Kommentar
12:14 Uhr, 07.08.2012

Den entmündigten Anleger braucht niemand

Muss man den Anleger wirklich vor sich selber schützen bzw. inwieweit sollte er eigentlich selber wissen, was er tut. Solche Fragen stellen sich fast fünf Jahre nach Lehman gerade jetzt wieder mit Nachdruck. So trauten viele Investoren ihren Augen nicht, als sie zu Monatsbeginn beim Broker ihres Vertrauens eine Order ausführen wollten und in der Ordermaske plötzlich gefragt wurden, ob sie das ausgesuchte Wertpapier kostenpflichtig handeln wollten. Da dies bislang immer so war und es schließlich gerade in der Finanzbranche kaum etwas umsonst gibt, fragten sich möglicherweise gleich einige, ob bei ihren bisherigen Trades immer alles mit rechten Dingen zugegangen war und sie vielleicht das eine oder andere Mal zu Unrecht zur Kasse gebeten wurden. Völlig irritiert reagierten aber erst jene, die gerade eine der zahlreichen Free-Trade-Aktionen nutzen wollten, nun aber anscheinend doch noch „abkassiert“ werden sollten. Was brachte die heile Anlegerwelt nur so in Aufruhr. Das neue Gesetz bezüglich der „Button-Lösung“, die Verbraucher ab 1. August vor sogenannten Abo-Fallen im Internet schützen und erst nach vorangegangener ausdrücklicher Zahlungs-Aufforderung binden soll. Eine feine Sache, wenn man an die vielen Online-Seiten denkt, die nichts anderes beabsichtigen, als den ahnungslosen User in irgendeiner Weise über den Tisch zu ziehen. Was hat aber bitte ein seriöser Broker mit einem möglicherweise unlauteren Online-Shop zu tun?

Geradezu kleinkariert mutet das Gesagte jedoch an, wenn man es mit dem Großangriff des Bundesrates auf die Selbstbestimmtheit des Anlegers vergleicht, der im Rahmen der Finanzmarktaufsichtsreform darin münden sollte, komplexe Finanz-Produkte zu verbieten und einen staatlichen „Finanzwächter“ einzuführen, so die „Zertifikate-Börse“. Das ging allerdings selbst der Bundesregierung zu weit, da ein Verbot den Zugang zu bestimmten Finanz-Papieren ganz beschränken würde und die Finanzmarktaufsicht Bafin sowieso schon nach geltendem Recht Verbote aussprechen könne. Auch einen existenten Finanzwächter zumindest in der Light-Variante gebe es schon mit der Stiftung Warentest, die jährlich mit zusätzlichen Mitteln von 1,5 Mio. Euro ausgestattet werde. Zudem setze man hierzulande mehr auf Aufklärung als auf Verbote, wobei sich die Information mit den seit vergangenem Jahr eingeführten Produktinformationsblättern (PIBs) erheblich verbessert habe. Freilich eine wohl ziemlich exklusive Sichtweise auf die ohne echten Mehrwert verfügenden „Beipackzettel“, wenn sie denn oftmals überhaupt verfügbar und fehlerfrei sind, aber doch der grundsätzlich richtige Ansatz.

