Kommentar
11:41 Uhr, 19.04.2010

Das Unerwartete erwarten - Lässt die Parlamentswahl in UK die Börse kalt?

Wenn bei Investoren, Strategen und Finanzkommentatoren in einem Bereich Konsens besteht, dann darin: Das Pfund Sterling wird im Vorfeld der Wahlen noch weiter sinken, der Zins für britische Staatsanleihen wird steigen und die Kurse an den Aktienmärkten werden fallen. Die Aussicht auf unklare Mehrheitsverhältnisse im Parlament, auf ein sogenanntes 'Hung Parliament', ist das vorherrschende Szenario. Mit diesem Szenario einher geht die Aussicht auf eine ineffektive Regierung und vor allem die Unmöglichkeit, wichtige Maßnahmen zur Eindämmung des britischen Staatsdefizits einzuleiten. Da dieses Ergebnis immer wahrscheinlicher wird, trennen sich viele Investoren vom Pfund. Und der Zins für britische Staatsanleihen steigt in der Erwartung, dass Großbritannien in seiner jetzigen Kreditwürdigkeit von AAA zurückgestuft wird. Dazu kommt eine starke Flut an Staatsanleiheemissionen - und Aktien werden durch die steigenden Anleiherenditen unweigerlich nach unten gezogen.

Da die Märkte Unsicherheit von jeher hassen, wären Nervosität und Schwäche im Aktienbereich vor den Wahlen sicher keine Überraschung. Aber die Wahl dürfte ja wohl kaum eine Schockmeldung darstellen. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Startschuss für die offizielle Wahlkampagne massive Investmentströme auslöst? Und flossen nicht alle Ergebnismöglichkeiten bereits in die Entscheidungen der Anleger und die Kurse mit ein? Die eigentliche Überraschung vor diesem Hintergrund wäre, wenn der Markt die täglichen Umschwünge in den Meinungsumfragen, Reden und Debatten einfach ignorieren und seinen Aufwärtskurs unbekümmert fortsetzen würde.

Konsens unter den Parteien Zumindest scheinen sich alle drei Hauptparteien darin einig zu sein, dass das Defizit gesenkt werden muss - Uneinigkeit herrscht lediglich in Bezug auf das Wie und das Wann. Auch wenn ein Pakt zwischen Liberalen und der Labour-Partei vielen der Beschäftigten im Finanzsektor nicht schmecken mag: Es steht nicht unbedingt von vornherein fest, dass der gemeinsame Plan dieser Parteien zum Abbau des Staatsdefizits bei den Anleiheinvestoren auf Ablehnung stößt.

Ein weiterer Punkt: Der nationale Schuldenberg in Großbritannien ist so hoch, dass Steuererhöhungen und Ausgabensenkungen allein nicht ausreichen, um ihn abzubauen. Darin sind sich alle Parteien einig. Ebenso muss das Konjunkturwachstum Teil der Lösung sein. Eine mögliche Folgerung wären politische Maßnahmen, die Firmen motivieren, ihren Sitz weiter in Großbritannien zu behalten, dort zu investieren und zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen. Die nächste Regierung dürfte wohl sehr wirtschaftsfreundlich sein. Denn für die Politiker hängen die Chancen einer Wiederwahl davon ab, ob die Unternehmen in der Lage sind, neue Arbeitsplätze zu schaffen und wirtschaftliches Wachstum zu erzeugen.

Der Abbau des Staatsapparats eröffnet dem privaten und freiwilligen Sektor zusätzliche Möglichkeiten, die Lücken zu füllen, die durch die Kürzungen im öffentlichen Bereich entstanden sind. Aus historischer Sicht gab es in Zeiten, in denen der Anteil des öffentlichen Sektors am BIP schrumpfte, ein größeres Produktivitätswachstum. In diesem Bereich hinkte Großbritannien aufgrund der Bürokratiezunahme in den vergangenen Jahren hinterher. Doch keine dieser Überlegungen hört sich für britische Aktieninvestoren oder gar das Pfund Sterling besonders besorgniserregend an.

