Analyse
12:23 Uhr, 17.06.2005

Denken Sie an Rohstoffe? Denken Sie an China!

Warum fällt uns immer zuerst China ein, wenn es um Rohstoffe geht. Anerkannte, bevölkerungsreiche Wachstumsregionen sind daneben auch Indien, Russland und Brasilien. Die Unterschiede sind aber beträchtlich. Indien wächst zwar in ähnlichem Tempo, verdankt diesen Aufschwung aber einigen Hightech- und Servicezentren, nicht dem Ausbau der industriellen Fertigung und der landesweiten Infrastruktur, für die Rohstoffe so dringend gebraucht werden . Die großen Bevölkerungsmassen bleiben im Kastensystem gefangen und entwickeln keine industriellen Fähigkeiten (wir werden in der nächsten Ausgabe des Rohstoff-Report gesondert auf Indien eingehen). Russland ist dabei, seine industrielle Dynamik durch neuerliche Verstaatlichungen zu bremsen, und Brasilien verdankt sein Wachstum gerade den Rohstoffen, die dort reichlich vorhanden sind. Außer China verfügt keines dieser Länder über ein historisch gewachsenes, religiös und sprachlich einheitliches Volk, das bereit ist, sich einem auf Erfolg ausgerichtetem Wertesystem unterzuordnen und dessen im Ausland lebende Volksangehörige loyal zum Mutterland stehen. Wenn man nun China mit anderen asiatischen Ländern wie Japan, Thailand, Taiwan, Singapur oder Südkorea vergleicht, so ereignet sich dort heute nichts Außergewöhnliches. Denn als diese Länder sich im etwa gleichen Entwicklungsstadium befanden wie heute China, wuchsen sie mit gleicher und Japan sogar mit deutlich höherer Geschwindigkeit. Wenn nun aus diesem Vergleich Rückschlüsse zu ziehen sind, so befindet sich China erst am Anfang eines, noch viele Jahre andauernden Wirtschaftswachstums. Auch bei den anderen asiatischen Ländern hielt dieses hohe Wachstumstempo über Jahrzehnte an. Außer bei Japan haben wir es nur nicht registriert, weil diese Länder so viel kleiner sind. China ist deshalb eher mit den USA zu Beginn des 20sten Jahrhunderts zu vergleichen.

Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, um langfristig hohes Wachstum zu gewährleisten? Wir möchten hier – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit – folgende nennen:

  1. Die Entwicklung einer landesweiten Infrastruktur und der Aufbau industrieller Fertigungen im frühen Stadium der Entwicklung
  2. Hohe Reserven an billigen qualifizierten oder schnell zu qualifizierenden Arbeitskräften. Die Fähigkeit, diese Reserven durch anhaltende Abwanderung aus der Agrarwirtschaft immer wieder aufzufüllen, um dauerhafte Produktivitätssteigerungen zu erreichen.
  3. Eine hohe Sparquote, verbunden mit dem Wunsch großer Bevölkerungsschichten, in dauerhafte Konsumgüter zu investieren, um mit Bürgern entwickelter Gesellschaften gleichzuziehen.
  4. Anhaltende Bereitschaft ausländischer Investoren zu Kapital- und Technologietransfer.
  5. Liberalisierung der wirtschaftlichen Prozesse.
  6. Ein effizientes Bankensystem.
  7. Politische Stabilität

Der erste Schritt ist getan. In nur wenigen Jahren hat China ein dichtes, höchst modernes Netz an Autobahnen, Eisenbahnen, Kommunikationsverbindungen, Flughäfen und Häfen aufgebaut. Trotzdem ist diese moderne Logistik immer wieder überfordert, weil jährlich zunehmende Massen an Rohstoffen bewegt werden müssen. Der Ausbau dieser Netze wird weitergehen. Allein in Shanghai werden pro Jahr mehr Wohn- und Bürotürme gebaut als in Europa in zehn Jahren. Der Wunsch einer zunehmenden Anzahl reicher Chinesen, Wohn- und Büroeigentum zu besitzen, wird diese Entwicklung noch beschleunigen. Kein Land der Welt produziert für die eigene Nachfrage so viele langfristige Konsumgüter wie China.

Die Reserven an motivierten Arbeitskräften erscheinen nahezu unerschöpflich. Schätzungen gehen davon aus, dass noch bis zu 250 Mio. neue Arbeitskräfte aus der Landwirtschaft gewonnen werden können. China wird für viele Jahrzehnte nicht auf Fremdarbeiter angewiesen sein. Durch die schnelle Qualifizierung der bestehenden Arbeiterschaft werden hohe Produktivitätsfortschritte erzielt.

Die Sparquote liegt wegen niedriger Produktionskosten bei nahezu 40%. Sie bietet ausreichend Spielraum für den weiteren Ausbau der Industrie und den Kauf dauerhafter Konsumgüter, wie Wohnungen, Küchen, Klimageräte und Autos.

Der Kapitaltransfer aus dem Ausland nimmt ständig zu. Es sind vor allem die reichen Auslandschinesen, die neben hohen Kapitalinvestitionen für den wachsenden Technologietransfer sorgen.

Die Direktinvestitionen der Nachbarländer, wie Taiwan, Hongkong, Südkorea und Singapur, aber vor allem auch Japan, nehmen ständig zu. Sie haben China einen enormen Zahlungsbilanzüberschuss beschert. Auch Amerikaner und Europäer sehen ihre Chancen für Wachstum in China. Microsoft hat inzwischen ihr wichtigstes Forschungszentrum nach China verlegt. Gerade im IT-Sektor tätigt die chinesische Regierung hohe Investitionen in Aus- und Weiterbildung.

