Fundamentale Nachricht
13:08 Uhr, 09.04.2019

CO2-Fußabdruck ist gut, aber nicht perfekt

Mit Blick auf die Messung von Klimarisiken ist es nach Meinung von Degroof-Petercam-Finanzexpertin Ophélie Mortier gefährlich, eine Anlagestrategie ausschließlich anhand des CO2-Fußabdrucks aufzubauen.

Brüssel (GodmodeTrader.de) - Langsam wird es ernst: Die Europäische Union hat eine Pflicht zur Offenlegung berücksichtigter Nachhaltigkeitskriterien in Anlageprozessen auf den Weg gebracht. Demnach soll Investoren vorgeschrieben werden, Informationen über ihre aktuellen Prozesse zur Berücksichtigung von Umweltrisiken und sozialen Risiken zu veröffentlichen. Sie müssen zukünftig auch transparent machen, inwiefern sich diese Risiken auf die Rentabilität der jeweiligen Investition auswirken könnten. Die Verordnung, die voraussichtlich Ende 2019 bindend wird, sagt schon heute ‚grünen Mogelpackungen‘ den Kampf an, wie Ophélie Mortier, Head of Responsible Investments bei Degroof Petercam AM, in einem aktuellen Marktkommentar schreibt.

Das bedeute auch, dass Anbieter von „grünen“ Anlagestrategien Informationen zu den Auswirkungen ihrer Produkte und Portfolios auf Nachhaltigkeit oder Klimaschutz darzulegen hätten. „Die Ereignisse der letzten Jahre haben in aller Deutlichkeit gezeigt, dass der Klimawandel kurz- und mittelfristig finanzielle und wirtschaftliche Risiken birgt. Die Berücksichtigung von Klimarisiken in der Verwaltung von Anlageportfolios ist daher zu einem Muss geworden“, sagt Mortier. Auf dem Weg zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft und Gesellschaft stehe die Absenkung von Kohlendioxid-Emissionen im Mittelpunkt. Angesichts der hohen Sensibilität, mit der CO2-Diskussionen derzeit geführt würden, ist die ‚Dekarbonisierung‘ von Anlageportfolios in aller Munde.

Ausgangspunkt zur Senkung der CO2-Risiken in Anlegerportfolios sei die Kohlendioxidmessung, die nach wie vor auf unzulänglichen Methoden basiere. Nicht jede Fabrik oder jedes Unternehmen sei mit entsprechenden Mess-Sensoren ausgestattet. Daher würden die Emissionen meistens geschätzt. Zudem sei es schwierig, zwischen direkten Emissionen, die bei der Produktherstellung anfielen, und durch die Nutzung von Produkten entstehenden indirekten Emissionen zu trennen, heißt es weiter.

Eine mögliche Methode der Dekarbonisierung sei die gezielte Fokussierung auf Sektoren mit geringen Emissionen. Hierzu würde beispielsweise ein Portfolio zählen, das auf ein Engagement in Energiewerten, Versorgern sowie im Industriesektor ganz oder teilweise verzichte. „Dies ist ein relativ restriktiver Ansatz. Die Hexenjagd auf fossile Energien hat mitunter eine radikale Abwendung vom Öl- und Gassektor zur Folge. Wenn die Bemühungen dieser Branchen als unzulänglich eingestuft werden, werden sie vielfach endgültig ausgeschlossen. Der Übergang zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft sollte jedoch von einem Dialog mit allen Akteuren und Stakeholdern begleitet werden, um eine ambitionierte, aber dennoch erreichbare Wende zu bewerkstelligen“, betont Mortier.

