Kommentar
07:42 Uhr, 29.09.2021

Chinas Probleme sind viel weitreichender als Evergrande

Gespannt warten Anleger weltweit darauf, ob Evergrande gerettet wird. Die Rettung oder der Untergang von Evergrande ist jedoch nur die Spitze des Eisbergs.

China hat nicht nur ein Problem, sondern gleich eine ganze Reihe an Herausforderungen zu meistern. Das größte und drängendste Problem ist der Immobiliensektor. Es geht dabei weit über den in Schieflage geratenen Immobilienentwickler Evergrande hinaus. Es ist ein strukturelles Problem. Chinas Immobiliensektor ist eine sehr wichtige Stütze für die Wirtschaft. Fast 30 % der Wirtschaftsleistung werden von diesem Sektor beigetragen. Das ist mehr als in jedem anderen Land. Es ist auch mehr als zu den besten Boomzeiten, etwa in Spanien oder den USA vor Beginn der Finanzkrise. In den USA machte der Sektor knapp 20 % der Wirtschaftsleistung aus, in Spanien waren es 28 %. Chinas Wirtschaft ist vom Immobilienmarkt abhängiger als die spanische oder US-Wirtschaft vor der Finanzkrise. Das hat Gewicht, denn wir wissen, was geschehen ist, als der Immobilienmarkt in diesen Ländern erst den Rückwärtsgang einlegte.

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Beim Immobiliensektor geht es in erster Linie um den Bau von Immobilien. Daran hängen jedoch viele andere Wirtschaftszweige, Zulieferer und Dienstleister. Der Markt wird in China nicht wie in Spanien oder den USA kollabieren. Im Gegensatz zu westlichen Ländern hat die Politik in China die Instrumente, um einen ungeordneten Crash zu verhindern.

Ein Crash ist daher nicht das Problem, sondern vielmehr die gesamtwirtschaftliche Bedeutung. Kühlt der Markt ab und wird weniger gebaut, betrifft dies Dutzende Millionen Beschäftigte. Ohne einen boomenden Immobiliensektor hat China ein Beschäftigungsproblem.

Dieses tritt früher oder später auf. Der Markt kann nicht ewig wachsen wie bisher. In Großstädten können sich Familien Wohnungen kaum noch leisten. Zugleich hat China im Vergleich zum Westen deutlich aufgeholt. Vor 10 Jahren waren die gebauten Quadratmeter pro Haushalt im Vergleich zu den USA und Europa klein. Inzwischen ist der Wohnraum vergleichbar mit reichen Ländern.

Der Nachholbedarf ist fast gedeckt. Man kann also nicht erwarten, dass der Sektor weiter wächst. Genau das ist ein Problem. Trägt ein Sektor wie der Immobiliensektor 30 % zur Wirtschaftsleistung bei und stagniert, zieht das das gesamte Wachstum nach unten. Damit China überhaupt noch 6 % Wirtschaftswachstum erreicht, müssten alle anderen Sektoren mit fast 9 % wachsen, um inklusive stagnierendem Immobiliensektor insgesamt 6 % zu erreichen.

Wachstumsziele werden deutlich schwieriger zu erreichen sein. Das gilt insbesondere, weil alles andere auch nicht wächst. Vor einigen Jahren kündigte China an, dass die Wirtschaft mehr auf Konsum setzen wird. Der Aufschwung über Exporte und Industrieproduktion sollte durch Konsum ersetzt werden. Genau das Konsumwachstum ist derzeit tief. Es bewegt sich nur noch knapp im positiven Bereich (Grafik 2).

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Die Problemsektoren Immobilien und Industrie tragen die Wirtschaft (noch). Ein Ende ist absehbar. Umso bemerkenswerter ist es, dass die Notenbank bisher ruhig bleibt. Liquiditätsspritzen bleiben bisher überschaubar und sind kein Vergleich zu der Intervention zu Beginn der Pandemie (Grafik 3).
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Auch der Staat ist zurückhaltend. Es werden keine Großprojekte aus dem Boden gestampft. Lokalregierungen und der Zentralstaat reduzieren derzeit ihre Defizite sogar. Wüssten wir aus Erfahrung nicht, dass Peking die Wirtschaft nicht kollabieren lässt, sähe es nach Resignation aus. Wahrscheinlicher ist es, dass Peking die längst überfälligen und schmerzhaften Einschnitte jetzt macht, bevor es in wenigen Jahren noch schmerzhafter wird.

Clemens Schmale


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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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