Kommentar
13:12 Uhr, 09.05.2018

DAX besser als der S&P 500?

Auf den internationalen Aktienmärkten vollziehen sich derzeit Entwicklungen, die einen leicht auf die falsche Spur setzen könnten. Passen Sie auf.

  • Novum an den Aktienmärkten: Der S&P 500 fällt seit einiger Zeit hinter den DAX zurück.
  • An sich müsste eine solche Entwicklung nach dem Ende der Eurokrise zu erwarten sein. Noch ist es aber nicht so weit.
  • Es gibt gute Gründe, europäische Aktien gegenüber amerikanischen überzu­gewichten, allerdings nicht unbedingt den DAX.

An den internationalen Finanzmärkten kann man derzeit eine höchst ungewöhnliche Entwicklung beobachten. Die amerikanischen Aktienmärkte, die normalerweise schon aufgrund ihrer Größe immer eine Art Trendsetter für die Welt sind, fallen gegenüber den europäischen zurück. Und zwar nicht nur ein paar Stunden oder ein paar Tage, son­dern jetzt bereits ein paar Monate. Seit Anfang März ist der DAX um 4 % gestiegen, der amerikanische S&P ging dage­gen um 3 % zurück. Natürlich spielten beim DAX auch die Dividendenzahlungen eine Rolle, die den Index aufbläh­ten und die im S&P 500 nicht enthalten sind. Aber selbst wenn man diesen Faktor ausschaltet, bleibt eine sig­nifikante Out­performance. America First, das in Finanzdin­gen schon lan­ge vor Donald Trump unbestritten war, scheint plötzlich nicht mehr gefragt zu sein.

Es kann sein, dass das nur eine vorübergehende Marktver­wirrung ist, wie sie immer mal vorkommt. Dafür spricht, dass die Entwicklung nicht geradlinig verläuft, sondern unter er­heblichen Schwankungen. Wenn es eine Zufallsbewegung wäre, dann könnten wir es vergessen. Es kann aber auch sein, dass dahinter etwas Grundsätzlicheres steckt. Das würde manche unserer bisherigen Anschauungen auf den Kopf stellen.

AMERICA FIRST

S&P 500 und DAX Kursindex, Ende 87=100 

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Quelle: Bundesbank, Yahoo Finance

In der Vergangenheit war die Sache klar. In den letzten 30 Jahren hat der amerikanische Aktienindex S&P 500 den Kursindex des DAX deutlich hinter sich gelassen. Er ist über den ganzen Zeitraum fast doppelt so schnell gestiegen (sie­he Grafik).

Allerdings gab es auch hier schon unterschiedliche Phasen. In den ersten 15 Jahren liefen beide Indizes weitgehend pa­rallel. Dann kam die New Economy-Krise Anfang des Jahr­hunderts. Sie hat den DAX stärker nach unten gezogen. Dann kam die große Finanzkrise 2008/2009, die für die Ameri­kaner schmerzhafter war. Erst in den letzten zehn Jahren lief die Entwicklung so richtig auseinander. Der S&P 500 ließ den DAX weit hinter sich. Das lag natürlich an der Eurokrise.


Die derzeit schwächere Entwicklung an der Wall Street ist noch keine Trendwende im transatlantischen Verhältnis.


Wenn die Eurokrise, wie es aussieht, jetzt ihren Höhepunkt hinter sich haben sollte, müsste sich der Unterschied zwi­schen dem S&P 500 und dem DAX eigentlich wieder ein­ebnen. Der DAX hätte perspektivisch ein beachtliches Auf­wärtspotenzial. Der Kursindex könnte relativ zum S&P 500 um 90 % steigen. Der übliche Performance-Index könnte sogar noch stärker zulegen. Das ist natürlich unrealistisch. So große Trendwenden an den Kapitalmärkten sind ganz selten. Aber selbst wenn die Kurse in Europa etwas weniger steigen sollten, wäre das eine gute Nachricht für hiesige An­leger.

