Kommentar
08:50 Uhr, 10.04.2014

Das Gespenst der "Lowflation"

Erwähnte Instrumente

  • In den letzten Wochen ist nicht nur die Deflation zum Problem geworden, sondern auch die niedrige Inflation ("Lowflation").
  • Das ist eine gefährliche Entwicklung. Es könnte heißen, dass die Wirtschafts- und Währungspolitik jetzt offenbar für eine Mindestinflation sorgen soll.
  • "Lowflation" sollte meines Erachtens nicht verhindert, sondern als Alarmzeichen für eine vielleicht kommende Deflation interpretiert werden.

Ein neues Feindbild ist aufgetaucht. Jahrelang war es das Ziel der Wirtschafts- und Währungspolitik, Inflation zu verhindern. In den letzten Monaten ging es dann – vor allem in Europa – zunehmend darum, Deflation, also sinkende Preise, zu bekämpfen. Und nun gibt es plötzlich einen neuen Gegner: "Lowflation", also geringe Preissteigerungen. Auch sie soll nicht hingenommen werden. Die Wortschöpfung ist nicht nur ein sprachlicher Gag. Ich fürchte, es steckt auch eine veränderte wirtschaftspolitische Philosophie dahinter.

"Lowflation" ist der Bereich zwischen Inflation und De­flation. In Europa wären das also Preissteigerungen zwischen Null und "nahe aber unter 2 %". Das ist ein relativ schmales Band und kann kaum als wirtschafts­politische Zielgröße gesehen werden. Manche ziehen den Korridor aber weiter. Der Internationale Währungs­fonds beispielsweise, von dem der Begriff der "Low­flation" stammt, hat ins Gespräch gebracht, dass Preis­steigerungen erst ab 4 % als Inflation bekämpft werden müssen. Dann würde "Lowflation" von 0 % bis 4 % rei­chen. Das wäre schon ganz erheblich.

Mit dem Begriff der "Lowflation" wird der wirtschaftspoliti­sche Aktionsradius erweitert. Die Politik soll nicht nur da­für sorgen, dass die Inflation nicht zu groß wird. Sie soll auch darauf achten, dass sie nicht zu klein ist. Dahinter steht die Idee, dass eine Volkswirtschaft eine bestimmte Minimum-Preissteigerung braucht, um gut zu funktionie­ren.

Dafür werden verschiedene Gründe angeführt. Ohne ein bestimmtes Maß an Inflation ist, so wird zum Beispiel gesagt, der Strukturwandel schwerer zu bewerkstelligen. Schrumpfende Branchen werden zu Preis- und Lohn­senkungen gezwungen, die bei der gegebenen Inflexi­bilität der Märkte nur unter Schmerzen zu verwirklichen sind. Zudem: Ohne ein Mindestmaß an Preissteigerun­gen kommen große und heterogene Wirtschaftsräume wie die europäische Währungsunion oder die USA in Schwierigkeiten. In solchen Räumen gibt es immer Re­gionen mit höherer und mit niedrigerer Inflation. Wenn hier die durchschnittliche Geldentwertung zu niedrig ge­halten wird, werden einige Regionen möglicherweise in die Deflation getrieben.

Noch ein anderer Grund, der bei vielen sicher eine Rolle spielt: Ohne Preissteigerung ist es schwerer möglich, von der hohen Staatsverschuldung herunterzukommen. Denn dann gibt es zum einen nicht genug Steuereinnah­men. Zum anderen kann der Staat seine Schulden nicht mit einem Geld zurückzahlen, was weniger wert ist (was auf eine Enteignung der Bürger hinausläuft).

Die Diskussion über eine Mindestinflation ist nicht neu. Sie wurde in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts schon einmal sehr heftig geführt. Eigentlich dachte ich, sie wäre inzwischen abgeschlossen. Auf dem Londoner Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der gro­ßen Industrieländer 1977 hatte man sich auf die be­rühmte Formel geeinigt: "Inflation verringert nicht die Arbeitslosigkeit. Im Gegenteil, sie ist eine ihrer Haupt­ursachen". Das war eine klare Absage an das Konzept einer Minimuminflation. Die Einigung ist freilich lange her. Offenbar ist sie inzwischen in Vergessenheit gera­ten.

Jedenfalls sieht es so aus, als würden wir mit der Dis­kussion über die "Lowflation" in die Zeit vor dem Londo­ner Konsens zurückkehren. In Europa redet man darü­ber noch nicht explizit. Die Europäische Zentralbank hat die niedrige Inflation bis jetzt nicht zum Anlass genom­men, weitere Lockerungen zu beschließen. Auf interna­tionaler Ebene traue ich aber dem Frieden nicht.

Vielleicht bin ich zu skeptisch und interpretiere zu viel in die neue Terminologie. Aber Volkswirte sollten Trends erkennen und davor warnen, bevor alle darüber reden.

Nun kann man natürlich fragen, warum es den Korridor zwischen Deflation und Inflation überhaupt gibt, wenn man ihn politisch nicht nutzen soll? Die Antwort ist klar. Er ist die Gefahrenzone. Da stehen die Ampeln auf Gelb. Die Zentralbank soll noch nicht handeln. Sie soll aber ihre Wachsamkeit erhöhen.