Die derzeit populärste Methode zur Einschätzung des Klimarisikos sei die Berechnung des CO2-Fußabdrucks eines Portfolios. Zielsetzung dabei sei, diesen im Laufe der Zeit oder im Vergleich zu einem anderen Portfolio oder einer Benchmark zu verringern. Dazu werde der Kohlendioxidausstoß einzelner Emittenten im Verhältnis zu ihrem Umsatz berechnet. Diese Methode der Kohlendioxidintensität basiere auf einem vom ‚Global Greenhouse Protocol‘ anerkannten Ansatz und beinhalte sowohl Direktemissionen aus Quellen, die sich im Eigentum oder unter der Kontrolle des Emittenten befänden, als auch Direktemissionen aus dem erforderlichen Energieverbrauch für die Herstellung des Produkts selbst, heißt es weiter.

„Obwohl auch diese Methode nicht perfekt ist, gestattet die Messung des CO2-Fußabdrucks eine umfassende Risikobewertung und einen Vergleich mit verschiedenen Indikatoren. Die Bemühung um eine Verringerung des Fußabdrucks belegt darüber hinaus das starke Streben nach Fortschritten und echtem Umweltbewusstsein“, sagt die Nachhaltigkeitsexpertin und weist dennoch auf Schwachpunkte hin: „Die Methode des CO2-Fußabdrucks unterscheidet nicht zwischen direkten und indirekten Emissionen, berücksichtigt keinen latenten Kohlendioxidausstoß und beruht vielfach auf Schätzwerten.“

Der Ansatz des CO2-Fußabdrucks ziele auf eine langfristige Reduzierung der Gesamtemissionen eines Portfolios ab. Dies könne einerseits gelingen, indem einzelne Portfoliowerte über- oder untergewichtet würden. Andererseits könne der CO2-Fußabdruck bei einem unveränderten Portfolio auch durch den technologischen Fortschritt schrittweise geringer werden. Zudem erhöhten oder verringerten sich Kohlendioxid-Messwerte zwangsläufig durch Verbesserungen der Berechnungsmethode, heißt es weiter.

„Anlageprodukte durchlaufen einen strukturellen Prozess in Richtung Nachhaltigkeit. Treiber ist nicht nur der Druck der Zivilgesellschaft, sondern auch der europäische Gesetzgeber, durch den die Berücksichtigung von ESG-Kriterien zukünftig verpflichtend wird. Zur Einschätzung des Klimarisikos von Portfolios ist der CO2-Fußabdruck ein erster wichtiger Indikator. Angesichts der hohen Brisanz des klimatischen Wandels sind Analysten und Portfolioverwalter gefordert, das Thema sehr ernst zu nehmen. Basierend auf tiefgreifenden fundamentalen Analysen sollten jedoch alle Themen beachtet werden, die in den jeweiligen Wirtschaftszweigen nicht nur unter klimatischen, sondern auch sozialen Aspekten auf dem Spiel stehen“, fasst Mortier zusammen.

Keine Kommentare

Du willst kommentieren?

Die Kommentarfunktion auf stock3 ist Nutzerinnen und Nutzern mit einem unserer Abonnements vorbehalten.

  • für freie Beiträge: beliebiges Abonnement von stock3
  • für stock3 Plus-Beiträge: stock3 Plus-Abonnement
Zum Store Jetzt einloggen

Das könnte Dich auch interessieren

Über den Experten

Tomke Hansmann
Tomke Hansmann
Redakteurin

Nach ihrem Studium und einer anschließenden journalistischen Ausbildung arbeitet Tomke Hansmann seit dem Jahr 2000 im Umfeld Börse, zunächst als Online-Wirtschaftsredakteurin. Nach einem kurzen Abstecher in den Printjournalismus bei einer Medien-/PR-Agentur war sie von 2004 bis 2010 als Devisenanalystin im Research bei einer Wertpapierhandelsbank beschäftigt. Seitdem ist Tomke Hansmann freiberuflich als Wirtschafts- und Börsenjournalistin für Online-Medien tätig. Ihre Schwerpunkte sind Marktberichte und -kommentare sowie News und Analysen (fundamental und charttechnisch) zu Devisen, Rohstoffen und US-Aktien.

Mehr Experten