Können wir mit so etwas rechnen? Klare Antwort: Nein. Es ist noch zu früh, darüber auch nur zu spekulieren. Die Ent­wicklung der letzten Monate ist daher kein erstes Wetter­leuchten, das Hoffnung machen könnte. Erstens ist die Eu­rokrise noch nicht zu Ende. Es gibt noch immer Schwach­stellen in der Währungsunion. Man muss nur auf die Ent­wicklung in Italien oder Griechenland schauen. Der Drive
zu Reformen hat nachgelassen (außer in Frankreich).

Zweitens fehlt es den Europäern immer noch an Selbstbe­wusstsein und Überzeugungskraft auf dem internationalen Parkett. Europäische Regierungschefs "pilgern" als Bittstel­ler nach Washington, um von den protektionistischen Bestrebungen der Amerikaner verschont zu werden. Das ist kein Klima, in dem die europäischen Aktien abheben könn­ten.

Drittens passt auch der gegenwärtige Zeitpunkt nicht. Volks­wirtschaftlich gesehen stehen die USA derzeit besser da als die Europäer. Die amerikanische Wirtschaft wächst wieder schneller. Die Preissteigerung hat ein normales Ni­veau er­reicht. Die Federal Reserve hat den Krisenmodus verlas­sen. Sie erhöht die Zinsen und baut ihre Wertpapier­bestän­de ab. Der USD ist mit einem Mal wieder stärker auf den Devisenmärkten. Umgekehrt hat sich die Konjunktur in Europa verschlechtert.

Viertens fließt derzeit auch kein Geld aus den USA ab, das dann in Europa investiert würde. Die Schwäche des S&P 500 hängt eher mit inneramerikanischen Entwicklungen zu­sammen. Die Aktienkurse sind so stark gestiegen, dass sie vielen inzwischen als zu hoch erscheinen. Wenn Unterneh­men über gute Gewinne berichten, reißt das angesichts der erreichten Bewertungsniveaus niemanden vom Stuhl. Die Zin­sen haben mit knapp 3 % für 10-jährige Treasuries ein Ni­veau erreicht, das für Investoren schon wieder als Alter­na­tive zu Aktien interessant ist. US-Firmen haben Angst, dass ein Handelskrieg auch negativ für ihren eigenen Ab­satz und Ertrag sein könnte. Im Übrigen legt sich auch die Euphorie hinsichtlich der Steuerreform.
Sie hilft zwar den Gewinnen und dem Wachstum in den USA. Das wird jedoch nicht als gesund empfunden, denn es bläht die Staatsverschuldung auf, könnte sich negativ auf die Zinsen auswirken und erhöht das Leistungsbilanzdefizit.

Für den Anleger

Die derzeit schwächere Entwicklung an der Wall Street ist noch keine Trendwende im transatlantischen Verhältnis. Trotz­dem ist es für hiesige Anleger keine schlechte Idee, Europa bei der Aktienanlage überzugewichten. Sie kennen die hei­mischen Märkte besser und haben hier kein Wech­selkursri­siko. Allerdings sollte man bei den verschiedenen Märkten in Europa differenzieren. Der DAX ist derzeit nicht mein Fa­vorit. Frankreich, Italien und Österreich gefallen mir im Au­genblick besser. In Frankreich überzeugen mich die Refor­men, die Paris derzeit vorantreibt und die die Wirt­schaft mo­dernisieren. In Italien ist es die positive wirtschaft­liche Ent­wicklung der letzten Monate (trotz der bestehenden politi­schen Risiken). In Österreich sind es gute Firmen, ein deut­lich höheres Wachstum bei vielen Unternehmen und die en­gen Beziehungen zu Osteuropa. Der CAC 40, der MIB und der ATX haben sich in den letzten Monaten nicht ohne Grund besser entwickelt als der DAX.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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