Kommentar
07:56 Uhr, 02.12.2015

China: der Damm wird brechen

Chinesische Behörden finden immer mehr Schuldige, die für den Börsencrash im Sommer verantwortlich gewesen sein sollen. Anstatt durch die „Aufräumarbeiten“ Ruhe ins Land zu bringen geschieht genau das Gegenteil.

Allein am vergangenen Freitag verlor der Shanghai Composite über 5%. Nach einer Rallye von 20% im September und Oktober kommt ein Rückgang nicht vollkommen unerwartet. Der Auslöser für die Verkäufe ist hingegen durchaus unerwartet. Mehrere Broker werden von den Behörden beschuldigt, für den Börsencrash im Sommer mit verantwortlich zu sein. Ihnen werden verschiedenste Dinge vorgeworfen, darunter Marktmanipulation.

Die Verhaftung einzelner Personen und der Untersuchung der Firmen tragen nicht zur Beruhigung der Lage bei. Ganz im Gegenteil sogar, Anleger haben die Nachrichten zum Anlass genommen, zu verkaufen. Das ist verständlich, denn wenn nun die Behörden von großer Marktmanipulation sprechen, dann möchte man als Anleger nicht unbedingt investiert sein.

Anleger müssen den Eindruck bekommen, dass die Kurse durch Manipulation bewegt wurden. Den Kursen kann man entsprechend nicht trauen und es wird verkauft. Die Reaktion ist verständlich, doch gleichzeitig überzogen. Es ist ja nicht so, dass die Kurse in den vergangenen Wochen nicht tatsächlich manipuliert worden wären. Sie wurden nur nicht von einzelnen Personen oder Handelshäusern verfälscht, sondern auf staatliche Anordnung hin.

Wie dem auch sei, die Regierung nimmt die Unruhe am Markt in Kauf, um Schuldige zu präsentieren. Hintergrund dürfte sein, dass die Politik sich nicht der Blamage ausgesetzt sehen will, gegen den Crash machtlos gewesen zu sein. Immerhin wurde von der Politik der Aktienmarkt stark beworben. Viele Anleger verloren ihr Geld, indem sie der Politik vertrauten. Das kann und das darf natürlich nicht sein. Entsprechend braucht es Verantwortliche außerhalb der Politik.

Das ist ein normales Vorgehen. Etwas subtiler wurde nach der Explosion von Tianjin vorgegangen. Die Explosion verwüstete einen Teil des Hafens Tianjin. Giftige Chemikalien dürften einen Teil des Gebiets stark kontaminiert haben. Was genau geschehen ist kann man schwer sagen, da die Behörden die Gegend abriegelten und aufräumten. Große Teile des Geländes sind inzwischen mit Gras belegt. Es soll – im wahrsten Sinne des Wortes – schnell Gras über die Sache wachsen. Man will sich einfach die Peinlichkeit ersparen zugeben zu müssen, dass irgendwer versagt hat, möglicherweise Personen in den Behörden oder der Politik.

So verständlich es ist, dass die Politik absolut makellos erscheinen will, so gefährlich ist es auch. Der Bevölkerung wird mehr Wohlstand durch Wirtschaftswachstum versprochen. Das ist alles schön und gut, doch was, wenn das Wachstumsmodell ausläuft, wie es gerade der Fall ist? Ein Eingeständnis, dass es am Ende ist, gibt es nicht. Es wird versucht das Modell zu ändern, aber das braucht zu viel Zeit, Zeit, die Peking nicht hat. Anstatt die Wirtschaft in eine Phase niedrigeren Wachstums übergehen zu lassen, wird an illusorischen Zielen festgehalten. Man will sich eben nicht die Blöße geben...

Die Kosten, die Tatsachen zu verbiegen, sind hoch. Die Suche nach Schuldigen für den Börsencrash führen zu neuer Volatilität und viele neue Anleger werden ihr Geld verlieren. Anstatt über menschliches und technisches Versagen zu diskutieren und daraus zu lernen, werden Unglücksursachen einfach begraben und zugedeckt (Tianjin). Das Wachstum wiederum dürfte unter „natürlichen“ Umständen bei 3-5% liegen. Es kann allerdings nicht sein, was nicht sein darf.

Unternehmen und Bürger haben den Pfad des schuldenfinanzierten Wachstums bereits verlassen. Jetzt springt die Regierung ein, um die deutliche Verlangsamung des Wachstums zu kaschieren. Irgendwann werden die Probleme so groß, dass sie sich nicht mehr vertuschen lassen. Dieser Zeitpunkt kommt schnell näher.

Die Chance der Politik die Bevölkerung auf neue Umstände einzustimmen ist vertan. Die Partei hält an dem Image der Unfehlbarkeit fest. Dieses Image aufrechtzuerhalten ist sehr kostspielige. Die Rechnung wird letztendlich die Bevölkerung zahlen. Die Partei hat natürlich Angst, dass jeglicher Imageschaden gleich der Anfang des Endes der Partei sein könnte. Vermutlich wird es auch das Ende einläuten, denn wenn auffliegt, dass die Wirtschaft massiv aus dem Ruder läuft und der Wohlstand nicht weiter wächst, sondern teils zurückgeht, ist Schluss.

