchrone Anstieg der Verschuldung (Grafik 1). Wenn alle gleichzeitig anfangen zu sparen, fehlt der Ausgleich durch andere Länder.

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Auf den ersten Blick ist eine Entschuldung dennoch möglich. Vergleicht man bisherige Perioden, in denen die Verschuldung ein zyklisches Hoch erreichte, wirkt die aktuelle Lage in Bezug auf die Zinslast nicht bedrohlich. In Italien werden heute ungefähr 4 % der Wirtschaftsleistung für Zinszahlungen benötigt. Das ist unwesentlich mehr als 1904 und deutlich weniger als 1985. Trotz höherer Verschuldung erscheint die Schuldenlast tragfähiger (Grafik 2).

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Regierungen haben heute allerdings ein Problem, welches sie in früheren Zeiten nicht hatten. Die Einnahmen des Staates liegen heute deutlich höher als noch vor einigen Jahrzehnten. In Deutschland liegen Einnahmen und Ausgaben heute bei annähernd 50 % der Wirtschaftsleistung (Grafik 3).

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Je höher die staatlichen Einnahmen bereits sind, desto schwieriger ist es, die Einnahmen durch Steuererhöhungen weiter zu steigern. Großbritannien ist eines der ganz wenigen Länder, die heute geringere Einnahmen als in den 80er-Jahren haben (Grafik 4). In den USA sind Einnahmen seither mehr oder minder stabil, die Ausgaben allerdings sind gestiegen (Grafik 5).

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Werden Steuern erhöht, haben Haushalte weniger Geld für den Konsum. Das Wachstum sinkt. Erhöht der Staat die Steuern, um das Geld umzuverteilen, ist dies nicht unbedingt der Fall. Geld wird von Haushalten mit hohen Einkommen zu Haushalten mit niedrigen Einkommen umverteilt. Der Konsum sinkt bei den einen und steigt bei den anderen.

Auch der Staat kann Steuern für Mehrkonsum verwenden. In den kommenden Jahren dienen Steuererhöhungen jedoch keiner Umverteilung oder staatlichem Mehrkonsum, sondern allein dem Schuldendienst. Der Konsum muss sinken bzw. steigt langsamer. Bis 2028 ist absehbar, dass die Zinslast relativ zur Wirtschaftsleistung in vielen Ländern um 1,5 % bis 3 % ansteigen wird (Grafik 6). Wird dieses Geld nicht eingespart oder durch Steuern eingenommen, beginnt ein Teufelskreis. Um die Ausgaben konstant zu halten, müssen mehr Schulden aufgenommen werden, nur um die Zinsen zahlen zu können. Das ist auf Dauer nicht nachhaltig.

Regierungen stehen vor einem großen Dilemma. Entweder erhöhen sie die Steuern oder legen Sparprogramme auf. Beides wirkt negativ auf das Wachstum und senkt für viele den Lebensstandard. Ohne Schmerz geht es nur, wenn das Zinsniveau ab jetzt sehr schnell wieder sinkt. Das ist unwahrscheinlich. Der Lebensstandard wird aller Voraussicht nach in vielen Ländern zurückgehen. Das wiederum hat weitreichende politische Konsequenzen. Parteien weit links und rechts des Spektrums werden bedeutender. Ohne an dieser Stelle ins Detail zu gehen, sowohl sinkender Lebensstandard als auch Politik, die von Extremen bestimmt wird, tut dem Aktienmarkt selten gut.

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  • elfriedowitsch
    elfriedowitsch

    Hallo Herr Schmale, tolle Analyse. Sie haben es wieder mal auf den Punkt gebracht und sehr leicht verständlich dargestellt. Vielen Dank dafür.

    Grüße aus Bayern und ein schönes Wochenende.

    Thomas Denk

    14:22 Uhr, 13.10.2023

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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