Kommentar
15:00 Uhr, 30.01.2025

Darum stehen die Kurserholungen auf wackeligen Beinen

Über das historische Ausmaß der Kurseinbrüche vom Montag habe ich berichtet. Eine weitere Zahl verdeutlicht dies: Der Wertverlust von Nvidia in Höhe fast 600 Milliarden USD war laut Medienberichten größer als die Marktkapitalisierung von 487 Unternehmen des S&P 500.

Eigentlich sollte man annehmen, dass so ein Ereignis tiefere Spuren im kurzfristigen Anlageverhalten der Marktteilnehmer hinterlässt. Doch wie so oft im Verlauf der bisherigen Übertreibung der Aktienmärkte, scheint das auch dieses Mal wieder nicht der Fall zu sein. Stattdessen haben die Anleger in ihrer typischen Manier gestern wieder fröhlich die niedrigeren (aber charttechnisch immer noch massiv überkauften) Kurse für Käufe von Aktien vor allem der "Magnificent 7" genutzt.

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Nasdaq 100: Beeindruckende Stärke nach herbem Rückschlag

Das hat dazu geführt, dass der Nasdaq 100 die Verluste, die (im CFD-Handel) nach der Abwärtslücke vom Montag entstanden waren, fast vollständig aufgeholt hat.

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Vom Tief bei 20.598,51 Punkten ging es bis zum Hoch um mehr als 4,5 % nach oben. Damit wurden auch schon mehr als 61,8 % der gesamten Abwärtsbewegung aufgeholt, die am Hoch vom vergangenen Freitag bei 21.901,02 Zählern begann. – Diese Stärke der US-Technologieaktien ist nach einem derart herben Rückschlag wieder einmal äußerst beeindruckend!

Dow Jones: Erst 8 % runter, dann 8 % rauf

Das kann der Dow Jones allerdings sogar noch toppen. Denn er hat sein Hoch vom Freitag bei rund 44.500 Punkten mit einer schnellen und starken Kurserholung sogar schon deutlich übertroffen.

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Auf dem Weg dorthin hatte der Old-Economy-Index schon das 61,8%-Fibonacci-Retracement seiner mehr als sechswöchigen Abwärtsbewegung nach nur sechs Handelstagen übersprungen. Am Montag setzte er von oben auf diese Marke zurück (siehe grüner Pfeil) und näherte sich anschließend mit erneut extremer Dynamik dem Hoch vom 4. Dezember bei 45.105 Punkten. Ergebnis: Um fast 8 % hat der Dow Jones in nur zwölf Handelstagen zugelegt. Damit stellt er die New-Economy-Titel des Nasdaq 100 in den Schatten.

Es steht außer Frage, dass solche Kursschwankungen binnen kürzester Zeit alles andere als normal sind. Erst in relativ kurzer Zeit fast 8 % runter, dann in noch kürzerer Zeit fast 8 % rauf – das ist Bestandteil der extremen Übertreibung, die sich nun schon im dritten Jahr abspielen.

Erholungen stehen auf wackeligen Beinen

Und dabei konzentrieren sich die Anleger immer noch auf relativ wenige Werte. Die Kurserholungen stehen damit auf keinem soliden Fundament. Denn an der NYSE überwogen gestern die Absteiger gegenüber den Aufsteigern im Verhältnis von 1,13 zu 1. Ähnliches gilt für die Nasdaq: 2.188 Aktien stiegen und 2.216 fielen. Die Absteiger überwogen somit die Aufsteiger in einem Verhältnis von 1,01 zu 1, wenn auch nur knapp. Außerdem: Das Handelsvolumen lag an den US-Börsen nur bei 13,87 Milliarden Aktien, verglichen mit dem Durchschnitt der letzten 20 Handelstage von rund 15,5 Milliarden Aktien.

Es gibt also offenbar doch einige Anleger, die sich noch nicht wieder in den Markt getraut haben. Und damit wird die Kurserholung einerseits von relativ wenigen Werten und zudem von relativ wenigen Marktteilnehmern getragen. Sie steht damit auf wackeligen Beinen.