Vermutlich wäre es sinnvoller gewesen früher zu erklären, dass auch die Politik Fehler machen kann. Ein offenerer Dialog wäre besser gewesen. Der Prozess hätte langsam beginnen können. Jetzt läuft alles auf einen radikalen Wandel hinaus. Peking hat zu lange gewartet, um einen langsamen Übergang zu schaffen.

Das ist vergleichbar mit der unsäglichen Währungsabwertung im August. Viele Jahre hat Peking die Liberalisierung angekündigt. Als dann viel zu spät damit begonnen wurde den Worten Taten folgen zu lassen, war die Hölle los. Kleine Schritte im Wandel und der Öffnung sind nicht mehr möglich. Zu viel hat sich aufgestaut, zu viel wurde zu lange zurückgehalten und vertuscht.

In der Vergangenheit hat die politische Führung immer wieder bewiesen, dass sie doch auch schwierige Situationen meistern kann. Dieses Mal wird es wohl anders sein. Keiner weiß, wann der Damm bricht – ob bereits 2016 oder erst 2020. China steht ein schneller und radikaler Wandel bevor. Genau das will Peking nicht, wird es aber auch nicht mehr verhindern können. Inzwischen ist nicht mehr die Frage, ob es einen radikalen Wandel in der Wirtschaft und Politik geben wird, sondern wann.

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3 Kommentare

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  • FJHaydn
    FJHaydn

    Der Niedergang ist sehr plausibel dargestellt, beschränkt sich aber nicht nur auf China.

    Chinas Probleme ergeben sich ja daraus, dass sie - wie viele andere auch - das Wirtschaftsmodell - Schuldenfinanzierung der Wirtschaft und beständiges Wachstum - und die Rezepte gegen die negativen Auswirkungen - Manipulation der Märkte und der Währung - prakisch 1:1 von der USA kopieren. Nur die Raubzüge im Ausland fehlen noch.

    Die scheinen alle nicht zu vestehen, dass Ausbeutersysteme nur funktionieren können, wenn die Ausbeuter eine kleine Minderheit darstellen. Wenn es alle machen wollen, führt das notwendig zum Crash. Letztlich sind das alles Schneeballsysteme.

    Das Scheitern ist hier eine logische Notwendigkeit, gegen die nichts hilft, insbesondere nicht die neoliberalen Rezepte "Öffnung", "Liberalisierung", "Privatisierung" . Wenn die Parasiten überhand nehmen, stirbt der Wirt.So einfach ist das.

    Es gibt auch nicht die Möglichekeit eines langsamen Übergang, wie Herr Schmale hier unterstellt. Wenn man etwas ändern will, muss das radikal geschehen, also weg von der Wachstumslogik und das erfordert die Aufgabe des Primats der Finanzwirtschaft, nachhaltiges Wirtschaften (auch bezogen auf Ressourcen und Umwelt) und gerechte Entlohnung. Solange es in einer Wirtschaft Multimillionäre und Milliardäre geben kann, ist sie auf dem falschen Weg.

    09:33 Uhr, 02.12. 2015
    1 Antwort anzeigen
  • schimpanse69
    schimpanse69

    Abwarten. Die Grenzen sind schneller zu als Sie hier einen Bericht schreiben können.

    09:01 Uhr, 02.12. 2015

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Über den Experten

Clemens Schmale
Clemens Schmale
Finanzmarktanalyst

Clemens Schmale hat seinen persönlichen Handelsstil seit den 1990er Jahren an der Börse entwickelt.

Dieser gründet auf zwei Säulen: ein anderer Analyseansatz und andere Basiswerte. Mit anders ist vor allem die Kombination aus Global Makro, fundamentaler Analyse und Chartanalyse sowie Zukunftstrends gemeint. Während Fundamentaldaten und Makrotrends bestimmen, was konkret gehandelt wird, verlässt sich Schmale beim Timing auf die Chartanalyse. Er handelt alle Anlageklassen, wobei er sich größtenteils auf Werte konzentriert, die nicht „Mainstream“ sind. Diese Märkte sind weniger effizient als andere und ermöglichen so hohes Renditepotenzial. Sie sind damit allerdings auch spekulativer als hochliquide Märkte. Die Haltedauer einzelner Positionen variiert nach Anlageklasse, beträgt jedoch meist mehrere Tage, oft auch Wochen oder Monate.

Rohstoffe, Währungen und Volatilität handelt er aktiv, in Aktien und Anleihen investiert er eher langfristig. Die Basiswerte werden direkt – auch über Futures – oder über CFDs gehandelt, in Ausnahmefällen über Optionen und Zertifikate.

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