Eine solche Gefahrenzone ist aus zwei Gründen sinn­voll: Zum einen, weil die Deflationsbekämpfung so schwierig und herausfordernd ist, dass die Zentralbank mit der Vorbereitung darauf frühzeitig beginnen soll. Zum anderen weil die Messung der Preissteigerung im­mer mit Fehlern und Unsicherheiten verbunden ist. Es könnte also sein, dass auch eine Inflation von 1 % schon näher an der Deflation ist, als viele denken. Das hängt unter anderem damit zusammen, dass sich die statisti­schen Ämter schwer damit tun, den technischen Fort­schritt bei einzelnen Gütern aus der Preissteigerung herauszurechnen.

Für den Anleger

Bisher hat die Europäische Zentralbank alles richtig ge­macht in der Phase der "Lowflation". Sie hat den Alarm­modus eingeschaltet, hat sich aber mit zusätzlichen Maßnahmen zurückgehalten. Ich hoffe, dass das so bleibt. Wenn die EZB aber von diesem Kurs abweichen und doch noch weitere Lockerungen in Kraft setzen sollte, ohne dass es eine wirkliche Deflation gibt, dann sollten beim Anleger die Alarmglocken klingen. Kurz­fristig wirkt sich das zwar positiv auf die Aktien- und Rentenmärkte aus. Längerfristig wächst aber die Gefahr einer ernsthaften Abweichung vom Stabilitätskurs. Das wäre ein Warnsignal. Anleger müssten sich darauf ein­stellen, dass es früher oder später doch eine Blase gibt.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

Das-Gespenst-der-Lowflation-Kommentar-Martin-Hüfner-GodmodeTrader.de-1

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.


Weitere Informationen über Assenagon und unsere Publikationen finden Sie auch auf www.assenagon.com.

Assenagon Asset Management S.A., Zweigniederlassung München, Prannerstraße 8, 80333 München, Deutschland

Rechtliche Hinweise

Diese Darstellung wird nur zu Informationszwecken und ohne vertragliche oder sonstige Verpflichtung zur Verfügung gestellt. Alle Informationen in dieser Darstellung beruhen auf sorgfältig ausgewählten Quellen, die für zuverlässig erachtet wurden, doch kann die Assenagon S.A., Luxemburg, die Assenagon Asset Management S.A., Luxemburg und ihre Zweigniederlassungen sowie die Assenagon Schweiz GmbH, Assenagon Client Service GmbH, München und die Assenagon GmbH, München (zusammen im Folgenden "Assenagon-Gruppe" genannt) deren Richtigkeit, Vollständigkeit oder Genauigkeit nicht garantieren. Alle Meinungsaussagen geben nur die Einschätzung des Ver­fassers wieder, die nicht notwendigerweise der Meinung der Assenagon-Gruppe entspricht. Empfehlungen und Prognosen stellen unverbindliche Werturteile zum Zeitpunkt der Erstellung dieser Darstellung dar. Diese können sich abhän­gig von wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen jederzeit ändern. Der Autor behält sich deshalb ausdrücklich vor, in der Darstellung geäußerte Meinungen jederzeit und ohne Vorankündigung zu ändern. Jedwede Haftung und Gewähr aus dieser Darstellung wird vollständig ausgeschlossen.

Die Informationen in dieser Darstellung wurden lediglich auf die Vereinbarkeit mit luxemburgischem und deutschem Recht geprüft. In einigen Rechtsordnungen ist die Verbreitung derartiger Informationen u. U. gesetzlichen Beschränkungen unterworfen. Die vorstehenden Informationen richten sich daher nicht an natürliche oder juristische Personen, deren Wohn- bzw. Geschäftssitz einer Rechtsordnung unterliegt, die für die Verbreitung derartiger Informationen Beschränkungen vorsieht. Natürliche oder juristische Personen, deren Wohn- bzw. Geschäftssitz einer ausländischen Rechtsordnung unterliegt, sollten sich über die besagten Beschränkungen informieren und diese entsprechend beachten. Insbeson­dere richten sich die in dieser Darstellung enthaltenen Informationen weder an Staatsbürger aus Großbritannien oder den Vereinigten Staaten von Amerika und sind auch nicht als solche konzipiert.

Diese Darstellung stellt weder ein öffentliches Angebot noch eine Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes zum Erwerb von Wertpapieren, Fondsanteilen oder Finanzinstrumenten dar. Eine Investmententscheidung bezüglich irgendwelcher Wertpapiere, Fondsanteile oder Finanzinstrumente sollte auf Grundlage einschlägiger Verkaufsdokumente (wie z. B. Prospekt) erfolgen und auf keinen Fall auf der Grundlage dieser Darstellung.

Die in dieser Darstellung aufgeführten Inhalte können für bestimmte Investoren ungeeignet oder nicht anwendbar sein. Sie dienen daher lediglich der eigenverantwortlichen Infor­ma­tion und können eine individuelle Beratung nicht ersetzen. Die Assenagon-Gruppe kann andere Publikationen veröffentlicht haben, die den in dieser Darstellung vorgestellten Infor­mationen widersprechen oder zu anderen Schlussfolgerungen gelangen. Diese Publikationen spiegeln dann andere Annahmen, Meinungen und Analysemethoden wider. Dargestell­te Wertentwicklungen der Vergangenheit können nicht als Maßstab oder Garantie für eine zukünftige Wertentwicklung herangezogen werden. Eine zukünftige Wertentwicklung wird weder ausdrücklich noch implizit garantiert oder zugesagt.

Der Inhalt dieses Dokuments ist geschützt und darf ohne die vorherige schriftliche Genehmigung der Assenagon-Gruppe weder kopiert, veröffentlicht, übernommen oder für andere Zwecke in welcher Form auch immer verwendet werden.

© 2014

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen