Kommentar
10:09 Uhr, 22.07.2021

Das Geld sitzt zu locker

Hochmut kommt vor dem Fall. Das gilt auch für die Börse und an Indikatoren, dass Hochmut herrscht, mangelt es nicht.

In den USA weigert sich Notenbankchef Powell immer noch über ein Ende der Wertpapierkäufe nachzudenken. Das unterscheidet die US-Notenbank von anderen. Das viele Geld unterstützt zwar die wirtschaftliche Erholung, hat aber auch Nebenwirkungen. Die Risikoneigung von allen Finanzmarktteilnehmern ist ausgesprochen hoch. Solange das Geld der Notenbank fließt, kann nichts geschehen, denken sich viele. So gehen Marktteilnehmer immer höhere Risiken ein. Ein Risiko ist die Bewertung von Aktien. Kauft man einen Index-ETF auf den S&P 500, wenn dieser mit einem KGV von 10 bewertet ist, ist das Risiko geringer als der Kauf bei einem KGV von 35, wie es derzeit der Fall ist. Das viele Geld hält die Zinsen niedrig und erhöhte Risikoneigung unterstützt die Wirtschaft auch direkt. Viele Unternehmen können so z.B. Anleihen zu attraktiven Zinsen ausgeben. Ohne die Risikofreude müssten sie deutlich mehr bezahlen oder würden überhaupt keine Anleihen begeben können. Die Nebenwirkung ist das Risiko, welches sich mehr und mehr aufbaut. Überschwang wird früher oder später korrigiert. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Je länger die ultralockere Geldpolitik anhält, desto größer wird am Ende der Korrekturbedarf.

Wie viel Überschwang es gibt, kann man auf viele Arten feststellen. Eine ist die Übernahmetätigkeit von Unternehmen. Je mehr Fusionen und Übernahmen stattfinden, desto lockerer sitzt das Geld, weil es billig und im Überfluss vorhanden ist. Fusionen und Übernahmen finden in Zyklen statt (Grafik 1). Derzeit steuern wir gerade auf ein neues Hoch zu.


Besonders hohe Aktivität findet auch dann statt, wenn der Aktienmarkt ein Hoch ausbildet. Das ist auf zumindest eine Art bitter. Ein Unternehmen übernimmt ein anderes häufig dann, wenn es hoch bewertet ist. Es wird teuer eingekauft. Fällt der Markt und damit die Bewertung in der Folge, müssen hohe Wertberichtigungen durchgeführt werden. Die Bilanz wird deutlich geschwächt.

Es sind nicht nur Fusionen und Übernahmen, die auf neue Rekorde zusteuern. Auch die Entstehung von Einhörnern (Unicorns, neue Unternehmen mit einer Bewertung von mehr als 1 Mrd. Dollar) gibt zu denken. In der ersten Jahreshälfte 2021 entstanden mehr Einhörner als in den beiden Vorjahren zusammen (Grafik 2). Das Tempo ist also vier Mal so hoch wie vor der Krise.

Einhörner konzentrieren sich nach wie vor auf zwei Märkte, die USA und China (Grafik 3). Andere Märkte holen jedoch auf. Wenn ein Land für wenig börslichen Überschwang bekannt ist, dann Deutschland. Doch auch hier sind Einhörner keine Seltenheit mehr. Per Definition sollten sie selten sein. Sind sie es nicht mehr, ist etwas falsch.


Man kann nicht davon ausgehen, dass Firmen 2021 brillantere Ideen hatten als ein oder zwei Jahre zuvor und deswegen so hoch bewertet werden. Es dürfte vielmehr daran liegen, dass die Risikofreude hoch ist und das Geld einfach zu locker sitzt.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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