Neue Zolldrohungen werden scheinbar ignoriert

Das könnte auch an neuerlichen Zolldrohungen des US-Präsidenten Donald Trump liegen. Wie das Weiße Haus gestern mitteilte, hält Trump an seinen Plänen fest, ab dem 1. Februar Zolle in Höhe von 25 % gegen Kanada und Mexiko zu verhängen. Und er zieht auch weiterhin neue Zölle gegen China in Betracht. Und schon am Montag sagte Trump, er plane auch generelle Zölle auf importierte Computerchips, Pharmazeutika und Stahl zu erheben.

Trumps Zolldrohungen führten zum Erfolg

In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Entwicklungen vom Sonntag und Montag an Brisanz, die für die Börsen eigentlich unbedeutend waren. Am späten Sonntagabend (MEZ) hatte Trump nach einer Abweisung von Abschiebeflūgen unter anderem Strafzölle in Hohe von 25 % gegen Kolumbien angekündigt, die nach einer Woche auf 50 % erhöht werden sollten. Zuvor hatte Kolumbiens Präsident Gustavo Petro US-Militärflugzeugen mit kolumbianischen Migranten an Bord die Landung verweigert.

Für die Börsen ist eine solche Meldung von untergeordneter Bedeutung, weil es zuvor schon mehrfach Zolldrohungen gegen China und die EU gegeben hatte und diese zuletzt keine negativen Marktreaktionen mehr hervorgerufen hatten (siehe auch „KI lässt Aktienkurse weiterhin explodieren“). Und im Vergleich dazu ist das Handelsvolumen der USA mit Kolumbien vernachlässigbar (2023: 33,8 Milliarden USD, US-Handelsüberschuss: 1,6 Milliarden USD).

Zudem gab es am Montagmorgen gegen 5 Uhr die Entwarnung: Die USA und Kolumbien wandeten den drohenden Handelskonflikt durch eine Einigung ab. Laut dem U5-Präsidialamt stimmte die kolumbianische Regierung allen Bedingungen von Präsident Donald Trump zu, „einschließlich der uneingeschränkten Aufnahme aller illegalen Einwanderer aus Kolumbien, die aus den USA zurückgeschickt werden, auch an Bord von US-Militärflugzeugen, ohne Einschränkungen oder Verzögerungen".

Trumps Strategie, mit der Androhung von Zöllen seinen Willen durchzusetzen, ging in diesem Fall also offenbar voll auf. Für die Börsen war dies bislang irrelevant, doch aus meiner Sicht sollte man dieses Ereignis durchaus im Hinterkopf behalten. Denn:

Zölle bleiben ein Risiko

Da Trump mit seinen Zolldrohungen in diesem Fall offenbar einen klaren Erfolg auf ganzer Linie eingefahren hat, könnte ihn dies in seiner Ansicht bestärken, auch gegenüber größeren "Gegnern" (China, EU) ein solches Manöver zu riskieren.

Dazu wird er derzeit aus den eigenen Reihen zusätzlich motiviert. Der neue US-Finanzminister Scott Bessent soll laut Medienberichten auf die Einführung universeller Zölle auf US-Importe in Höhe von 2,5 % drängen, die monatlich um denselben Wert steigen.

Negative Nachrichten werden ignoriert

Mit Blick auf die neuerlichen Kursgewinne scheinen negative Nachrichten bereits wieder ignoriert zu werden. Das gilt auch für die Meldung, wonach das chinesische Technologieunternehmen Alibaba heute eine neue Version seines Modells einer künstlichen Intelligenz (Qwen 2.5) veröffentlicht hat, die nach eigenen Angaben sogar das jüngst das hochgelobte DeepSeek-V3-Model übertrifft.

In einer Mitteilung auf ihrem offiziellen WeChat-Account schrieb Alibabas Cloud-Einheit: "Qwen 2.5-Max übertrifft ... fast durchweg GPT-4o, DeepSeek-V3 und Llama-3.1-4058." Dabei bezog man sich auch auf die KI-Modelle von OpenAI und Meta.

Fazit

Das ist schon wirklich bemerkenswert, dass nicht nur bei Trumps Zolldrohungen, sondern offenbar auch extrem schnell bei aktuellen Meldungen zum Thema KI ein Gewöhnungseffekt eingesetzt hat.

Mit dem Blick unter die Markt-Oberfläche sollte man allerdings durchaus beachten, dass der Montag Spuren hinterlassen hat und man die Kurserholungen daher mit Skepsis betrachten sollte.

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