Britische Firmen in guter Form Indes stammt der Großteil der Gewinne der in Großbritannien gelisteten Unternehmen aus dem Ausland. Das geben selbst die pessimistischsten Kommentatoren zu. Der weltweite Konjunkturaufschwung und die Folgen der sehr schnellen und effektiven Kostensenkungen haben dafür gesorgt, dass die jüngsten Unternehmensergebnisse die Erwartungen der Analysten fast einhellig übertrafen. Für viele Unternehmen wurden die Gewinnprognosen in den vergangenen Monaten deutlich angehoben.

Das wiederum heißt, dass die Bewertungen inmitten der bisher in diesem Jahr erzielten Marktgewinne angemessen geblieben sind. Denn die steigenden Aktienkurse wurden durch die steigenden Gewinnprognosen untermauert. Die Bilanzqualität wurde verbessert, die Cashflows sind stark und immer mehr Unternehmen sitzen auf einem Barüberschuss - eine Quelle für zukünftige Investitionen, Aktienrückkäufe oder Fusionen und Übernahmen.

Misstrauen gegenüber der Rallye bleibt Dennoch waren die Anleger selten so vorsichtig gestimmt. Renommierte Investoren sitzen mit prall gefüllten Portemonnaies tatenlos am Spielfeldrand und schütteln ungläubig die Köpfe, während sich der Markt nach oben schraubt. Die Mittel fließen von Aktien weg und nicht zu ihnen hin. Das britische Staatsdefizit ist so hoch, dass die Nation kollektiv den Gürtel enger schnallt und sich allgemein auf einige harte Jahre einstellt. Wachstum, das durch die Explosion bei den privaten und öffentlichen Schulden in den vergangenen zehn Jahren von der Zukunft geborgt wurde, muss mehrere schlanke Jahre hindurch zurückbezahlt werden.

Aber auch wenn harte steuerpolitische Maßnahmen eingeführt werden, so bleibt die Geldpolitik als Nebeneffekt weiterhin sehr locker. Sollte die Bank of England den Zinssatz gegen Ende des Jahres erhöhen, so dürfte dies sehr vorsichtig ausfallen. Die Zinssätze dürften über das Jahr 2011 hinweg kaum um mehr als zwei Prozent steigen - eine Rate, die aller Wahrscheinlichkeit nach real gesehen negativ sein wird. Barmittel zu halten ist dementsprechend teuer, während viele solide Anlagen in Aktien Renditen von zwei, drei, vier Prozent oder mehr einbringen können.

Patriotischer Eifer Doch trotz der allgemeinen und einhelligen Erwartung einiger Jahre der Sparpolitik darf eines nicht vergessen werden: Schon in neun Monaten wird 2012 das 'nächste Jahr' sein. Und 2012 werden nicht nur die Olympischen Spiele große Besucherströme aus dem Ausland anziehen, auch das 60-jährige Thronjubiläum der Queen, das aller Wahrscheinlichkeit mit zahlreichen königlichen Besuchen im ganzen Land verbunden ist, ist ein Publikumsmagnet. Solche Ereignisse sind für die Wirtschaft selten negativ, eher im Gegenteil. Selten dürfte das Zusammentreffen von zwei Ereignissen in Großbritannien einen derartigen Wohlfühlfaktor auslösen wie im Jahr 2012. Sparmaßnahmen? Wahrscheinlicher ist ein Boom.

Meine Wahlprognose lautet: Die Konservativen gewinnen eine tragfähige Mehrheit und das ganze Gerede über unklare Mehrheitsverhältnisse ist Schnee von gestern. Außerdem dürfte sich diese Mehrheit entgegen der landläufigen Meinung als regierungsfähig erweisen. Und an der Börse geht die ganze Kampagne sang- und klanglos vorbei.

Quelle: Schroders
Autor: Richard Buxton, Leiter Aktien Großbritannien

Die Schroders-Gruppe ist eine führende internationale Vermögensverwaltungsgesellschaft, die 1804 gegründet wurde. Schroders verwaltet Anlagen für Pensionsfonds, Regierungsbehörden, Wohltätigkeitsorganisationen, Körperschaften, Familienunternehmen und vermögende Privatpersonen weltweit und ist ein führender Verwalter von Investmentfonds. Schroders bietet Anlagen in allen wichtigen Vermögenskategorien in entwickelten Ländern und Schwellenländern an: Aktien, Schuldtitel, Geldmarktinstrumente, Beteiligungen und Immobilien. Das weltweit verwaltete Vermögen betrug zum 31. Dezember 2009 rund 167,0 Mrd. Euro.

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