Die Liberalisierung der Wirtschaft macht große Fortschritte, obwohl hier noch manches zu tun bleibt. Insbesondere die Investitionsentscheidungen der Regionalregierungen gehen noch oft am Bedarf vorbei. Hier liegt auch das Risiko für das Bankensystem, dem Kredite aufgezwungen werden, die nie zurückgezahlt werden können. Es werden aber große Anstrengungen unternommen, um diese Fehlentwicklungen zu stoppen, und sie waren ja auch nicht unüblich in früheren Wachstumsregionen. Auf der anderen Seite zollt die kommunistische Regierung dem chinesischen Unternehmertum hohe Anerkennung. Es ist nicht mehr selten, dass erfolgreiche Unternehmer wichtige Positionen in der Partei einnehmen und großes Gewicht bei der Beratung der Zentral- und Regionalregierungen haben.

Auch wenn immer wieder Kriegsdrohungen gegen Taiwan die Weltöffentlichkeit beunruhigen, scheint die chinesische Regierung nicht zu abenteuerlichen Experimenten zu neigen. Sie ist geradezu von dem Willen besessen, China möglichst reibungslos zur größten Wirtschaftsmacht der Welt zu entwickeln.

Wegen all´ dieser Faktoren hält die Weltbank in den nächsten 5 bis 10 Jahren ein Wachstum der chinesischen Wirtschaft von 7% p. a. für realistisch.

So weit gibt es nur Positives zu berichten. Was ist nun aber das Problem? Die Antwort ist einfach: China erwirtschaftet 6% der weltweiten Sozialprodukts, trägt aber schon 13,5% zur weltweiten Wachstumsrate bei und verbraucht mehr als 30% aller weltweit produzierten Rohstoffe (Zement: 50%, Eisenerz: 35%, Kohle: 30%, Aluminium: 25%, Soja: 25%, Erdöl: 15%). Und die Tendenz steigt, muss aber auch steigen, sollen die Wachstumsraten bei den Rohstoffen auch weiter nachgefragt werden. Bisher scheint dies der Fall zu sein.

Sorgen sind aber berechtigt:

  1. Bremst die chinesische Regierung das Wirtschaftswachstum zu stark, kann es zu einem Rohstoffschock kommen. Wir glauben nicht daran. Der Wunsch der chinesischen Regierung, den Anschluss an die entwickelten Industrienationen zu erreichen, ist zu stark. Volksaufstände für mehr Freiheit, die das Wachstum bremsen könnten, sind sowohl bei der Regierung, wie bei den Unternehmern und bedeutenden Volksschichten unwillkommen, ja sogar verhasst. Zu präsent ist die Erinnerung an das Desaster der russischen Perestroika. Auch das Taiwanproblem sollte nicht über die bisherigen Drohgebärden hinaus eskalieren.
  2. Mangel an Investivkapital könnte das Wachstum bremsen. China ist die einzige bisher bekannte Wachstumsregion, die nicht unter gelegentlichem Kapitalmangel leidet. Wir glauben, dass wegen der hohen Sparquote und der Bereitschaft der Auslandschinesen, im Mutterland zu investieren, dieser Mangel nicht – jedenfalls nicht in absehbarer Zeit - eintreten wird.
  3. Alle Wachstumsregionen hatten gelegentliche Rückschläge. Diese werden sich auch in China nicht vermeiden lassen. Deshalb ist es durchaus gerechtfertigt, als Rohstoffanalyst China eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Allerdings glauben wir nicht, dass ein solcher Rückschlag unmittelbar bevorsteht. Er würde aber auch große Chancen bieten, in verbilligte Rohstoffe zu investieren. Denn die Nachfrage wird dann beim erneuten Aufschwung umso stärker steigen.

Zusammenfassung

Die Voraussetzungen für ein langfristiges kontinuierliches Wirtschaftswachstum Chinas sind gut. China wird mittelfristig ca. 40% aller weltweit produzierten Rohstoffe konsumieren. Andere Regionen, wie Indien und Russland sollten hinzukommen, spielen aber heute kaum eine Rolle. Wenn es um Rohstoffe geht, ist heute China mit sehr großem Abstand zu anderen Nationen die alles beherrschende Größe.

(Quelle: Rohstoff-Report Ausgabe 25)

Kostenlose Anmeldung zum Rohstoff-Report unter http://www.boerse-go.de/rohstoffe

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Über den Experten

Harald Weygand
Harald Weygand
Head of Trading

Harald Weygand entschied sich nach dem Zweiten Staatsexamen in Medizin, einer weiteren wirklichen Leidenschaft, dem charttechnischen Analysieren der Märkte und dem Trading, nachzugehen. Nach längerem, intensivem Studium der Theorie ist Weygand als Profi-Trader seit 1998 am Markt aktiv. Im Jahr 2000 war er einer der Gründer der stock3 AG und des Portals www.stock3.com. Dort ist er für die charttechnische Analyse von Aktien, Indizes, Rohstoffen, Devisen und Anleihen zuständig. Über die Branche hinaus bekannt ist der Profi-Trader für seine Finanzmarktanalysen sowie aufgrund seiner Live-Analysen auf Anlegerveranstaltungen und Messen.

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