Kommentar
12:03 Uhr, 27.06.2018

Damoklesschwert Protektionismus?

Aufregende Zeiten an den Börsen. Welche Rolle spielt dabei der Protektionismus?

  • Der zunehmende Protektionismus wird von vielen als eine der größten Gefahren für die weitere Entwicklung der Börsen angesehen.
  • Zölle belasten einzelne Unternehmen. Sie verringern die Wohlfahrt der Bürger. Volkswirtschaftlich ist ihre Wirkung aber nicht so groß wie vielfach befürchtet.
  • Die Erhebung von Zöllen wird an den Kapitalmärkten keinen Big Bang auslösen. Sie führt aber zu langfristigen Verschiebungen im internationalen Handel.

Protektionismus war der Schocker der Börse in den letzten Wochen. Die Amerikaner verschärften ihre Drohungen. Die Handelspartner reagierten mit Vergeltungsmaßnahmen. Die Anleger waren verunsichert. Der DAX ist in den letzten ein­einhalb Wochen um 900 Punkte eingebrochen.

Das war im Prinzip das, was viele erwartet hatten. Ich möchte hier jedoch etwas Wasser in den Wein gießen. Na­türlich gehen von protektionistischen Maßnahmen negative Effekte auf die Börsen aus. Ich glaube jedoch, dass bei dem Kurseinbruch auch andere Dinge eine Rolle spielten, wie die schwächer werdende Konjunktur oder die Zinserhöhung in den USA. Die negativen Wirkungen des Protektionismus werden sich erst später zeigen.

Rein theoretisch führt die Erhebung von Zöllen zu a) weni­ger Wachstum, b) mehr Inflation, c) einer Umlenkung von Handelsströmen und d) einer Verschlechterung der geopoli­tischen Situation. Schauen wir uns das im Einzelnen an.


Man darf nicht alle Schuld dem Protektionismus in die Schuhe schieben.


Wachstum: Wenn man die Wirkung von Zöllen mit ökono­metrischen Modellen untersucht, stößt man auf die erstaun­liche Tatsache, dass die bisher ergriffenen Maßnahmen der Amerikaner und ihrer Partner das Wirtschaftswachstum fast überhaupt nicht beeinflussen. Die Abgaben auf Aluminium und Stahl sowie auf die chinesischen Einfuhren werden das reale Bruttoinlandprodukt um vielleicht ein bis zwei Zehntel Prozentpunkte verringern. Wenn man die angedrohten Zölle auf Autos aus Europa und Japan dazu nimmt, kommt man auf etwas mehr. Es bleibt aber immer noch verkraftbar.

Interessant ist, dass das Wachstum sowohl in den USA als auch in China und Europa in ähnlicher Größenordnung be­troffen ist. Es ist also keineswegs so, dass die USA einen Handelskrieg nur gewinnen können. Es gibt keine Gewin­ner, sondern nur Verlierer. Hinzu kommen Effekte, die man in ökonometrischen Model­len nicht erfassen kann. Da ist einmal die Unsicherheit in den Unternehmen darüber, was alles noch passieren kann. Sie führt zu einem Attentismus der Investoren und Verbrau­cher. Der amerikanische Notenbankchef, Jerome Powell, hat in letzter Zeit mehrfach darauf hingewiesen, dass ameri­kanische Unternehmen Investitionen und Personaleinstel­lungen wegen der Unsicherheit über die Handelspolitik ver­schieben. In Europa ist ähnliches zu beobachten.

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Hinzu kommt, dass sich das Produktivitätswachstum ver­langsamt. Die Produktionsverflechtung zwischen den Un­ternehmen ist in den letzten Jahren außerordentlich schnell gewachsen. Manche Produkte werden im Verlauf des Pro­duktionsprozesses mehrfach über die Grenzen hin und her transportiert. Das erhöht die Produktivität. Es muss jetzt we­gen der Zölle zurückgefahren werden. Das trifft die USA we­gen der Einbindung in den NAFTA-Raum stärker als Euro­pa, das an den hiesigen Produktionsketten nichts ändern muss.

Gravierend sind ferner die Wirkungen auf einzelne Unter­nehmen. Der Automobilkonzern Daimler beispielsweise hat jetzt wegen der protektionistischen Belastungen eine Ge­winnwarnung herausgegeben. Hier spielen aber auch die Dieselaffäre und andere strukturelle Probleme in dem Sek­tor eine Rolle. Man darf nicht alle Schuld dem Protektionis­mus in die Schuhe schieben.

Inflation: Auch hier dürften sich die Auswirkungen gesamt­wirtschaftlich gesehen in engen Grenzen halten. Nach öko­nometrischen Modellen ist der Effekt geringer als ein Zehn­tel Prozentpunkt. Für den einzelnen Bürger kann das aller­dings schon spürbar sein. Wer Whiskey trinkt, wird es nicht mögen, wenn dieser durch den Handelskrieg teurer wird.

Umlenkung von Handelsströmen: Längerfristig werden die Zölle zu einer Verschiebung der Handelsströme führen. Exporte und Importe zwischen Ländern, die nach wie vor frei sind von zusätzlichen Beschränkungen, werden zuneh­men. Die anderen werden abnehmen. Allerdings geht diese Verlagerung nicht so schnell. Die Grafik zeigt, dass die deutschen Auftragseingänge aus dem Ausland zuletzt aus den Ländern des Euroraumes zurückgegangen sind, die­jenigen aus Drittländern dagegen gestiegen sind. Das ist genau das Gegenteil von dem, was man eigentlich erwarten müsste.

Geopolitische Veränderungen: Der auf Dauer wichtigste Effekt ist die Zunahme der weltpolitischen Spannungen. Das schafft Unruhe, Unordnung und Unübersichtlichkeit in der Welt. So etwas mögen nicht nur die Börsen nicht. Manch einer denkt an die Weltwirtschaftskrise vor 90 Jah­ren, als der Zusammenbruch des Welthandels die Krise verschärfte und am Ende den Weg zum Zweiten Weltkrieg ebnete.

Noch weiß niemand, wie weit der Handelskrieg diesmal gehen wird. Ich glaube nicht, dass es wie damals zu einer kumulativen Bewegung nach unten kommen wird. Der US-Präsident hat vor den Wahlen im Herbst dieses Jahres kein Interesse, dass es zu einer Rezession oder zu einem Bör­sen-Crash kommt. Allerdings wissen alle, wie unberechen­bar Trump ist.

Für den Anleger

Handelsbeschränkungen kommen als neuer Faktor in die Risikobewertung von Aktienkursen und Credit Spreads hin­zu. Investieren Sie in Werte, die von solchen Nachrichten möglichst wenig betroffen sind. Ich vermute, dass das eher der Konsumgütersektor ist. Schauen Sie sich die Regionen an, die von der Umlenkung der Handelsströme profitieren. Das wird Europa sein. Die Makrowirkungen des Protektio­nismus werden nicht so offensichtlich sein. Die Konjunktur ist nicht gefährdet. Protektionismus ist eher ein schleichen­des Gift, das sich erst auf Dauer bemerkbar macht.


Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.

Dr. Martin W. Hüfner, Chefvolkswirt von Assenagon Asset Management S.A.

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