Gefahr also erst einmal gebannt und Horror-Szenarien wie möglicherweise bald in Belgien abgewendet, wo nach dem Motto „je komplizierter, desto risikoreicher“ komplexere Produkte einfach verboten werden sollen. Einfach strukturierte aber hochgefährliche Hebel-Papiere werden dann womöglich als weniger riskant eingestuft und deutlich sicherere Garantie- oder Teilschutz-Produkte wegen ihrer Optionskomponenten ganz oder teilweise verbannt. So möchte die belgische Regierung laut der „Zertifikate-Börse“ tatsächlich Strukturen mit mehr als einem optionalen Bestandteil aus dem Verkehr ziehen. Das würde beispielsweise bedeuten, dass je nach Definitionsweise ein Discounter oder ein einfaches Bonus-Zertifikat gerade noch durchgehen würde, eine gecappte Bonus-Variante aber schon als sogenannte „Overly Complex-Struktur“unter das Verbot fallen würde. Inwieweit sich die dortigen Anbieter an die zunächst freiwillige Vorgabe halten, bleibt abzuwarten. Vielleicht werden in einem nächsten Schritt auch noch komplizierte Elektronik-Spielzeuge, die vielfach nur noch von der jüngeren Generation einigermaßen verstanden werden oder mit viel Elektronik hochgerüstete Automobile abgeschafft und dafür wieder Buschtrommel und Pferdefuhrwerk eingeführt. Leider könnte aber Belgien im Rahmen der weiteren Verschärfung der europäischen MIFID II-Richtlinie (Markets in Financial Instruments Directive/MIFIR) nur der besonders eifrige Vorreiter sein, was man sich gar nicht erst vorstellen möchte.

Nur allzu gut, dass man in Deutschland bislang auf Transparenz statt auf Verbote setzt, noch dazu, wenn diese wie in Belgien den Sachverhalt genau ins Gegenteil verkehren würden. Doch Transparenz und Information haben auch ihre Grenzen und werden gerade in der öffentlichen Diskussion angesichts des schon bestehenden riesigen Angebots deutlich überbewertet. Mindestens ebenso wichtig ist wie bei „dem Pferd, das man nur zur Tränke führen kann“ die Erkenntnis, dass strukturierte Produkte mit wenigen Ausnahmen nur für einen kleinen aktiven Teil der Bevölkerung wirklich geeignet sind, der sich auch intensiv mit deren Chancen und Risiken auseinandersetzen kann und will. Das hat überhaupt nichts mit deren Qualität und Sinnhaftigkeit zu tun. In noch viel eingeschränkterer Weise gilt dies natürlich für hochspekulative Hebel-Produkte, die selbst eher sicherheitsorientierten Anlegern seit einiger Zeit immer häufiger wie „Sauerbier“ angeboten werden, ohne auf deren eigentliches Rendite-Risiko-Profil zu achten. Vielleicht sollte man sich gerade vor dem Hintergrund der weltweiten Immobilienblasen auch darüber einmal Gedanken machen und sich seiner Verantwortung bewusst sein. Im Übrigen ist es ganz wichtig, in Finanzdingen wie auch in vielen anderen Lebensbereichen eine gewisse Mündigkeit beim Verbraucher vorauszusetzen, die man nicht durch unsinnige Verbote zerstören sollte.

Autor: Armin Geier, http://www.godmode-trader.de/zertifikate

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Über den Experten

Armin Geier
Armin Geier

Armin Geier beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren sehr intensiv mit Anlage-Zertifikaten. Begonnen hat sein berufliches Interesse im Jahr 2000, als er bei einem Münchner Internet-Portal über mehrere Jahre die erste Datenbank für diese spezielle Materie aufbauen konnte und dadurch die rasante Entwicklung dieser Spezies damals noch ganz hautnah Produkt für Produkt mitbekam. Wie sehr sich die Zeiten seitdem verändert haben, kann man allein an der Explosion der Produktzahl von anfangs nicht einmal 3.000 auf heute über eine Million Stück erkennen. Bei seinen nächsten Stationen wechselte er dann ganz in den journalistischen Bereich über, ohne seine Vorliebe für die diversen Produktstrukturen aufzugeben, an denen ihm nach wie vor gerade wegen ihrer asymmetrischen Chance-Risiko-Profile sehr gelegen ist. Insbesondere interessiert ihn dabei die Möglichkeit, aus Einzelansätzen langfristig funktionierende Strategien zu entwickeln. Leider wird dieser Zielsetzung seit Lehman vor dem Hintergrund einer immer kurzfristigeren Denkweise an den Märkten von Emittentenseite immer weniger entsprochen. Bei der BörseGo AG/Godmode-Trader ist Armin Geier seit sechs Jahren mit journalistischen Beiträgen in diversen Rubriken und Publikationen als Experte für Anlage-Zertifikate präsent.

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