Kommentar
08:51 Uhr, 19.05.2020

Das Dilemma des Aufschwungs

Schlimmer als im April kann es nicht werden. Von diesem Tief kann es nur bergauf gehen. Der Aufschwung wird aber sehr ungleich sein und die Wirtschaft vor große Herausforderungen stellen.

China gibt dem Rest der Welt einen Vorgeschmack auf das, was zu erwarten ist. Die USA und Europa verdauen noch den Einbruch im März und April. In den USA etwa gingen die Einzelhandelsumsätze im April um 16,4 % zurück. Die Industrieproduktion ging hingegen „nur“ um 11,2 % zurück. Damit zeigt sich in den USA (Europa verhält sich nicht anders) ein ähnliches Bild zu China. Auch dort gab es natürlich einen starken Einbruch in der Produktion und beim Konsum. Der Einbruch in der Produktion war weniger stark ausgeprägt als beim Konsum und bei den Investitionen. Der Rebound, der zwangsweise kommt, wenn die Wirtschaft wieder öffnet, ist ebenfalls ungleich. Die Industrieproduktion wächst wieder. Einzelhandelsumsatz und Investitionen schrumpfen nach wie vor. Das Tempo hat sich verlangsamt, aber das Vorzeichen ist immer noch negativ...


Die neuesten Daten aus den USA und Europa deuten einen ähnlichen Verlauf an. Die Produktion wird schneller wieder hochfahren als der Konsum. Zuallerletzt dürften die Investitionen wieder anspringen. Für die Erholung ist das ein großes Problem. Alles, was produziert wird, muss auch irgendwann von einem Konsumenten gekauft werden.

Die Nachfrage erholt sich jedoch langsamer als das Angebot von Gütern. In bestimmten Produktkategorien kann es Ausnahmen geben, vor allem bei Grundgütern. So mussten in den USA einige Fleischverarbeitungsbetriebe schließen. Das führte zu einem Engpass bei Fleisch und die Preise stiegen. Generell gilt jedoch: das Angebot wächst früher und schneller als die Nachfrage.

Das bedeutet einerseits, dass Inflation nicht in Sicht ist und andererseits, dass viele Arbeitskräfte so schnell nicht wieder gebraucht werden. Immerhin gibt es Ansätze einer Erholung im Dienstleistungsbereich. In den USA steigt die Zahl der Flugpassagiere wieder (Grafik 2). Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl immer noch 90 % tiefer. Es wird ein langer Weg.


Auch bei Restaurants wird es ein langer Weg. Einige US-Bundesstaaten haben bereits wieder geöffnet. Langsam steigen die Reservierungen wieder (Grafik 3). Bis zur Normalisierung dauert es noch lange. Viele Restaurants werden die Auslastung bei 50 % begrenzen bzw. begrenzen müssen. Entsprechend braucht es auch weniger Personal.

Bei geringerer Kapazität muss man sich dennoch keine Sorgen um einen Preisanstieg machen. Zu viele Menschen haben ihren Job verloren und haben nicht das Geld ständig ins Restaurant zu gehen. Das gilt für viele Dienstleistungen. Eine Kapazitätsbegrenzung wird nicht zu Preisanstiegen führen. Die Kapazität wird in vielen Bereichen höher sein als die Nachfrage. Und wer geht in ein Restaurant, das gerade die Preise verdoppelt hat? So groß dürfte die Not kaum sein.

Das große Dilemma sind massiv überhöhte Kapazitäten und zu wenige Nachfrage. Solange Social Distancing praktiziert wird, wird sich das auch nicht ändern. Das wird nach den ersten Wochen der Öffnung und einem Zurückschnappen der Wirtschaft unweigerlich zu einer langsameren und zähen Erholung führen.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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